5 Georgierinnen auf der Buchmesse
Tamta Melaschwili
„Abzählen“ ist ein Jugendbuch, aber, wie alle wirklich guten Jugendbücher (und das sind nicht so viele) gleichzeitig auch nicht. Wie Melaschwili in ihrem 2012 auf Deutsch erschienenen Debütroman die beiden sehr unterschiedlichen Teenagermädchen Ninzo und Ketewan in einer isolierten Konfliktregion umherstreifen lässt, ist literarisch großartig. Die patzig-schüchterne Knappheit der Ich-Erzählerin, die ihrer frühreifen Freundin Ninzo beim Häuserplündern hinterherläuft, ist fesselnd und herzzerreißend. Die Mädchen lassen sich darauf ein, Drogen „auf die andere Seite“ zu schmuggeln. Sie hoffen, dass ein Korridor eingerichtet wird, dass sie herauskönnen. Die gelähmte Großmutter liegt im Sterben. Der Säugling braucht Nahrung. Tamta Melaschwili ist 1979 geboren; ihr Debüt sorgte in Georgien 2011 für einiges Aufsehen. Sie bekam dafür den georgischen Literaturpreis Saba und den Deutschen Jugendbuchpreis. Tamta Melaschwili lebt derzeit in Georgien und engagiert sich aktiv für Frauenrechte und Genderfragen.
Tamta Melaschwili: Abzählen, Ü: Natia Mikeladse (Unionsverlag, 9.95 €)
Nino Haratischwili
Nino Haratischwili ist der Stern, der Fixpunkt des deutsch-georgischen Literaturgeschehens, das sich in diesem Herbst auf der Buchmesse entfalten wird; Sie ist 1983 in Tiflis geboren, mit zwanzig zum Studium der Regie nach Hamburg gekommen, ihre Romane schreibt sie auf Deutsch. Lakonisch rauchend sitzt sie in Tifliser Theaterkantinen und spricht über die traumatisierten Männer ihres Landes. Sie liest bei Lesungen auf Buchmessenpartys wohlklingend und präzise Szenen, die einiger Schrecklichkeit nicht entbehren. Berühmt machte sie hierzulande ihr georgisches Familienepos „Das achte Leben“, ihr neuer Roman „Die Katze und der General“ ist gerade erschienen, es ist ihr vierter. Was noch? Schokolade und „Hautkrems“ tanzen als Signifikanten durch ihr Werk, und im Klang dieser beiden Wörter schwingt etwas von dem großen, sehr weiblichen Kosmos ihres magischen Schreibens.
Nino Haratischwili: Die Katze und der General (FVA, 30 €)
Naira Gelaschwili
Georgische Literatinnen scheinen eine gewisse Neigung zu haben, Ereignisse nicht zu schildern, sondern sie der Leserin fast ausschließlich durch die Wiedergabe mündlicher Rede zu erschließen. Naira Gelaschwili ist die Großmeisterin dieser Erzähltechnik. Gelaschwili wurde 1947 in Ostgeorgien geboren, lebt in Tiflis und liebt – wie es scheint, ebenfalls wie viele Georgierinnen – Deutschland, sie hat Germanistik studieråt. In ihrer Novelle „Ich fahre nach Madrid“ erzählt die Autorin, wie ein Mann aus seinem Leben verschwindet und sich in die Obhut seines Freundes, eines Psychiaters, begibt – seiner Frau, seinen Kollegen, seiner Geliebten tischt er jeweils eine andere Geschichte auf, was der angebliche Grund für sein Verschwinden ist. In ihrem neuen Buch „Ich bin sie“ erzählt Gelaschwili atemlos von der einseitigen Liebesgeschichte eines sehr jungen Mädchens, Nia, auf die sie als erwachsene Frau zurückblickt. Gelaschwili war Beraterin des georgischen Präsidenten und hat 1993 „Das Kaukasische Haus“ in Tiflis gegründet, ein Ort des kulturellen Austauschs, den sie bis vor wenigen Jahren leitete.
Naira Gelaschwili: Ich bin sie Ü: Lea Wittek (Verbrecher Verlag, 22 €)
Nana Ekvtimishvili
Nana Ekvtimishvilis Leben klingt so schön, dass man ein bisschen neidisch werden könnte: eine Wohnung in Berlin, eine in Tiflis, die Liebe ihres Lebens, den Regisseur Simon Groß, schon während des Studiums (in Babelsberg!) kennengelernt, gemeinsam zwei preisgekrönte Filme gedreht: „Die langen hellen Tage“ (2014) und „Meine glückliche Familie“ (2018). „Meine glückliche Familie“ ist eine sanft emanzipatorische Geschichte: von einer Frau, die auszieht. Das scheint in Georgien keineswegs gewöhnlich zu sein und Ekvtimishvili hat einmal gesagt, dass sie bewusst diese leise Methode gewählt habe – natürlich gebe es in Georgien auch die großen, schrecklichen Themen wie zum Beispiel Ehrenmorde. Jetzt erscheint Ekvtimishvilis erster Roman, „Das Birnenfeld“, er erzählt die Geschichte eines Internats für „geistig beeinträchtigte Kinder“ aus der Perspektive der jungen Betreuerin Lela, die ebenfalls Schülerin an dieser Einrichtung war. Ein Muss, dieses Buch. Ach ja, außerdem betreibt Nana Ekvtimishvili, ebenfalls gemeinsam mit Simon Groß, mehrere Eisdielen in Georgien. Von denen kann sie ganz gut leben!
Nana Ekvtimishvili: Das Birnenfeld, Ü: Ekaterine Teti/Julia Dengg (Suhrkamp, 16.95 €)
Anna Kordsaia-Samadaschwili
Anna Kordsaia-Samadaschwili (wenn man in Georgien kein -schwili hat, fügt man es sich offenbar per Doppelnamen wieder zu – ohne schwili geht es einfach nicht) ist 1968 geboren und gehört somit zur noch in der sowjetischen Zeit geborenen Frauengeneration. Sie hat bereits damals für Menschen- und insbesondere für Frauenrechte gekämpft und thematisiert diese Themen seit Jahren in der Presse. Wir haben Anna Kordsaia-Samadaschwili einmal getroffen, das war vor zwei Jahren, gemeinsam mit Nino Haratischwili in der Tiflisser Theaterkantine. Da klimperten ihre Armreifen und sie sagte diesen denkwürdigen Satz: „Es ist ein warmes Land, da vergisst man leichter.“ – Es ging um Georgien und seine Vergangenheit. Die Spezialität von Anna Kordsaia-Samadaschwili lakonisch-abgründige Kurzgeschichten, wie sie sie in ihrem Band „Ich, Margarita“ erzählt. Auch der Sammel-Erzählband „Techno der Jaguare“ eröffnet mit einer denkwürdigen Kurzgeschichte von Kordsaia-Samadaschwili; es geht um eine Liebschaft mit dem „Klassenfeind“. Kordsaia-Samadaschwili ist auch Übersetzerin; sie hat u. a. „Frau und Körper“ und „Die Liebhaberinnen“ von Elfriede Jelinek ins Georgische übertragen.
Anna Kordsaia-Samadaschwili: Ich, Margarita, Ü: Sybilla Heinze (Verlag Hans Schiler, 18.80 €)
Weiterlesen: Kurzgeschichten georgischer Autorinnen: Bittere Bonbons (edition fünf, 22 €) und Techno der Jaguare (FVA, 19.90 €).
Ausgabe bestellen