„Für mich waren das ja die Guten“
Geboren wurde ich Mitte der 70er Jahre und die ersten Jahre lebte ich mit meiner Familie im Ausland, in Ländern, wo es oft gefährlich war und Bürgerkrieg gab. Meine Mutter war politisch sehr aktiv. Sie engagierte sich in der Friedensbewegung und in der Menschenrechtsarbeit. Wir Kinder wurden in diese Themen voll miteinbezogen und ich wurde auch zu Demonstrationen z. B. gegen die Rüstungskonzerne und gegen den Nato-Doppelbeschluss mitgenommen.
Bald wollte auch ich als Kind mich engagieren. Ich war in einer Umweltgruppe aktiv und lernte dann auch eine evangelische Kirchengemeinde kennen, die sich auch sehr für Menschenrechte und Frieden einsetzte. Meine Mutter stand hierbei auch im Kontakt zu einem der beiden Pfarrer. Der andere Pfarrer, Hans-Georg Wiedemann, arbeitete eng mit Helmut Kentler zusammen. Die Gemeinde galt als eine Art Leuchtturm der Reformpädagogik und setzte sich sehr für die Emanzipation von Homosexuellen innerhalb der evangelischen Kirche ein. Es gab dort auch eine Gruppe „Homosexuelle und Kirche“ und eine Initiative von Eltern mit homosexuellen Töchtern oder Söhnen, die Hans-Georg Wiedemann leitete.
Und ich traf dort auch auf Männer, die die Ansicht vertraten, dass Sexualität von Erwachsenen mit Kindern in Ordnung sei. Diese pädophilen Männer hatten zwar keine offizielle Gruppe – haben sich aber als unterdrückte Minderheit dargestellt. Und ich habe das nicht hinterfragt, denn das waren für mich die Guten. Es war ja alles eingebettet in die homosexuelle Emanzipation, in die Friedens- und die Umweltbewegung. Einer dieser offen Pädophilen war später auch in der Friedensgruppe meiner Mutter. Und die Frau vom Pfarrer Wiedemann war für die Grünen im Stadtrat.
Ich war ein vernachlässigtes Kind. Meine Mutter war häufig weg, mein Vater war ein streng gläubiger Christ. Zunächst kam ich wegen meiner damals mir noch unbekannten komplexen Entwicklungsstörungen erst mal auf eine Förderschule und war auch später außerstande, emotional mit Gleichaltrigen mitzuhalten. In der Schule war ich isoliert.
Als diese älteren Männer mich umgarnten, hatte ich das Gefühl, ich wäre wichtig. Ich war sehr hübsch und sah aus wie ein Engel. Die haben mich mit zu sich nach Hause genommen, beim ersten Mal war ich 13. Die nahmen sich Zeit für mich, was ich als echte Zuwendung erlebte. Aber gleichzeitig wurden von mir schon richtig harte sexuelle Sachen verlangt. Doch es war ja keine körperliche Gewalt – dachte ich und hielt es für normal. Viele waren hochangesehene Akademiker und ich bekam mit, dass einige gemeinsam in Kuratorien oder Vorständen saßen.
Meine Mutter hat nicht mitbekommen, was da passierte, oder vielleicht wollte sie es auch nicht sehen. Ich selbst habe ihr nur von einem Vorfall erzählt. Da hat mich auf einem Spielplatz ein Mann ins Gebüsch gezerrt. Das war aber eben der „fremde Mann“, der war böse. Erst viele Jahre später habe ich ihr von den „guten“ Männern erzählt, auch von dem Mann aus ihrer Friedensgruppe, der Pädagoge war und den ich als Gruppenleiter einer Kindergruppe bei den „Falken“ kannte. Ich habe sie dann gefragt: „Wusstest du eigentlich, dass der Päderast ist?“ Aber sie hat keine Kritik zugelassen, sie hat das abgeblockt. Die autoritäre katholische Kirche galt als böse, auch wegen der fehlenden Gleichberechtigung, aber in der „Kirche von unten“ und der Friedensbewegung war eben alles gut.
Später, als ich schon etwas älter war, haben mich die Männer auch auf Reisen mitgenommen. Es war die Zeit, in der gewöhnlich die Pubertät weitestgehend durchlaufen ist. Diese blieb aber bei mir wegen einer Hormonbindungsschwäche zurück. Das ließ mich sehr feminin und weiterhin jugendlich aussehen und das war in diesen Kreisen sogar sehr gefragt, wohingegen ich unter Gleichaltrigen oft Ablehnung erfuhr.
Ich wurde auch mal ins „Waldschlösschen“ mitgenommen, eine Bildungsstätte, die 1981 aus der Schwulenbewegung entstanden ist. Dort saß bis vor kurzem Rüdiger Lautmann im Stiftungsbeirat, der ja auch zu den einschlägigen Kreisen gehört. Oder ich wurde in das Bremer Schwulenzentrum „Rat und Tat“ mitgenommen, wo es bis Mitte der 1990er Jahre einen offiziellen Pädophilen-Stammtisch gab. Der stand offiziell im Programm.
Mein Unbehagen habe ich verdrängt. In meinem Inneren habe ich gespürt, dass mit den Kontakten zu diesen Männern etwas nicht in Ordnung war, aber ich kam da nicht mehr raus, weil alles so verwoben war mit der Friedensbewegung, Menschenrechtsarbeit und der „Ökumene von unten“. Dadurch wurde Pädophilie und Päderastie völlig normalisiert, es fand ja alles in der besten Gesellschaft statt. Auch in dem lokalen Homosexuellenzentrum stieß ich noch auf Päderasten. Einer der Männer von damals ist heute der Partner eines bekannten kommunalen grünen Politikers.
Meine frühen Traumatisierungen machten mich sexuell distanzlos und ich wusste nicht, wie ich mich vor sexueller Ausbeutung schützen konnte. Als ich noch zur Schule ging, hatte ich eine Beziehung mit einem über 40 Jahre älteren Mann aus der Gruppe „Homosexuelle und Kirche“. Der hatte einen Long Time Companion, aber nebenbei auch ganz junge Liebhaber. Auch dieses Modell war dort völlig akzeptiert.
Später arbeitete ich einige Monate in der Kirchengemeinde. In dieser Zeit traf ich dort einige Male wieder auf pädosexuelle Männer. Darunter war ein Streetworker, der einen ca. zwölfjährigen Jungen als Pflegekind bei sich aufnehmen wollte und in der Gemeinde darin unterstützt wurde. Der ging völlig offen damit um, dass
er pädophil war und ein Verhältnis mit dem Jungen hatte.
Ob Pfarrer Wiedemann selbst sexuelle Kontakte zu Minderjährigen hatte, weiß ich nicht. Ich habe ihn jedenfalls später in der Halbwelt angetroffen. Und die gab es reichlich, auch in Künstlerkreisen. So drehte Anfang der 1990er Jahre in Düsseldorf der Regisseur und Schauspieler Peter Kern seinen Film „Gossenkind“. Da ging es um einen 14-jährigen Strichjungen. Peter Kern war selbst Freier, der hing jeden Abend im Stricherlokal rum.
Der Pfarrer Wiedemann war auch im Vorstand der „Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität“, die ja ein Sammelbecken für Pädophile war. Er war auch in der „Deutschen Studien- und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie“ und in der „Deutschen Gesellschaft für Sexualberatung“, wo anfänglich auch Ernest Bornemann und natürlich Helmut Kentler Mitglied waren. Heute ist mir klar, was das für ein Netzwerk war und wie sich das auf diese Gemeinde ausgewirkt hat.
Und es war eigentlich klar, dass Kentler selbst aktiver Päderast war. Später zog ich nach Hannover, wo auch Kentler lebte, nämlich in der Nähe von Garbsen ganz im Westen der Stadt, wo er mit seinen Pflegesöhnen lebte. Wenn er vom HOME-Zentrum, dem homosexuellen Emanzipationszentrum in Hannover aufbrach, gab es den Spruch: „Der fährt jetzt wieder Richtung Grabschen.“
Viele Jahre später schloss ich mich einer Gruppe an, die sich im „Waldschlösschen“ traf, so dass ich 2017 da noch einmal hinkam. In einem Aufenthaltsraum fand ich noch ein Pädophilen-Buch von Peter Schult vor, das ich schon aus meiner Jugend kannte. Der war in den 1970er Jahren mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilt worden und stilisierte sich deshalb zum Opfer. Auf dem Cover des Buches ist der „Rosa Winkel“, mit dem homosexuelle Männer früher im KZ gekennzeichnet wurden. Da bin ich echt ausgerastet, wurde aber dort abgekanzelt. Überhaupt habe ich im „Waldschlösschen“ Pädagogen und WissenschaftlerInnen getroffen, die Helmut Kentler immer noch verteidigt haben, weil er „es eigentlich gut gemeint hätte“.
Es war auch die Zeit, als das „Studienzentrum der EKD für Genderfragen“ die Publikation „Diverse Identität – Interdisziplinäre Annäherungen an das Phänomen Intersexualität“ veröffentlichte. Mir fiel auf, dass ich überall dort, wo es um „Geschlechtliche Vielfalt“ ging, immer wieder auch auf die Pädo-Lobbyisten stieß, die ich von früher kannte.
Erst als ich 2019 auf die Studien über Kentler stieß, was er getrieben hat und wie stark Pädo-Gruppen an die Schwulenbewegung angedockt haben, konnte ich vieles für mich auflösen. Ich las viele Namen, die ich kannte und endlich wurde das bestätigt, wofür mich früher andere immer als irre erklärt hatten.
Die Opfer dieses Netzwerkes waren ja meist vulnerable und auf mehreren Ebenen benachteilige Kinder und Jugendliche gewesen. Heute weiß ich, dass schon bei mir als Kind eine Autismus-Spektrum-Störung vermutet wurde, die sich später bestätigt hatte. Autismus geht häufig auch noch mit weiteren Störungen, den sogenannten Komorbiditäten einher. Manchmal auch mit genetischen Besonderheiten. Damals hätte ich mir aber noch ein viel besseres medizinisches Wissen und Diagnostik und eine gute sexualmedizinische und -therapeutische Begleitung gewünscht. Ich musste erst selber viele Zusammenhänge verstehen, um zu mir zu finden.
Aufgezeichnet von Chantal Louis
Ausgabe bestellen