"Fußball ist das Tor zur Freiheit"
Die Kölner Ostkampfbahn glüht vor Hitze, aber das macht Silva und Melika nichts, denn sie brennen sozusagen selbst: für den Fußball. Und gleich werden sie das bisher aufregendste Spiel ihres bisherigen jungen Lebens absolvieren. Denn diesmal kicken die „Scoring Girls“ nicht nur unter sich, wie sonst mittwochs am Kölner Geißbockheim. An diesem Samstag stehen mit den beiden Mädchen aus Syrien und dem Iran nicht nur ihre üblichen Mitkickerinnen Maisaa, Maisun und Heijin auf dem Platz, sondern auch: Fußball-Nationalspielerin Sara Dorsoon! Die Ex-Nationalspielerinnen Inka Grings und Sonja Fuß! Die TV-Moderatorin und Ex-Profikickerin Shary Reeves! Und die Ex-Sportmoderatorin Anne Will ist auch mit von der Partie!
Noch zehn Minuten bis zum Anpfiff. Die Kameraleute und Fotografen kreisen um Moderatorin Will, die in einem roten Trikot auf dem Rasen steht, wie gewohnt ein Mikro in der Hand hält und den rund 200 Zuschauerinnen (die wenigen Männer im Publikum sind mitgemeint) erklärt, warum sie heute hier ist. „Ich hätte als Mädchen gerne Fußball im Verein gespielt“, schallt es über den Platz. „Aber eine Mädchenmannschaft gab es damals nicht.“ Ihr Bruder habe spielen dürfen, sie nicht, erzählt Anne Will. Und dass sie es „fantastisch findet, dass bei den ‚Scoring Girls‘ jetzt Mädchen aus Flüchtlingsfamilien die Chance haben, Fußball zu spielen!“ Anpfiff.
Anne Will: "Mein Bruder durfte Fußball spielen. Ich als Mädchen nicht."
Es rennen los: die „Scoring Girls Allstars“ in Weiß, darunter die Iranerin Melika und die Syrerin Heijin. Und die „Scoring Girls & Friends“ in Rot, darunter Silva aus Syrien sowie Maisaa und Maisun aus dem Irak. Hier und heute geht es vor allem um eins: Mit diesem Benefiz-Spiel möglichst viel Geld für das Projekt zusammenzubekommen.
Auch Tuğba Tekkal stürmt gerade über den Platz, sie trägt Rot und die Nummer zehn. Die 33-jährige Kölnerin mit kurdischen Wurzeln hat die Scoring Girls vor zwei Jahren gegründet. Weil sie sich erinnert hat, wie das damals bei ihr war: Tuğbas Eltern waren Ende der 1960er-Jahre aus dem Südosten der Türkei nach Hannover ausgewandert. Wegen der Arbeit, aber auch, weil sie es als Jesiden dort schwer hatten. Sie bekamen elf Kinder, also gewissermaßen eine Fußballmannschaft. „Ich bin die siebte von oben“, sagt Tuğba und grinst. Tuğba liebte Fußball über alles und verbrachte ihre Tage kickend auf dem Bolzplatz. „Meine Eltern fanden das gar nicht witzig, dass ich immer mit Schrammen und matschigen Klamotten nach Hause kam.“ Für ein Mädchen gehört sich das nicht. Im Verein spielen? In kurzen Hosen? Kommt nicht infrage!
Aber Tuğba war gut, um nicht zu sagen: saugut. „Deswegen haben meine Brüder, die mein Talent gesehen haben, mich quasi gezwungen, beim TSV Havelse zu trainieren.“ Ein Dreivierteljahr kickte sie heimlich. Dann kam das Coming Out. Und ein Angebot des HSV für die 2. Bundesliga. Die Eltern waren einerseits beeindruckt. Andererseits widerstrebte es ihnen, ihre 21-jährige Tochter „unverheiratet aus dem Haus gehen zu lassen“. Tuğba setzte sich, mit Unterstützung ihrer Geschwister, durch. Und schoss so viele Tore, dass sie bald in der 1. Bundesliga spielte und der 1. FC Köln das Supertalent vom HSV abwarb. Die Tochter eines kurdischen Fliesenlegers und einer Hausfrau, die nicht lesen und schreiben konnte, war Fußball-Profi geworden.
"Der Fußball war mein Tor zur Freiheit“, sagt Tuğba Tekkal. Und weil das so ist, beschloss die Fußballerin, dass sie diese Freiheit auch anderen Mädchen verschaffen wollte. Zum Beispiel der 15-jährigen Silva aus Syrien.
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