Nach zwei Stunden und zehn Minuten lagen die Nerven der ZuschauerInnen blank. Elfmeterschießen. Bis dahin war es schon ein ständiges Bangen gewesen. Nach nicht mal einer Minute nach dem Anpfiff hatten die Französinnen ihre erste Torchance gehabt und sie dominierten die erste Halbzeit so klar, dass es in der Halbzeit gut und gern 3:0 hätte stehen können.
Das Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich hatten viele als „vorgezogenes Endspiel“ bezeichnet, denn nicht nur die zweifachen deutschen Weltmeisterinnen galten als Favorit, sondern auch die Französinnen: „Technisch versiert“, „blitzschnell“, „total spielkreativ“ – geradezu ehrfürchtig beschreibt Bundestrainerin Silvia Neid „les bleues“, die sich fast ausschließlich aus den beiden Spitzenclubs Paris St. Germain und Olympique Lyon rekrutieren. Letztere hatten in den vergangenen Jahren in schöner Regelmäßigkeit bei der Champions League die anderen europäischen Spitzenfrauschaften aus dem Feld geschlagen.
Aber nach der zweiten Halbzeit machte das deutsche Team mehr Druck. Dennoch fiel bald das 1:0 von Louisa Necib. Annike Krahn fälschte den Schuss der französischen Stürmerin unglücklich ab, so dass Torfrau Angerer keine Chance hatte. Aber deren großer Moment sollte später kommen.
Lavogez schießt flach, leicht rechts von der Tormitte und – Natze hält!
Zehn Minuten vor Schluss hatte nicht nur eine sichtlich angespannte Sivia Neid das Halbfinale verloren gegeben. Dann: Pfiff! Elfmeter für Deutschland! Nach einem Handspiel von Verteidigerin Majri legte Celia Sasic den Ball auf den Elfmeterpunkt und verwandelte – wie schon im vorausgegangenen Spiel gegen Schweden – traumsicher. Minuten vor dem Schlusspfiff: Alles wieder offen.
In den zweimal 15 Minuten Verlängerung gaben beide Teams alles. Für Deutsche wie Französinnen gab es diverse Chancen. Aber es fiel kein Tor. Nach 120 nervenzehrenden Minuten begann nun das Elfmeterschießen. Und auch das sollte bis zur letzten Sekunde spannend bleiben. Denn die deutschen und die französischen Schützinnen trafen alle. Nach fünf deutschen und vier französischen Treffern tritt Claire Lavogez an den Elfmeterpunkt. 25.000 ZuschauerInnen im Stadion von Montréal halten den Atem an. Die Hände von sieben Millionen deutschen FernsehzuschauerInnen krallen sich in Sofasessellehnen und – schließlich war es schon weit nach Mitternacht – Bettdecken fest. Lavogez schießt flach und nur leicht rechts von der Tormitte und – Natze hält!!! Die Weltfußballerin, die bei der WM 2007 einen Rekord aufgestellt hatte, weil sie kein Tor kassierte und die den deutschen Fußballfrauen schon mehrfach mit gehaltenen Elfmetern zum Sieg verhalf – sie darf jetzt endgültig als legendäre Elfmeterkönigin gelten.
Riesenjubel bei Natze & Kolleginnen, Tränen bei den zu recht enttäuschten Französinnen. Nun spielen die deutschen Fußballfrauen am Dienstag im Halbfinale gegen den zweifachen Olympiasieger USA. Es bleibt also sehr, sehr spannend.