Alice Schwarzer schreibt

Gabriele Pauli: Wie doof ist die denn?

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Es war am Sonntag danach. Gabriele Pauli saß bei Sabine Christiansen und sagte: Ich verstehe das gar nicht – was ist denn dabei, wenn ich schwarze Handschuhe anziehe? Und dabei sah sie ganz so aus, als meinte sie es wirklich ernst.

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Da schwenkte die Kamera auf die Zuschauer – und die ganze Männerriege, Junge wie Alte, Dicke wie Dünne, Moderne wie Konservative, feixte. Feixte breit. Denn alle verstanden sehr wohl, was die 49-jährige Politikerin, zweimal geschieden, alleinerziehende Mutter und promovierte Politikwissenschaftlerin offensichtlich nicht verstanden hatte: was dabei ist, wenn eine Frau schwarze, glänzende, lange Latexhandschuhe überstreift, dazu eine rote, schulterlange Perücke trägt und den Mund in ihrem stark geschminkten, nun puppenhaft wirkenden Gesicht leicht geöffnet hat.

Eine Frau, die so aussieht, ist für Männer das Gegenteil einer weiblichen Persönlichkeit, der sie eine Polit-Karriere zutrauen (und wenn sie nicht so aussieht, ist sie eine „alte Schachtel“). Eine Frau, die so aussieht, ist ein Objekt, das sie kaufen können: als alle Wünsche erfüllende Domina im Bordell oder als stoische Gummipuppe bei Beate Uhse. Und damit auch noch der Harmloseste begreift, präsentierte die Zeitschrift Fotos und Text unter dem Titel: „Sankt Pauli“.

Schon bevor das Heft am Kiosk war, war klar: Park Avenue hat einen Coup gelandet. Für ein paar Tage war das dümpelnde People-Magazin aus dem Hause Gruner + Jahr (Stern) in aller Munde. Den Lohn kassierte Park Avenue, die Rechnung bezahlte Gabriele Pauli.

Schon forderte CSU-Generalsekretär Markus Söder die Fürther Landrätin zum Amtsverzicht auf, und schon verlangte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber ihren Parteiausschluss“, da diese sich parteischädigend verhalten habe. Ein Parteiausschluss der „Zerstoiberin“ wäre zwar rechtlich haltlos, aber ein ideales Sühneopfer für den abgeschossenen Patriarchen, der dem Vernehmen nach immer noch nicht so ganz zurücktreten will und nun erwägen soll, wenigstens den Parteivorsitz zu behalten.

Dabei ist sein Fell längst verteilt. Pauli allerdings, diejenige, die die Jagd eröffnet hatte, soll nicht ein Fetzchen davon mitbekommen. Auch deshalb soll sie weg. Und: Weil es manche Herren vielleicht nervös macht, dieser Art von Inszenierung plötzlich nicht nur in ihrer Phantasie oder im Rotlichtmilieu zu begegnen, sondern in den eigenen Reihen. Die gute alte Teilung in hie brave Ehefrau und da scharfe Geliebte gestaltet sich eben immer schwieriger, wie wir auch an einem anderen Fall in der CSU sehen.

Doch noch viel spannender ist die Frage, wie ein solcher Fehler einer erwachsenen Frau überhaupt passieren konnte. Einer erfahrenen Politikerin, die in den vergangenen 17 Jahren mit steigender Zustimmung (zuletzt über 65 Prozent!) in dem ehemaligen SPD-Landkreis Fürth zur Landrätin gewählt worden war – und die die einzige Frau neben 47 CSU-Landräten in Bayern ist! Einer Frau also, die in den vergangenen 20 Jahren wirklich ihren Mann gestanden hat.

Es war am Tag danach. Am Tag nach dem traditionellen Aschermittwochsparteitag der CSU in Passau. An diesem Tag war Pauli, deren Vorpreschen den Alten zu Fall gebracht hatte, ausgerechnet von denen, die auf diesen Fall gewartet hatten, geschnitten und ausgebuht worden. Nein, viel schlimmer noch: Als das CSU-Vorstandsmitglied Pauli da vorn mit den anderen einsam auf der Bühne saß, ertönte quer durch den Saal der Ruf: „Pauli raus!“ Und „der Söder hat noch dazu geklatscht“ (Pauli).

Wenige Stunden später tritt die so tief Gekränkte zu dem vor Wochen festgemachten Fototermin in einem Münchner Luxushotel an. Da sind Chefreporterin Steffi Kammerer und der lässige Pferdeschwanz-Fotograf Jens Boldt, da sind die Maskenbildnerin und die Stylistin. Und da sind schöne Kleider: ein golden glitzernder Mini, eine knisternde Taftbluse, ein weißes Mädchenkleid aus Spitze und ein schwarzes Abendkleid mit kniehohem Schlitz. Jedes für sich genommen eigentlich unverfänglich – wären da nicht die rote Perücke und die schwarzen Latexhandschuhe gewesen. Beides Fetische aus der Prostitution und Pornografie.

Man kann sich das so richtig vorstellen, wie es gelaufen ist: Wie die gestresste und gedemütigte Bald-Fünfzigerin sich hat einlullen und verführen lassen. Wie sie da sitzt vor dem Spiegel und immer „schöner“ wird, ganz wie die Beautys in den Hochglanzmagazinen. Wie die Kleider rascheln und die Stylistin und der Fotograf ihr zujubeln: Super, Frau Pauli! Total sexy, Frau Pauli! Eine Frau wie Sie kann sich so was doch erlauben, Frau Pauli! Zeigen Sie es diesen Parteimännchen mal so richtig, Frau Pauli!

Es wird stimmen, was Chefredakteur Andreas Petzold sagt: Nach sechs Stunden Schminken, Verkleiden, Posieren, nach diesem Rausch wie beim Prinzessinnenspielen zum Mädchengeburtstag, nach diesem Tag wurden Frau Pauli die Fotos gezeigt. Super! Sexy! Die werden Augen machen! Oder, um es – noch naiver – mit Paulis eigenen Worten zu sagen: „Die Fotos sind künstlerisch, ästhetisch und romantisch.“ Auch Zitate mögen abgestimmt worden sein, doch, versteht sich: Den bigotten Gesamttext und die zwei- beziehungsweise eindeutige Aufmachung der Geschichte hat Frau Pauli erst gesehen, als das Heft schon gedruckt war.

Spätestens dann war klar: Selbst da, wo das einzelne Foto an sich harmlos gewesen wäre, selbst da ist es durch den Sankt-Pauli-Kontext anzüglich geworden. Nein, hier irrt die erfahrene Politikerin: Die Fotos sind nicht künstlerisch, sondern pornografisch.

„Wie doof ist die denn?“, sagen meine klugen Freundinnen und schütteln den Kopf. „Also wenn sie so doof ist“, fügen sie noch hinzu, die klugen Freundinnen, „dann ist sie auch zu blöd, politisch Karriere zu machen.“

Ich schweige. Ich denke nach. Mir tut Gabriele Pauli leid. Sie hatte sich das ganz anders vorgestellt, das ist klar, doch sie ist getäuscht worden – und zwar an einem Punkt, an dem fast alle Frauen verletzlich sind: Pauli hat mit ihrem Körper und ihrer weiblichen Attraktivität gespielt. Sie hatte das schon früher getan. Aber bisher waren es zwar auch rote Haare, doch immerhin ihre eigenen, und sie saß am liebsten in Lederhosen auf einem schweren Motorrad (wie noch heute auf ihrer Homepage). Sie demonstrierte also Weiblichkeit und Männlichkeit zugleich. In Park Avenue aber ist sie „ganz Frau“ – und so eine hat in Männerkreisen eben nichts zu suchen, zumindest nicht am helllichten Tag.

Mir scheint der Fall Pauli nicht nur deshalb so interessant, weil er eine neue Variante ist unter den vermehrten Versuchen von Frauen bei ihrer Gratwanderung auf den Gipfeln der Männermacht; sondern auch deshalb, weil er zeigt, wie dicht beieinander das Sexy-Sein und das Käuflich-Sein liegen können.

Auch ist es ja kein Zufall, dass, je höher Frauen den Kopf heben, sie umso niedriger zum Objekt gemacht werden. Zur magersüchtigen Mädchenmode à la Twiggy der späten Sechziger gesellte sich in den Achtzigern und Neunzigern die entblößende Nuttenmode. Frauen wanken in Highheels über die Straße, in denen ein Mann nicht bis zur Toilette gehen würde; sie rasieren sich die Scham, wie früher nur die Professionellen; und sie tragen Wäsche, die es bis vor nicht allzu langer Zeit nur in einschlägigen Rotlichtshops zu kaufen gab. Das ist sexy, flüstert man den Frauen. Und: Wir sind so frei!, jubeln sie, die Frauen.

Doch wie frei sind sie wirklich? Was ist, wenn wir nicht mehr unterscheiden können, ob ein junges Mädchen am Straßenrand auf ihren Freund wartet oder auf einen Freier? Und was, wenn eine gestandene Politikerin den Unterschied zwischen sexy und lächerlich nicht mehr erkennt – vielleicht, weil es den gar nicht mehr gibt? Und was ist das überhaupt für eine Welt, in der nun alle Frauen „sexy“ sein müssen, selbst wenn sie hard working girls sind? Was ist überhaupt „sexy“?!

Nun ja. Mit der Emanzipation ist es eben wie mit dem Hasen und dem Igel: Die Männer sind immer schon da – während die Frauen noch rennen. Und rennen. Und rennen.

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