Es gibt unter all meinen Freundinnen nur eine einzige, mit der ich ernsthaft über Fußball reden kann. Sie heißt Tania, ist Schriftstellerin und im Besitz einer Dauerkarte für den FC St. Pauli. Ihre Stimme kann man auch im Stadion hervorragend verstehen, und ihre Spielanalysen sind so scharf wie ihre Ansichten zu Politik und Literatur.
Nur einmal habe ich an ihrem fußballerischen Sachverstand gezweifelt und wurde dafür auf der Stelle bestraft: Ich war in Marseille und im Besitz einer Karte fürs Halbfinale gegen den Gastgeber der EM 2016. Tania schickte mir eine SMS, in der sie prophezeite, dass Deutschland bei diesem Spiel ausscheiden würde, und zwar wegen Hirnblockade, was uns als Schreibenden ja durchaus vertraut sei. Ich las die SMS in größerer Runde vor, alle reagierten mit Kopfschütteln.
Liebe Frauen, das Grüne da unten ist der Rasen
Wie die Sache ausging, ist bekannt und „Hirnblockade“ nicht die schlechteste Beschreibung für das, was die arme La Mannschaft befiel. Niemals wieder werde ich die Kompetenz meiner Freundin infrage stellen. Und auch weiterhin mit ihr in die Kneipe gehen, um Fußball zu gucken – allerdings keine Champions-League-Spiele mehr, bei denen Bayern München auf dem Platz steht wie in der letzten Saison. Denn natürlich ist Tania gegen Bayern (ich bin auch gegen Bayern, aber nicht in der Champions League) und lässt das auch den Rest der Kneipe wissen, indem sie bei Gegentoren theatralisch jubelt.
Achtzig Männer um uns herum schwanken zwischen Aggression und Faszination, einer pirscht sich heran und fragt: „Interessiert ihr euch wirklich für Fußball?“ Den Rest des Spiels stellt er uns Testfragen, die wir leidenschaftslos beantworten. Als ein Bayern-Tor fällt und ich mich darüber freue, nennt Tania mich „Kapitalistenschlampe“. Er: „Deine Freundin sagt Kapitalistenschlampe zu dir.“ Ich: „Ja, und?“.
Noch am selben Abend finde ich von ihm eine Nachricht auf Xing, wir könnten doch mal einen Kaffee trinken gehen.
Wir gingen keinen Kaffee trinken, aber ich musste einmal mehr an die These von meinem Freund Jan, gebeutelter HSV-Fan, denken: „Eine Frau, die was von Fußball versteht, bekommt jeden Mann.“ Ganz so weit würde ich nicht gehen, zumal ich nicht selten Männern begegne, die von Fußball wenig bis gar keine Ahnung haben und sich von zu viel diesbezüglicher Kompetenz auf weiblicher Seite eher bedroht fühlen. Derlei Kastrationsängste werden meist durch besonders selbstbewusste Bescheidwisserei kompensiert, was die Angelegenheit nur unerfreulicher macht: Nichts auf der Welt ist unsexyer, als sich Knalltüten-Kommentare anhören zu müssen, wenn’s auf dem Platz gerade ernst wird.
Nicht ist unsexyer als Knalltüten-Kommentare
Während Frauen sich gern damit hervortun, Mats Hummels „sooo süüß“ zu finden (was zweifellos der Wahrheit entspricht, allerdings nicht das Geringste zur Sache tut, wenn der Elfmeter gegen Italien rein muss), geben die fußballerisch unterbelichteten Herren lieber den Schlaumeier: „Wenn der HSV so weiterspielt, steigt er ab“ (der HSV steigt nicht ab, ganz egal, wie er spielt), „Müller muss dringend ausgewechselt werden“ (Müller wechselt man niemals aus, das hatte am Ende sogar Pep Guardiola begriffen und gilt selbst dann, wenn er an EM-Seuche leidet) oder, mein Lieblings-Idiotensatz, „Der Türke darf ja immer spielen, obwohl er nichts bringt“ (wer Mesut Özil jemals live erlebt hat und ohne Blindenhund unterwegs ist, weiß, dass es sich bei diesem Typen um einen der feinsten Spieler des Kontinents handelt).
Worauf wollte ich hinaus? Genau, Fußballsachverstand steigert die Attraktivität von Frauen – zumindest in den Augen jener Männer, die selbst welchen besitzen. Mein eigener Mann würde das bestimmt unterschreiben. Ich denke, er liebt mich für viele Dinge, für meine atemberaubende Schönheit zum Beispiel, meinen messerscharfen Verstand, meinen unglaublichen Humor, meine Großzügigkeit, dafür, dass ich fantastisch kochen kann und wahnsinnig gut im Bett bin – aber am allerallermeisten liebt er mich, weil ich am Samstagabend mit ihm Sportschau gucke.
Bitte nicht missverstehen: Leidenschaft für Fußball ist keine Taktik, um Männer aufzureißen. Leidenschaft für Fußball ist Leidenschaft für Fußball. Für ein Spiel, das nur einen Ball benötigt und zwei Tore. Und deshalb überall auf der Welt gespielt wird – und zwar ganz egal, wie viele Oligarchen und Scheichs sich noch eigene Clubs kaufen und was für ein korrupt-krimineller Haufen die verdammte FIFA auch ist und unglückseligerweise erst mal zu bleiben scheint.
Trikots in rosa und hellblau könnten Frauen gefallen
Ein Pass, eine Flanke, ein Torschuss – kann immer auch schiefgehen. Und manchmal eben wundersam glücken. Genau diese Unwägbarkeit macht Fußball nicht nur zu einem einzigartigen Spiel, sondern zu einem Gleichnis aufs Leben. Man kann besser sein und trotzdem scheitern. Man kann mit Leidenschaft und Willen sein Glück zwingen, auch bei einem objektiv stärkeren Gegner. Das Schicksal (vulgo: Fußballgott) steht immer mit auf dem Platz.
Ich meine das übrigens vollkommen ernst. Und finde es bedauerlich, dass viele Frauen sich einer Erfahrung berauben, die viel weniger mit bierseligem Zeitvertreib zu tun hat als mit Nachdenken über das Leben: anhand von Fußballspielen.
Um weibliche Fans wirbt der Fußball schon deutlich länger, als viele meinen, nur wurde bei der Wahl der Mittel gern mal in die Vollidioten-Kiste gegriffen. Bereits zur Weltmeisterschaft 1966 wünschte man sich deutlich mehr Frauen vor den Fernsehern, also heuerte die BBC den Ex-Nationalspieler Jimmy Hill an, der die Regeln des Spiels so erklären sollte, dass auch ein weibliches Gehirn sie verarbeiten könne – wieso ausgerechnet ihm Expertise in Sachen neurobiologische Besonderheiten des anderen Geschlechts zugetraut wurde, verliert sich leider im Nebel der Geschichte. Nur ein paar Jahre später plante HSV-Präsident Peter Krohn, Frauen durch neue Spieler-Trikots in Rosa und Hellblau für den Fußball zu gewinnen.
„Diese Farben gefallen Frauen“, erklärte er und hätte sich über spätere Proteste weiblicher Fanorganisationen, die sich Stoppt Rosa! auf die Fahne schrieben oder – in Düsseldorf – „Ey Alter, Fortuna ist rotweiß“, sicher schwer gewundert.
Weibliche Fans als putzig-grenzdebile Spezies
In Österreich ging man so weit, Zuschauerinnen generell ermäßigten Eintritt zu gewähren (irgendwann klagte ein sich diskriminiert fühlender Mann dagegen), bei Sturm Graz erhielt der weibliche Teil des Publikums sogar rosafarbene Tickets. Und noch im Jahr des Sommermärchens 2006 rief der 1. FC Saarbrücken ein Spiel gegen die Sportfreunde Siegen zum Frauentag aus – Frauen hatten freien Eintritt und wurden vom Stadionsprecher mit folgenden Worten begrüßt: „Liebe Frauen, das Grüne da unten ist der Rasen. Das Weiße sind die Tore. Das Rote, das ist der Gegner Sportfreunde Siegen. Jubeln dürft ihr erst, wenn unsere Jungs ein Tor gemacht haben.“
Es ist also gar nicht lange her, dass Frauen im Fußballkontext als putzig-grenzdebile Spezies behandelt wurden, die allerdings – verblüffend – mit eigenen Portemonnaies ausgestattet war. Und da wollte man selbstverständlich ran und will es bis heute.
Immerhin: Kein PR-Mann, der bei Verstand ist, würde mehr auf die Idee kommen, Trikots in Babyfarben könnten zu größeren Marktanteilen bei der weiblichen Zielgruppe führen. Doch weibliche Stimmen werden, sobald ein Gespräch in größerer Runde sich dem Fußball zuwendet, immer noch schnell überhört (für die Themen Wirtschaft und Politik gilt dasselbe).
Was nur zum Teil daran liegt, dass Frauen sich zu wenig für diesen Sport interessieren, um ernsthaft mitreden zu können. Männer lieben nun mal die Komplexitätsreduktion – sind dann auch noch Geschlechtsgenossen und Bierflaschen zugegen, kann es ihnen passieren, dass sie sich plötzlich in der gemütlichen Steinzeit-Höhle wähnen, wo die Frau im Bärenfell gefälligst eine gute Figur machen soll, aber kein Gegenüber auf Augenhöhe mehr ist. Direkt vor der Höhle wartet dann auch schon ein Team von RTL2. „Im Bett kann eine Frau so herrlich sein“, sagt Rudi Gutendorf, der als Trainer mit den meisten internationalen Engagements im Guinness Buch der Rekorde steht, bereitwillig in die Kamera. „Auf dem Fußballplatz wird sie mir aber immer schrecklich vorkommen.“
Aus röhrenden Zwölfendern werden normale Männer
Und Willi Lemke, Ex-Manager von Werder Bremen, fügt hinzu: „Das beste Trainingslager ist eine Frau, die eigene natürlich.“ Berti Vogts wiederum formuliert die wirklich bemerkenswerte tiefenpsychologische Einsicht: „Hass gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Frauen ausleben.“ Und der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau antwortet auf die Frage, ob ein Fußballstadion nicht auch mal nach einer Frau benannt werden könnte, von seiner Wolke herunter: „Und wie soll dann bitte so ein Stadion heißen? Vielleicht Ernst-Kuzorra-seine-Frau-ihr-Stadion?“
Wenn ich wieder einmal in einem Rudel männlicher Alphatiere feststecke, von denen nur die Hälfte wirklich über Fußball Bescheid weiß, mich aber entweder gar nicht erst zu Wort kommen lässt oder geflissentlich überhört (um dann, wenn Mathias wiederholt, was ich gerade gesagt habe, das einen interessanten Beitrag zu finden), aktiviere ich mein ganzes Mitgefühl für diesen Testosteron-Quatsch, der ja auch furchtbar anstrengend sein muss, und werde laut und grob. (Und nein, sexy ist das ganz sicher nicht.) Irgendwann blähen sie irritiert ihre Nüstern und halten kurz mal die Klappe.
In diesem kostbaren Moment von Ballbesitz gilt es, irgendetwas Tikitakamäßiges zur Verfügung zu haben, etwas, das mehr Kompetenz unter Beweis stellt als die Überlegung, ob es einer Mannschaft geholfen hätte, wäre sie öfter über die Außen gekommen (was sonst mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ein konstruktiver Diskussionsbeitrag ist), etwas, das frau weiterhin airtime sichert.
Spielsysteme und -philosophien bieten sich an, weil ihre Komplexität auch die meisten Männer an ihre Grenzen führt. Sind drei Sechser wirklich eine gute Idee? Sollte man die eigene Aufstellung nach dem Gegner richten? Hat nicht das Spanien der goldenen Generation immer sein Ding durchgezogen, ganz egal, wen Iniesta und Co. schwindelig spielten?
Gelingt solch ein überfallartiger Konter, werden aus röhrenden Zwölfendern ganz schnell wieder normalmoderne Männer, mit denen man sich vernünftig unterhalten kann.
Weiterlesen:
Der Text ist ein gekürzter Auszug aus „Ballbesitz – Frauen, Männer und Fußball“
(Mairisch Verlag, 11 €).