In der aktuellen EMMA

„Das ist ein Medizin-Skandal!“

Birgit Schäfers wurde nach dem Einsetzen von Brustimplantaten schwer krank. FOTO: Henning Schaffner/Axel Springer Syndication
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Frau Schäfers, wieso haben Sie sich Brustimplantate einsetzen lassen?
Ich hatte von Kindesbeinen an eine Essstörung und war schon sehr früh recht dick. Ich habe über viele Jahre unendlich viele Diäten gemacht und immer wieder ab- und zugenommen, insgesamt kommen da bestimmt 200 Kilo zusammen. Schließlich hatte ich es geschafft, nochmals 40 Kilo abzunehmen und konnte mein Gewicht halten. Nach den vielen Zu- und Abnahmen hatte ich dann sehr viel Hautüberschuss. Ich hatte immer große Brüste gehabt und jetzt war da nur noch sehr viel Haut. Es sah schlimm aus. Ich habe versucht, damit zurechtzukommen, aber ich habe mich Zeit meines Lebens für meinen Körper geschämt. Deshalb ist Scham für mich ein großes Thema, wie für viele Frauen. Ich wollte mir dann operativ die überschüssige Haut entfernen lassen, auch an den Brüsten. Aber ich bin an einen Arzt geraten, der mir Brustimplantate als das Nonplusultra verkauft hat. 

Was hat Ihnen der Arzt über die Implantate gesagt?
Nur die alten Implantate seien schlecht, die neuen seien sicher. Sie würden angeblich ewig halten, da könne sogar ein LKW drüberfahren, und es könne nichts passieren. Das gleiche Blabla, das Frauen heute immer noch zu hören bekommen. Er hat gesagt: „Wenn wir keine Brustimplantate machen, dann sind Sie ganz flach und sehen aus wie ein Junge! Ich mache Ihnen schöne Brüste!“ Und ich dachte: Endlich! Ich wollte mich nicht mehr schämen.

Wie war es dann nach der OP?
Die Brüste sahen tatsächlich sehr schön und nicht künstlich aus. Ich habe mich vier Jahre lang in meinem Körper frei und gut gefühlt. 

Und dann?
Nach vier Jahren begann mein Körper, an allen Ecken und Enden zu erkranken. Ich hatte Juckreiz, mein linker Arm war taub, ich hatte von jetzt auf gleich Sehstörungen. Ich hatte ständig Infektionen im Hals, Dauerhusten, war mit massiven Herzrhythmusstörungen und vielen anderen Symptomen oft in der Notaufnahme. Es ging mir so schlecht, dass ich dachte, ich sterbe. Lokale Schmerzen in der Brust hatte ich nicht, sodass ich das zunächst nicht mit den Implantaten in Verbindung gebracht habe. Ich habe viele Fachärzte aufgesucht und viele Krankenhäuser von innen gesehen. Niemand ist auf die Idee gekommen, dass es mit den Implantaten zu tun haben könnte. Dabei sind das alles typische Symptome für die Breast Implant Illness.

Haben Sie denn den Ärzten gesagt, dass Sie Brustimplantate haben?
Nein, weil ich selbst nicht auf die Idee gekommen bin, dass es damit zu tun haben könnte. Wir haben in den letzten Jahren rund 8.000 Frauen begleitet. Daher weiß ich: Auch die, die es ihren Ärzten sagen, gehen am Ende ohne Diagnose nach Hause, dafür sehr oft mit Psychopharmaka. 

In den Erfahrungsberichten, die Sie auf Ihrer Website veröffentlichen, schildern viele Frauen, dass die Ärzte behaupten: Die „Breast Implant Illness“, also durch Brustimplantate verursachte Krankheiten, existierten gar nicht.
So ist es. Dabei ist seit Dekaden bekannt, wie krank Brustimplantate machen können. Damals konnte man den Frauen noch weismachen, dass sie Einzelfälle seien. Heute geht das nicht mehr, weil wir inzwischen weltweit vernetzt sind. 

Wie viele Frauen erkranken an ihren Implantaten?
Darüber gibt es keine Zahlen, weil so viele Erkrankungen nicht den Brustimplantaten zugeordnet werden. Die plastischen Chirurgen sprechen gern von einem Prozent. Aber der holländische Rheumatologe Prof. Jan Willem Tervaert, der sich seit Jahrzehnten mit Silikon-Toxizität beschäftigt, spricht von ca. 25 Prozent. 

Das heißt, eine von vier Frauen wird von ihren Implantaten krank.
Und das erzählt natürlich kaum ein plastischer Chirurg im Aufklärungs­gespräch. Das hätte hohe Umsatzein­bußen zur Folge. Aber Fakt ist: Es ist ein russisches Roulette. Aber auch die Fachärzte wollen nichts davon wissen. Wir mailen sie an, wir schicken ihnen unsere Flyer, wir fragen, ob wir bei Kongressen sprechen dürfen. Aber es kommt keine Resonanz, außer von den Senologen. 

Wie kann das sein?
Brustimplantate sind eine Gelddruckmaschine. Das ist weltweit ein Milliardengeschäft, an dem sich plastische Chirurgen eine goldene Nase verdienen. Und was die Fachärzte anbelangt, also die Endokrinologen, Kardiologen oder Dermatologen und viele andere, zu denen Frauen mit ihren Symptomen gehen: Wie viele Minuten hat denn ein Schulmediziner pro Patientin? Und wenn die Blutwerte in Ordnung sind, dann heißt es eben: „Sie haben nichts!“ Und außerdem: Es geht bei diesem Thema eben „nur“ um Frauen. Wenn eine derartige Krankheits-Welle bei Männern aufträte, hätte man schon längst reagiert. 

Was tun Sie mit Ihrem Verein, um das zu ändern?
Zum einen klären wir die Frauen selbst auf. Aber wir sprechen auch mit dem BfArM, mit den Berufsverbänden der plastischen Chirurgen, mit den Fachärzte­schaften. Damit diese wissen: Wenn eine Frau zu ihnen kommt z. B. mit Haarausfall und Gelenkschmerzen, kann das an ihren Implantaten liegen. Es sollte als Standardfrage im Anamnesebogen stehen: „Tragen Sie Implantate?“ Und wir haben auch einigen mittellosen Frauen die Explantation bezuschusst, also die Entfernung der Implantate. Vor allem aber informieren wir über wichtige Aspekte rund um die Implantat­entfernung. Dazu gibt es viel zu wissen. 

Die Explantation wird nicht von den ­Krankenkassen übernommen, obwohl die betroffenen Frauen schwer krank sind?
In vielen Fällen nicht. Meist sowieso erst, wenn man eine Kapselfibrose hat, wenn sich also die Kapsel, die sich um das Implantat bildet, zusammenzieht und verdickt. Oder wenn ein Implantat kaputt ist. Die Krankenkassen ziehen sich darauf zurück, dass die Ursache für die Symptome angeblich nicht eindeutig den Implantaten zugeschrieben werden kann. Außerdem werfen sie den Patientinnen vor, dass sie selbst schuld seien: „Sie hätten sich das ja nicht einsetzen lassen müssen.“ Aber dann dürfte man auch keinen Raucher mit Lungenkrebs behandeln. 

Wie viel kostet so eine Entfernung der Implantate?
Zwischen ungefähr 6.000 und 18.000 Euro, je nach Umfang der OP. Viele der betroffenen Frauen stehen finanziell am Abgrund. Sie verlieren ihre Existenzgrundlage, weil sie nicht mehr arbeiten können. Häufig verlieren sie ihre Partnerschaften, denn eine chronische Krankheit der Frau stehen Beziehungen oft nicht durch. Daher begleiten wir viele Frauen, die nicht wissen, wie sie die Explantation bezahlen sollen. 

Der Ruf „Selber schuld!“ schallt Ihnen doch sicher oft entgegen.
Ja. Wenn wir an die Öffentlichkeit gehen, kriegen wir immer auch einen Shitstorm. Oft folgen Schuldzuweisungen und auch Beleidigungen. Motto: „Wie kann man denn so doof sein, ihr Tussis?“ 

Aus welchen Gründen lassen Frauen sich denn die Brustimplantate einsetzen?
In unserer Community haben wir Frauen mit Brustkrebs oder Brust-Fehlbildungen, wir haben Frauen nach starker Gewichtsabnahme wie bei mir oder Mütter, die Kinder gestillt haben und ihre Brust nicht mehr schön finden. Und natürlich auch Transfrauen. Aber wir haben in der Community auch viele Frauen, die einfach finden: Mein Busen ist zu klein. Das große Thema bei allen ist: Ich bin nicht weiblich genug! Ohne Brust oder mit einer Hängebrust oder mit einer ganz kleinen Brust bin ich keine richtige Frau. Und das ist ein gesellschaftliches Problem. Uns Frauen wird von Kindheit an gesagt, wie wir auszusehen haben. Wie dünn und faltenfrei wir sein müssen, wie unsere Brüste aussehen sollen. Deshalb gehört zu unseren Aktivitäten auch, am Thema Selbstliebe zu arbeiten. Denn es gibt ja, selbst bei Frauen mit Brustkrebs, letztlich keinen medizinischen Grund, sich Implantate einsetzen zu lassen. 

Wie machen Sie das?
Dazu bieten wir zum Beispiel Workshops mit Psychologinnen an. Gerade haben wir ein Projekt mit einer Fotografin, die ganz normale Frauenkörper mit all ihren „Makeln“ fotografiert. Und tatsächlich sagen viele Frauen, die einige Jahre bei uns sind und explantiert haben: „Endlich liebe ich meinen Körper so, wie er ist!“ 

Sie würden also sagen: Unter keinen Umständen ein Brustimplantat?
In meinen Augen gehören Brustimplantate nicht in einen Körper. Aber ich weiß, dass das gerade in den Brustkrebs-Communitys ein sehr sensibles Thema ist. Da gibt es Frauen, die unsere Arbeit sehr kritisch sehen und sagen: „Ich bin total glücklich mit meinen Implantaten!“ Da kann ich nur sagen: Das war ich auch. Und heute bin ich sehr krank. Und mit mir Tausende weitere Frauen, und natürlich gibt es eine enorm hohe Dunkelziffer. Wir empfehlen gerne den Verein AMSOB, das steht für: „Ablatio mammae – Selbstbewusst ohne Brust“. Das sind Frauen mit Brustkrebs, die sich bewusst gegen jeden Aufbau entscheiden. Und sie kämpfen dafür, dass bei einem Aufklärungs­gespräch der glatte Verschluss auch als Option auftaucht. Diese Möglichkeit wird nämlich oft gar nicht angesprochen! Für die Onkologen hat immer das Implantat Priorität. Es ist halt einfach nicht gewollt, dass sich Frauen gegen Brüste entscheiden. Die Geschichte mit den Implantaten hat übrigens begonnen, als man Prostituierten flüssiges Silikon in die Brüste gespritzt hat, also auch hier ein Geschäft.

Wie ging denn Ihre Geschichte weiter?
Ich bin bei der Arbeit vom Stuhl gefallen, lag schließlich nur noch und war so weit, dass ich mein Testament gemacht habe. Meine Schwester wies mich dann auf eine Facebook-Gruppe von Frauen mit Brustimplantaten aus den USA hin. Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Ich habe drei Wochen lang Tag und Nacht gelesen und wusste: Die Dinger müssen raus! Ich hatte aber keinerlei deutschsprachige Informationen: Keine Ansprechpartner, keine Anlaufstelle, keine Ärzte, die sich auskennen. Deshalb bin ich zu meinem Implanteur gegangen. Er hat mir das Blaue vom Himmel versprochen. Der Chirurg ist dann bei der OP überrascht worden von einem völlig zermatschten Implantat auf meiner rechten Seite. Damit war er völlig überfordert. Und dann ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann. Das hat meine Krankheit dann nochmal verschlimmert. 

Bei Ihnen war also ein Implantat geplatzt. Erkranken auch Frauen mit intakten Implantaten?
Ja. Wir haben Frauen in der Community, die haben ihre Implantate zehn oder zwanzig Jahre. Und wir wissen inzwischen, dass jedes Implantat von Anfang an kleinste Partikel Silikon in den Körper abgibt. Defekte Implantate richten natürlich im Körper noch mehr Unheil an. Aber wir haben weltweit extrem viele geschädigte Frauen, die intakte Implantate hatten und trotzdem erkrankt sind. Bei verstorbenen Frauen wurde Silikon überall im Körper gefunden, auch im Gehirn. 

Es gibt also Frauen, die an der Breast Implant Illness sterben?
Ja. Eine Freundin von mir ist letztes Jahr mit 37 daran gestorben. Einer anderen Frau aus unserer Gruppe, einer Holländerin, wurde zuerst ein Arm, dann ein Fuß amputiert. Sie ist letztlich dann aber auch gestorben. Das wird aber unter den Teppich gekehrt. Diese Todesfälle gelten nicht als Folge der Implantate.

Das ist also ein richtiger Medizinskandal.
Natürlich!

Aber warum hört man darüber so wenig?
Es gab immer Skandal-Implantate wie Dow Corning in den 1990ern oder die PIP-Implantate, bei denen der Hersteller Bau-Silikon verwendet hatte. Darüber wird dann groß berichtet. Was gut ist, aber dadurch wiegen sich viele Frauen in Sicherheit. Sie schlussfolgern: Diese Implantate habe ich ja nicht, also ist bei mir alles in Ordnung. Es gibt aber keine sicheren Brustimplantate. Das ist ein Märchen. Wir haben weltweit unter den Geschädigten jeden Implantat-Hersteller vertreten.

Wie kann es denn sein, dass das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“, kurz: BfArM, solche Implantate freigibt?
In unserem Podcast, in dem ich mit Expertinnen und Experten zum Thema rede, habe ich mit einer zertifizierten Auditorin für Medizinprodukte gesprochen. Sie hat uns erzählt, wie lasch diese Zertifizierungsprozesse für Medizinprodukte sind. Wir mussten ihren Namen verändern und ihre Stimme nachsprechen, weil sie anderenfalls Konsequenzen fürchtete. 

Und was sagt das „Bundesinstitut für Arznei­mittel und Medizinprodukte“ dazu?
Wir haben mit dem BfArM über lange Zeit immer wieder gesprochen. Es wurde sich gewunden, die Informationen über Brustimplantate auf der Homepage auch nur ein bisschen zu verschärfen. Auch mit den deutschen Vereinigungen der plastischen Chirurgen haben wir, gemeinsam mit den amerikanischen Aufklärerinnen von gpac.org, anderthalb Jahre Gespräche geführt. Wir wollten erreichen, dass es vor Brustvergrößerungen die ausführ­liche Checkliste für Frauen gibt, die auch in den USA verwendet wird. Am Ende haben wir erreicht, dass die Breast Implant Illness in den Aufklärungs­bogen aufgenommen wurde. Die Formulierung war uns aber immer noch zu weichgespült, denn dort stand, die BII würde nur selten und bei wenigen Frauen auftreten. Es sind aber schon lange nicht mehr wenige. Wir haben dann gemeinsam mit den Chirurgen eine andere Formulierung gefunden. Das war im Mai 2023. Seitdem ist nichts passiert. Dabei gibt es für Ärzte bei kosmetischen Operationen gesetzlich eine erhöhte Aufklärungspflicht. Sie müssen umfassend und schonungslos aufklären. Aber das passiert meist nicht.

Allein im Jahr 2022 gab es 76.000 Brustvergrößerungen in Deutschland. Tendenz steigend.
Das liegt auch daran, dass wahnsinnig viel Werbung dafür gemacht wird, auch durch Influencerinnen. Brustimplantate werden als sicher und als Weg in die Perfektion angepriesen. 

Wie geht es Ihnen heute?
Ich gehöre zu den rund 15 Prozent Betroffenen, die nicht mehr genesen. Ich bin zu 60 Prozent schwerbehindert. Ich weiß nie, wie mein Tag wird. Ich habe viele bleibende Schäden, wie z. B. Nervenschmerzen am ganzen Körper. Ich habe häufig Herzprobleme und immer wieder Sehstörungen und Pro­bleme mit meinem Arm, der taub wird. Für meinen Behindertenausweis musste ich zwei Jahre lang klagen. Man hat mich zu einer Psychiaterin geschickt. Was weiß bitte schön eine Psychiaterin über Silikon-Toxizität? Sie hat das Ganze abgeschmettert und ich beschritt den Klageweg. Das habe ich aber nicht nur für mich gemacht. Ich wollte, dass das Problem anerkannt wird. Eine gehörige Portion Wut hilft unserem Team von Betroffenen, weiter Frauen aufzuklären und sie rechtzeitig zu erreichen.    

Das Interview führte Chantal Louis.

 

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