Gehörnt: Männer vs. Frauen
Eine geschmackvoll gekleidete Frau liegt erschöpft in einem Pariser Park. Sie hat der Welt den Rücken gekehrt, ihren Plastikordner mit beruflichen Notizen vor sich abgelegt. Weiter hinten auf dem Gras springt ein weißes Blatt Papier ins Auge. Und schon hat eine Böe weitere Bögen erfasst, der Windstoß verteilt sie über die Wiese. Da schreckt die Frau hoch und jagt ihren Aufzeichnungen hinterher.
Mia Hansen-Løve hat in ihrem Film „Alles was kommt“ eine banale Situation aus dem Alltag inszeniert, doch sie versinnbildlicht, wie schrecklich es ist, wenn das eigene Leben von fremden Mächten erfasst wird und in Turbulenzen gerät. Im Fall von Hansen-Løves Protagonistin ist es die Nachricht, dass ihr Ehemann sie nach 25 Jahren verlassen wird - für eine jüngere Frau.
Wenn das eigene Leben von frem-
den Mächten
erfasst wird
„Alles was kommt“ wurde im Februar 2016 auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Doch nicht nur Hansen-Løve beschäftigte das Thema. Auch Thomas Vinterbergs ebenfalls preisgekrönter Film „Die Kommune“, der im April ins Kino kam, und Denis Côtés „Boris sans Beatrice“ widmeten sich diesem Wendepunkt im Leben einer Frau. Während sich Côtés „Boris sans Beatrice“ auf die Entwicklung des Mannes konzentriert und ihn überraschend läutert, erkunden „Alles was kommt“ und „Die Kommune“ den Seelenzustand der gehörnten Ehefrauen.
Für die bürgerliche emanzipierte Philosophielehrerin Nathalie in „Alles was kommt“ ist ihre Arbeit Berufung; sie ist intellektuell, resolut und patent. Isabelle Huppert verleiht diesem Charakter eine beeindruckende Präsenz. Ihren privaten Alltag meistert sie wie nebenbei, sie versorgt ihre Familie und kümmert sich auch noch um die depressive Mutter. Die linke Intellektuelle hat nach einer kurzen kommunistischen Phase, nach der Lektüre von Solschenizyns „Der Archipel Gulag“, der Politik abgeschworen. Seitdem beschäftigt sie, wie revolutionäre Bewegungen in Terror umschlagen können.
Darum beginnt bei ihr Emanzipation und Freiheit beim Denken, beim Selbstdenken an, das dem Individuum erlaubt, sich von diktierten Schemata unabhängig zu machen. Das will sie im besten aufklärerischen Sinn auch ihren SchülerInnen vermitteln und in diesem Geist mit ihnen eine philosophische Gemeinschaft bilden.
Wie kann ein Mensch nach solchen Schlägen weiterleben?
Aber die Regisseurin zeigt auf, dass ihre Figur Nathalie nicht so frei ist, wie sie vorgibt, und ihr Ideal nicht überall auf Zustimmung stößt. Und wie die individuelle Figur der Nathalie befindet sich gegenwärtig auch die ganze humanistische Bildung und das kritische Denken in der Krise.
Wie kann eine Frau, ein Mensch, nach all diesen Nackenschlägen weiterleben? Der Film gibt als Antwort: Es lohnt nicht, gegen Tatsachen anzugehen, man sollte weiter nach „wahrem Glück“ suchen. Für Nathalie liegt es nicht in einer neuen Beziehung: Soll sie etwa „mit einem alten Mann“ „neu anfangen“?, wie sie selbst klagt.
Auch in Thomas Vinterbergs „Kommune“ geht es um Entscheidungen, um Ideale und um die Frage der Selbstbestimmung. Seine Protagonistin Anna, eine arrivierte Nachrichtenmoderatorin, will eine Veränderung in ihrem Beziehungsleben. Ein glänzender Unterhalter ist ihr Ehemann, ein nüchterner Architekt, nicht gerade. Ihre Chance sieht sie in einem alternativen Lebensmodell, in einer Kommune. Doch indem sie „phantastische Menschen“ um sich schart, kommt ihr Mann zu kurz.
Eine Frau mit Selbstanspruch, bis hin zur Selbsternie-
drigung
In diese Lücke zwängt sich eine andere hinein, eine 24-jährige Studentin, die der Ehefrau wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Um die Ehe zu retten, wird die Freundin des Mannes in die Kommune aufgenommen. Und das Ende vom Lied? Obwohl Anna von ihrem Selbstanspruch erdrückt wird, hält sie weiter fest an der Ehe. Bis zur Selbsterniedrigung.
Vinterbergs Geschichte, die in den siebziger Jahren spielt, macht auch lebendig, wie Kinder beim revolutionären Aufbruch ihrer Eltern emotional missbraucht, rücksichtslos in die Angelegenheiten der Erwachsenen hineingezogen werden. Und sie dokumentiert die Härte der Frau gegen sich selbst und die des Mannes gegen die anderen. Das Glücksversprechen kann für beide Geschlechter nicht wechselseitig verwirklicht werden, sondern fordert einmal mehr das weibliche Opfer. Im Zweifelsfall behauptet der Mann seine Gefühle und Interessen.
Aufschlussreich auch der Blick darauf, wie Männer im deutschen Film das Betrogenwerden bewältigen. Der Mann will es mit seinen Freunden gemeinsam noch einmal richtig krachen lassen, als wolle er demonstrieren, wie wenig ihn sein Schicksal berührt. So wird in „Happy Hour“ der verlassene Ehemann Hans-Christian von seinen Freunden überredet, mit ihnen nach Irland zu fahren. Sie wollen ihn seinen Kummer vergessen machen und ihn vor allem zu einem ‚richtigen’ Mann erziehen.
Ein Tripp mit Freunden und dabei den "echten Mann" rauslassen
Die Freunde sind: der resolute, verklemmte Wolfgang, der anderen gern die Welt erklärt und seine Freunde herumkommandiert, und Luftikus Nic, der einem Abenteuer nie abhold ist, auch wenn es gerade die Flamme des Freundes ist.
Doch bei dem beleibten Hans-Christian, ein Weichei und Familienmensch, schlägt das Erfolgsrezept nicht wie erwünscht an. Weder hat er Lust, eine Frau aufzureißen, noch ist ihm damit geholfen, seine Frau zu bestrafen.
Im Gegenteil, die Selbstbehauptung kehrt sich am Ende gegen die Freunde, von denen er sich benutzt fühlt: „Nichts habt ihr begriffen, es interessiert euch überhaupt nicht, was ich denke, wie ich fühle“. Durch seinen Protagonisten Hans-Christian fordert der deutsche Regisseur das Recht ein, anders zu sein.
Ja, Männer-Filme wie „Happy Hour“ bereichern das Kino und Frauen-Filme wie „Alles was kommt“ oder „Die Kommune“ bieten tiefe Einblicke.
"Alles was kommt" läuft ab 18. August im Kino.