In der aktuellen EMMA

Die Pionierinnen: Geld ist Macht!

Das sind die tapferen Frauen, die anno 1910 die erste „Frauenbank“ gegründet haben. Die sollte für alle da sein: für Dienstmädchen wie Unternehmerinnen.
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Im letzten Semester hatte die Stiftung 27 Voll- und eine Halbstipendiatin. Die Medizinerinnen bilden davon mit der Zahl 14 die volle Hälfte, wobei 11 schon das Physikum hinter sich haben. Bemerkenswert sind auch die vielen Lehrerinnen, die das Abitur nachgemacht haben, um das Staatsexamen ablegen zu können. 3 Damen studieren Zahnheilkunde, eine, die regelrecht als Apothekerlehrling vorgebildet ist, Pharmacie.“ Das berichtete am 15. November 1905 die Zeitschrift Neue Bahnen, herausgegeben vom „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ (ADF), über die vergangene Geschäftsperiode der Ferdinand und Louise Lenz-Stiftung. 

Begeisterung herrscht bei den Neuen Bahnen aber nicht nur über die Zahl der geförderten Studentinnen. Auch die „Energie, die manche der Studierenden unter schwierigsten Umständen zeigen“, sei „ganz bewundernswert“. 

Und die Umstände sind weiß Gott schwierig. So dürfen sich Frauen im Deutschen Reich anno 1905 in gerade einmal drei Bundesstaaten – Baden, Bayern und Württemberg – legal an den Universitäten immatrikulieren, in allen anderen ist das Frauenstudium der Willkür der Dekane und Professoren ausgeliefert. Doch selbst in den drei fortschrittlichen Bundesstaaten werden weiblichen Studenten immer noch reichlich Steine in den Weg gelegt. 

„Bayern macht neuerdings Schwierigkeiten mit der Anerkennung von Maturitätszeugnissen, die von Mädchengymnasien ausgestellt sind. Also so ganz sicher vor unliebsamen Überraschungen sind die Studentinnen immer noch nicht“, berichten die Neuen Bahnen und geben sich dennoch zuversichtlich: „Hoffen wir, dass mit dem Erfolg immer mehr die Einsicht durchbricht, dass die Zeit gebildete, selbständig denkende Frauen braucht für die Familie, für die Gemeinde und den Staat.“ Und: „Möge die junge Generation nie vergessen, was sie den Vorkämpferinnen verdankt!“

In der Tat: Die junge Frauengeneration, die Anfang des 20. Jahrhunderts antritt, um die Universitäten zu stürmen, die ihr so lang verschlossen waren, steht auf den Schultern ihrer Vorgängerinnen. Die hatten jahrzehntelang hart dafür gekämpft, dass auch Frauen Zugang zu den Hörsälen bekommen. Und die Pionierinnen haben diesen Kampf nicht nur auf der politischen Bühne geführt, sondern auch mit einem höchst effizienten Mittel: Geld.

„Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand aus der Frauenbewegung heraus eine ganze Anzahl von Stiftungen“, berichtet die Historikerin Gilla Dölle in der feministischen Zeitschrift Ariadne. „So stellten einzelne vermögende Frauen, die sich im weitesten Sinne der Frauenbewegung zugehörig fühlten, ihr Kapital für frauenpolitische Zwecke zur Verfügung. Aber auch einzelne Vereine und Verbände der Frauenbewegung bedienten sich der Organisationsform Stiftung und stifteten ihre Mitstreiterinnen an, sich finanziell zu engagieren.“ 

Engagement, das war den Frauenrechtlerinnen klar, war vor allem im Bereich der Frauenbildung dringend nötig. Und so beschloss der „Allgemeine Deutsche Frauenverein“ 1879 auf seiner Generalversammlung in Heidelberg, einen Stipendienfonds für Studentinnen zu gründen. Dieser dümpelte einige Jahre mit Kleinstspenden vor sich hin, bis 1885 zum ersten Mal eine Großspende von 1.000 Mark einging, „von einem unbekannten Freund des Frauenstudiums“. 

Der „unbekannte Freund“ erwies sich schon bald als Freundin: Louise Lenz-Heymann. Die 1825 im Schwarzwald geborene Pfarrerstochter war nach dem Tod ihres Mannes Ferdinand, eines reichen Porzellanfabrikanten, dessen Universalerbin geworden und setzte das beträchtliche ererbte Vermögen zur Förderung des Frauen­studiums ein. Und das durchaus im Sinne ihres verstorbenen Mannes. 

Ferdinand Lenz hatte, vermutlich unter dem Einfluss seiner feministischen Gattin, selbst verfügt, dass mit dem Geld Frauen beim Studium unterstützt werden sollten, genauer: „unbemittelte Töchter des deutschen Reichs, welche Medizin, Pharmacie oder Chemie studieren“. Den Lenzens war offenbar klar, dass ein naturwissenschaft­liches Studium für Frauen mit noch höheren Hürden verbunden war als ein geisteswissenschaft­liches. Und dass Ärztinnen, Apothekerinnen und Chemikerinnen als Rolemodels die Sache der Frauen weit nach vorne bringen würden. 

Erst nach ihrem Tod im Jahr 1899 wurde öffentlich bekannt, wer die edle feministische Spenderin gewesen war, die bis dahin stolze 600.000 Mark an den ADF hatte fließen lassen, davon allein 80.000 Mark als „Kapital zur Gründung eines Gymnasiums für Frauen“. Als Lenz-Heymann starb, gründete der ADF unter Leitung von Louise Otto-Peters die „Ferdinand und Louise Lenz-Stiftung“ zur „Förderung höherer Bildungszwecke für weibliche Personen und Unterstützung von Studentinnen sowie zur Unterhaltung der Gymnasialkurse des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Leipzig.“ Insgesamt vergab die Stiftung über 900 Stipendien an Frauen, die ohne das Geld nicht hätten studieren können.  

Ein ähnliches Konzept hatte der Studienfonds der „Helene-Lange-Stiftung“, der 1910 in Berlin gegründet wurde. Helene Lange, Aktivistin des sogenannten gemäßigten Flügels der Frauen­bewegung, hatte selbst hart um ihre Ausbildung als Lehrerin kämpfen müssen. Sie stiftete aus ihrem Vermögen 39.000 Mark, von denen sie selbst wiederum einen Großteil als Spenden zu ihrem 60. Geburtstag erhalten hatte. Hinzu kamen weitere Spenden und Schenkungen. Der Fonds, der auch wissenschaftliche Arbeiten förderte, unterstützte 28 Studentinnen bei der Finanzierung ihres Studiums. 

Im Jahr 1914 erscheint im Deutschen Reich die erste Ausgabe einer Zeitschrift mit einem wegweisenden Titel: Frauenkapital – eine werdende Macht. Herausgeberinnen sind Marie Raschke und Emma Stropp. Die zwei Frauen sind seit einigen Jahren im Finanzgeschäft tätig und hatten das Prinzip „Geld ist Macht“ bereits 1910 in die Tat umgesetzt: Sie haben eine „Frauenbank“ gegründet. Ihre Idee: Es brauche eine Bank, „welche die Frauen wirtschaftlich zusammenfasst, ihnen im Bedarfsfalle Kredit gegen Sicherheit gibt, sie ­veranlasst, Geld durch ihr eigenes Institut zu verwalten, und sie lehrt, selbständig zu disponieren und ihre Geld- und Vermögensgeschäfte nicht lediglich durch die Hände der Männer gehen zu lassen“, räsoniert die Aufsichtsratsvorsitzende Marie Raschke in Frauenkapital

In Zeiten, in denen verheiratete Frauen die Erlaubnis ihres Ehemannes für jegliche Finanzgeschäfte benötigen (bis 1958!) und auch unverheiratete Frauen gemeinhin nicht als „kreditwürdig“ gelten, will die Frauenbank die Macht der Männer über das Geld aushebeln. Und damit letztlich die Macht der Männer über die ganze Gesellschaft. 

Die Frauenbankerinnen denken groß. Ihre Vision: „Wie von unseren Großbanken das Wohl und Wehe nicht nur der kleinen und großen Geschäftsbetriebe, sondern auch des Staates in seinen volkswirtschaftlichen Unternehmungen abhängt, wie über Krieg und Frieden in den Bureaus der großen Bankhäuser mit entschieden wird, so soll und wird die Frauenbank sich als Grundpfeiler des gesamten Frauenwirtschafts­lebens für die Zukunft erweisen und dann eine Macht entfalten, mit der Staat und Volkswirtschaft zu rechnen haben.“ Die Frauenbank, so die Idee, soll für alle da sein: vom Dienstmädchen bis zur Unternehmerin. Auch die Frauenverbände sollen ihre Geschäfte über die Frauenbank abwickeln. „Mit der Ansammlung der Kapitalien werden die Frauen auch wirksam den Kampf um ihre langerstrebten Rechte siegreich zu Ende führen können. Mit dem mächtigsten Faktor, der das öffentliche Leben beherrscht, dem Gelde, werden sie das Ziel erreichen.“

Am Ende wird die visionäre Idee scheitern. Deutschlands erster – und bis heute letzter – Frauenbank kommt der Erste Weltkrieg dazwischen und damit auch der erbitterte Richtungsstreit der Frauenverbände: Während die „Gemäßigten“ in die allgemeine Kriegseuphorie einstimmen, stellen sich die „Radikalen“ konsequent gegen den Krieg und verbünden sich mit Pazifistinnen anderer Länder. Ob neben der Zerrissenheit ihrer Mitglieder auch finanzielle Fehlentscheidungen zum Ende der Frauenbank führten, ist nicht bekannt. Fest steht jedoch: Die Gründung der Frauenbank war ein ebenso kluger wie kühner Versuch, den auch wegen Mittellosigkeit machtlosen Frauen zu mehr Macht zu verhelfen.

Die „Ferdinand und Louise Lenz-Stiftung“ und die „Helene-Lange-Stiftung“ überlebten den Krieg, erlitten jedoch einen ersten herben Schlag durch die katastrophale Inflation, die 1923 als Kriegsfolge über das Land hereinbrach und alle Vermögen entwertete. Der zweite und für die finanziell ohnehin schwer angeschlagenen Stiftungen tödliche Schlag kam zehn Jahre später. Die Nazis stellten die Frauen-Stiftungen unter Aufsicht, um sie „mit den heutigen Anschauungen in Einklang zu bringen“. Das war das Ende der beiden Stiftungen im Sinne ihrer Gründerinnen. 

Das dramatische Jahr 1923 war jedoch auch Beginn einer großartigen Idee: Jüngere Frauenrechtlerinnen sollten in einer Art eigenem kleinen Rentensystem ältere Frauenrechtlerinnen stützen, die nun betagt und nicht selten mittellos oder jedenfalls finanziell knapp ausgestattet waren. Die 1923 gegründete Altershilfe-Stiftung wird nach Gertrud Bäumer benannt, von 1910 bis 1919 Vorsitzende des „Bundes Deutscher Frauenvereine“ (BDF), Reichstagsabgeordnete und Lebensgefährtin von Helene Lange.  

„Die eingehenden Geldbeträge lagen zwischen einer und mehreren Hundert Mark; auch die Abführung eines Prozentanteils vom Gehalt war nicht ungewöhnlich. Viele Spenden kamen von berufstätigen Frauen, aber auch einzelne Männernamen sind auf den Dankeslisten zu finden“, weiß Historikerin Gilla Dölle. 

Doch auch diese Stiftung musste schließlich nach der Machtergreifung der Nazis ihre Tätigkeit einstellen. Bis dahin veröffentlichte die Altershilfe Jahr für Jahr einen Aufruf: „Wir bitten unsere Mitglieder und Freunde sehr herzlich, auch im kommenden Jahr in ihren Bemühungen nicht zu erlahmen und darauf bedacht zu sein, uns Zeichner regelmäßiger Zuwendungen zu verschaffen“, heißt es da. „Seien wir immer eingedenk, dass unsere Arbeit in der Frauenbewegung und im öffentlichen Leben nur möglich ist, weil viele Frauen der älteren Generation mutig und selbstlos genug waren, ihr ihr ganzes Leben zu weihen!“

Dieser Akt der Solidarität zwischen junger und alter Feministinnen-Generation bleibt bis heute beispiellos.  

 

 WEITERLESEN: Gilla Dölle: Die (un)heimliche Macht des Geldes (vergriffen, u. a. im Frauen­MediaTurm einsehbar), Archiv der deutschen Frauenbewegung (Hrsg.): Ariadne – Stifterinnen.

 

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