Listige Frauenlisten
Wenn diese EMMA erscheint, werden wir wissen, wer die drei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewonnen hat. Was wir wohl wieder einmal nicht wissen werden, ist: Wo haben die weiblichen Wähler ihr Kreuz gemacht? Denn obwohl meist eine beachtliche bis gewaltige Kluft zwischen Wählerinnen und Wählern klafft, berichten die Medien so gut wie nie über den so genannten Gender Gap. Aber vielleicht ist das ja diesmal anders.
Denn inzwischen sind die Kommunalen Frauenlisten auf den Plan getreten, die die Abwesenheit der Geschlechterfrage in den Säulen- und Tortendiagrammen am Wahlabend nicht länger hinnehmen wollen. Auf ihrem Bundeskongress verabschiedeten die Vertreterinnen aus rund 50 Städten eine Resolution: „Wir fordern die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender auf, das Wahlverhalten nach Geschlechtern getrennt zu veröffentlichen.“
Und an die WahlanalytikerInnen von der Forschungsgruppe Wahlen und Infratest Dimap schrieben sie: „Sie wissen, dass sich das Wahlverhalten von Frauen und Männern bisweilen deutlich unterscheidet. Warum fehlt diese Unterscheidung in Ihrer Kurzanalyse direkt nach der Wahl?“ Die listigen Frauen bekamen eine ganze Menge Antworten.
Zum Beispiel von Jörg Schönenborn, WDR-Chefredakteur und bei der ARD Herr über Säulen und Torten. „Ich kann Ihre Motivation aus mehreren Gründen gut verstehen“, schreibt er. „Denn es geht Ihnen natürlich um den politischen Stellenwert der Gruppe der Wählerinnen.“ So ist es. „Frauen würde bewusst werden, dass sie eine eigene Interessengruppe sind“, argumentiert Susanne Berger von der Frauenliste Berkheim, einem kleinen Ort bei Memmingen.
„Interessant und bedenkenswert“ findet heute-Moderatorin Petra Gerster die FrauenInitiative; genau wie Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. Beide versicherten, die Forderung der Frauen an diejenigen weiterzuleiten, die die Zahlen für die Berichterstattung liefern: Infratest Dimap bzw. Forschungsgruppe Wahlen.
Die wollen den Vorwurf, nicht oder zu spät über das weibliche Wahlverhalten zu informieren, nicht auf sich sitzen lassen. „Wenn es signifikante Unterschiede im Wahlverhalten von Frauen und Männern gibt, können Sie sicher sein, dass wir bereits in unserer Pressemitteilung um ca. 18.45 Uhr am Wahltag darauf aufmerksam machen“, antwortet Yvonne Schroth von der Forschungsgruppe. Nur gebe es die selten.
„Das kommt ganz darauf an, wie man die Statistiken liest“, kontert Susanne Berger. Stimmt. So hätte zum Beispiel Hannelore Kraft eine satte rot-grüne Mehrheit gehabt, wenn in Nordrhein-Westfalen nur Frauen gewählt hätten. Richtig spannend wird die Sache dann, wenn man die Kategorie Alter dazu nimmt. So haben zum Beispiel die jungen Frauen bei der Bundestagswahl 2009 zum ersten Mal seit Jahrzehnten mehrheitlich CDU gewählt – eine Sensation, die niemand so recht bemerkte. Und die zu einem nicht unerheblichen Teil Ursula von der Leyen geschuldet sein dürfte, die mit Elternzeit und Vätermonaten die SPD blass aussehen ließ.
Dass Frauen bisweilen andere Interessen haben als Männer, weiß kaum jemand besser als Aktivistinnen der Frauenlisten, die in ihren bayerischen oder baden-württembergischen Dörfern um Kindergartenplätze und andere Ungeheuerlichkeiten kämpfen. Die Listen namens WIR (Weiber ins Rathaus) oder „Vertrauen in Frauen“ sind in Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg eine feste Größe in der Kommunalpolitik. Weil das Wahlrecht der drei Bundesländer es erlaubt, mehrere Stimmen auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu „häufeln“, haben hier auch kleine Gruppen große Chancen, einen oder auch mehrere Sitze in den Gemeinderäten zu erobern. Und dann vereint Resolutionen zu verabschieden.
„Ich nehme Ihr Schreiben gern als Anregung, die Geschlechterfrage an Wahlabenden noch schärfer in den Blick zu nehmen“, versicherte Jörg Schönenborn. Ob er seine Ankündigung bei den drei Landtagswahlen wahr gemacht hat, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
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