„Gerechtigkeit für Tiere!“

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Was ist das, der sogenannte Fähigkeitenansatz, und warum sollten sich Anwälte, die sich für Tiergerechtigkeit einsetzen, dafür interessieren? Es ist leicht zu sagen, was dieser Ansatz nicht ist. Er stuft Tiere nicht nach ihrer Ähnlichkeit mit dem Menschen ein oder strebt nach besonderen Privilegien für diejenigen, die als „uns am ähnlichsten“ gelten, wie dies einige andere verbreitete theoretische Ansätze tun.

Der Fähigkeitenansatz sorgt sich um den Fink und das Schwein ebenso wie um den Wal und den Elefanten, und er legt dar, dass die menschliche Lebensform schlichtweg irrelevant ist, wenn wir darüber nachdenken, was die einzelnen Tierarten benötigen und was ihnen zusteht. Was zählt, ist deren je eigene Lebensform.

So wie der Mensch danach strebt, die charakteristischen Güter eines menschlichen Lebens genießen zu können, so strebt der Fink nach dem Leben eines Finken und der Wal nach dem Leben eines Wals. Wir sollten also unsere Perspektive erweitern und hinzulernen, statt uns Tiere als minderwertige Menschen vorzustellen, die nach einem Leben streben, das unserem eigenen ähnlich ist.

Nach dem Fähigkeitenansatz sollte jedes empfindungsfähige Lebewesen, das in der Lage ist, eine subjektive Sicht auf die Welt zu haben sowie Schmerz und Freude zu empfinden, die Möglichkeit haben, sich in der für dieses Lebewesen charakteristischen Lebensform zu entfalten.

Dem Fähigkeitenansatz geht es auch nicht nur um Schmerz und Lustempfindungen wie dem gegenwärtig bekanntesten Ansatz in der Frage der Gerechtigkeit für Tiere. Der beruht auf dem klassischen Utilitarismus des britischen Philosophen Jeremy Bentham aus dem 18. Jahrhundert und wurde von dem zeitgenössischen australischen Philosophen Peter Singer aktualisiert. Schmerz ist in der Tat sehr, sehr wichtig und eine der Hauptursachen für Ungerechtigkeit und Leid im Leben von Tieren. Doch er ist nicht die einzige.

Tiere bedürfen auch der sozialen Interaktion, oft in einer großen Gruppe von Artgenossen. Sie benötigen Platz, um sich bewegen zu können. Sie brauchen Spiel und Anregung. Sicherlich sollten wir Schmerzen für Tiere vermeiden; doch wir sollten auch an die anderen Aspekte des sich voll ständig entwickelnden Lebens eines Tieres den ken. Wir Menschen würden uns nicht für ein schmerzfreies Leben entscheiden, wenn dies bedeuten würde, dass wir auf Liebe, Freundschaft, Aktivität und die anderen Dinge verzichten müssten, die uns wichtig sind. Die Bedürfnisse von Tieren sind ebenso vielfältig.

Darum benötigen wir eine neue Theorie, um der Politik und der Gesetzgebung den Weg zu weisen, wenn wir versuchen, unserer ethischen Verantwortung gegenüber den Tieren gerecht zu werden – Dafür ist der Fähigkeitenansatz die beste Grundlage für ethische und politische Interventionen in Bezug auf Verhaltensweisen, die diese Leben zerstören und behindern.

Derzeit sind drei fehlerhafte Theorien in der Rechtswissenschaft und der Philosophie in Gebrauch: Eine auf den Menschen ausgerichtete Theorie, die ich den „Uns so ähnlich Ansatz“ nenne und die versucht, (ausschließlich) Lebewesen zu helfen, die dem Menschen sehr ähnlich sind. Dann ist da die utilitaristische Theorie von Jeremy Bentham, John Stuart Mill und Peter Singer, die sich auf Lust und Schmerzempfinden konzentriert. Und schließlich ist da der kantische Ansatz der Philosophin Christine Korsgaard, der große Fortschritte in Bezug auf die Achtung der Würde des Lebens von Tieren macht, aber – behaupte ich – bei einigen Schlüsselaspekten selbst hinter dem Geforderten zurückbleibt.

Ich vertrete die Auffassung, dass Tiere Rechte besitzen, d. h. einen auf Gerechtigkeit beruhenden Anspruch haben auf ein Leben, in dem sie sich voll ständig entwickeln können. Das Schlüsselkonzept ist für mich die Empfindungsfähigkeit: Gerechtigkeit gilt nur für Tiere, die über eine Anschauung der Welt verfügen, und nicht für solche, die keine besitzen, ebenso wenig wie für Pflanzen.

Es gibt zwei Haupttypen von Tieren in unserer Welt: Tiere, die mit uns und in unserer Nähe leben, und „wilde Tiere“, die sich nicht als mit dem Menschen symbiotische Tiere entwickelt haben – die meiner Meinung nach dennoch gar nicht wirklich wild sind, da alle Tiere in von Menschen beherrschten Räumen leben. Es stellt sich die Frage, was der Fähigkeitenansatz dazu zu sagen hat, wie Recht und Politik mit diesen Tierleben umgehen sollten.

Schließlich geht es um das Recht – die bestehenden nationalen wie auch internationalen Gesetze mit ihren zahlreichen Mängeln – und die Frage, über welche juristischen Ressourcen wir verfügen, um einen besseren Weg zu finden. Wir Menschen können und müssen bessere Antworten finden. Das Recht der Tiere kann und muss besser werden.

Nach meiner Auffassung ist die heutige Zeit die Zeit eines großen Erwachens: Wir werden uns unserer Verwandtschaft mit einer Welt bemerkenswerter intelligenter Lebewesen bewusst und verstehen, dass wir für unseren Umgang mit ihnen wirkliche Verantwortung übernehmen müssen, um eine wahrhaft globale Gerechtigkeit zu erreichen, die alle empfindungsfähigen Wesen umschließt.

Politiker und Akademiker sprechen häufig von „globaler Gerechtigkeit“ als einem Ziel, dem wir nachstreben sollten. Allzu oft sind ihre Bemühungen und Projekte jedoch nicht wirklich global. Mit diesem Begriff meinen sie in der Regel Gerechtigkeit für die Menschen, unabhängig davon, wo sie leben. Das ist natürlich durchaus ein hehres Ziel, das wir anstreben sollten.

Wir dürfen dabei allerdings nicht vergessen, dass eine wirklich globale Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit ist, die sich für den Schutz der Rechte aller empfindungsfähigen Lebewesen ein setzt, ganz gleich, wo sie leben, ob an Land, im Meer oder in der Luft; und es muss wirklich eine Gerechtigkeit sein, der es darum geht, die Hindernisse zu beseitigen, die empfindungsfähigen Lebewesen bei dem Versuch, ihre Ziele zu erreichen, im Wege stehen.

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus „Gerechtigkeit für Tiere – unsere kollektive Verantwortung“ (wbg Verlag)

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