Alice Schwarzer schreibt

Gerechtigkeit für Adèle Haenel

Adèle Haenel nach dem Urteil gegen Ruggia. - Foto: Ait Adjedjou Karim/ABACA/IMAGO
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Es ist 24 Jahre her und Adèle Haenel wäre fast daran zerbrochen. Am 3. Februar verließ sie den Gerichtssaal als Siegerin. Der Regisseur Christophe Ruggia war verurteilt worden: zu zwei Jahren Fußfessel und 35.000 Euro Schmerzensgeld. Er hatte Adèle ab ihrem zwölften Lebensjahr über vier Jahre lang sexuell missbraucht.

Regisseur Christophe Ruggia mit seinen beiden Anwältinnen. - Foto: Alexis Sciard/IMAGO
Regisseur Christophe Ruggia mit seinen beiden Anwältinnen. - Foto: Alexis Sciard/IMAGO

Das Mädchen hatte damals weder gewagt, sich zu wehren, noch darüber zu reden. Zu locker waren die Zeiten und zu übermächtig der Missbraucher: Ein Mann und das Kind. Auch ihre Eltern, beide Psychoanalytiker in Paris, scheinen die Tochter nicht angemessen geschützt zu haben. Adèle: „Ich fühlte mich aufgewertet durch sein Interesse. Er war damals der wichtigste Erwachsene in meinem Leben.“

Sie hat gewagt zu reden - und damit MeToo in Frankreich ausgelöst

Als sie endlich anfing zu reden – bestärkt von ihrer Regisseurin Céline Sciamma, ihre einstigen Lebensgefährtin –, wurde sie von Ruggia zunächst verhöhnt: Sie würde lügen und sei nur sauer, dass er ihr keine zweite Filmrolle angeboten habe.

Inzwischen war Haenel bereits ein Star und die kommende Hoffnung des französischen Kinos. Doch Haenel konnte sich nicht wirklich freuen Zu tief waren ihre Verletzungen. 2019 hat sie erstmals gewagt zu reden – und damit die MeToo-Bewegung in Frankreich ausgelöst.

Adèle Haenel (li) in "Porträt einer jungen Frau in Flammen" von Céline Sciamma. - Foto: IMAGO
Adèle Haenel (li) in "Porträt einer jungen Frau in Flammen" von Céline Sciamma. - Foto: IMAGO

Vor Gericht hat Adèle Haenel das Verfahren, das Ruggia einen „stalinistischen Prozess“ nannte, gewonnen. Aber im Beruf hat sie einen hohen Preis für ihre Wahrheit gezahlt. Die gefeierte Schauspielerin, prämiert bereits mit zwei Césars (dem französischen Oscar), war so verletzt über die Welle von Häme, die ihr nach ihrer öffentlichen Anklage entgegenschlug, dass sie aufhörte, als Schauspielerin zu arbeiten, und sich zurückzog. Heute spielt sie experimentelles Theater, weit entfernt von der Meute.

„Ich habe diesen Prozess für alle Kinder geführt, denen man sagt: ‚Pst! Zerstöre nicht die Familie!‘“, sagt Adèle „Für alle, die man allein lässt – in dieser Einsamkeit, in der man lieber sterben will.“

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