Fall Wedel: Geschlossene Gesellschaft

Regisseur Simon Verhoeven redet auf seinem Facebook-Account Tacheles. © Imago/Future Image
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Bild befragte 27 Schauspieler, die eng mit dem Regisseur Dieter Wedel zusammengearbeitet haben – nicht einer von ihnen wollte sich zu den massiven Vorwürfen der Frauen äußern. Dabei geht es nicht nur um den Vorwurf der Vergewaltigung hinter verschlossenen Türen oder auf einsamen Waldwegen, sondern auch um jahrzehntelange öffentliche Demütigungen von Frauen, die Wedel nach deren Aussagen nicht gefügig waren am Set.

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Doch obwohl sie alle dabei waren, möchte auch heute keiner der gefragten Stars etwas zu den erschütternden Klagen der zahlreichen Schauspielerinnen etwas sagen – selbst die nicht, von denen man eigentlich auf Solidarität gehofft hätte (wie Christian Berkel, Axel Milberg oder Kai Wiesinger).

Das Kartell des Schweigens funktioniert also weiter. Nur zwei haben es bisher gebrochen. Als erster Michael Mendl. Er erklärte in der Zeit, Wedel habe die Menschen „wie seine Leibeigenen“ behandelt. Er habe selbst miterlebt, wie es einer Frau erging, „die sich von Wedel sexuell bedrängt gefühlt“ habe. Und er sei empört, dass er jetzt „die Frauen der Lügen bezichtigt“.

Und dann ist da noch der Regisseur Simon Verhoeven, der Sohn von Senta Berger und Michael Verhoeven. Auf seinem Facebook-Account redet er Tacheles.

Nur zwei Männer haben das Kartell des Schweigens bisher gebrochen

Verhoeven schreibt: „Fakt ist: Jeder, der in der Filmbranche eine Zeitlang gearbeitet hat, wusste von den ätzenden Geschichten über Wedel. Dass er am Set Schauspieler tyrannisiere, dass er ein eitler, egomanischer Schreihals sei, ein Arschloch. Ich schäme mich für die Mechanismen meiner Branche, die es diesem Sadisten und brutalen Gewalttäter erlaubt haben, jahrzehntelang Frauen zu vergewaltigen und Menschen zu quälen – geschützt durch das Schweigen der Sender, Produktionen und Filmschaffenden, die mit Wedel arbeiteten.“

Und der 45-jährige Regisseur schreibt weiter: „Ich danke den mutigen Frauen, die ihre Scham überwunden haben und jetzt geholfen haben, diesen Mann zu entlarven. Spät, ja. Aber besser spät als nie. Und ich erwarte – so wie viele andere auch – vom ZDF, dem Saarländischen Rundfunk und von allen anderen Sendern und Produktionsfirmen, allen Verantwortlichen, auch aus den Filmteams, die mit diesem Drecksack jahrzehntelang gearbeitet und Erfolge gefeiert haben, dass sie jetzt schleunigst beginnen, diese Zeit aufzuarbeiten und offen zu sagen, was sie damals wussten, ahnten, in Kauf nahmen.“

Wir dürfen gespannt sein.

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Alice Schwarzer schreibt

Von Wedel bis Kachelmann

Wedel trat auch mal im Trio auf, hier mit Dominique Voland (li) und Ehefrau Uschi Wolters. Foto: Imago/Imagebroker/Strussfoto
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In der aktuellen EMMA geht es über 16 Seiten um Frauen, die Männer der sexuellen Gewalt beschuldigen, weltweit. Und um die Gründe, warum diese Frauen so lange geschwiegen haben. Darüber hinaus stellt EMMA die Frage, warum ausgerechnet in Deutschland die Frauen weiter schweigen. Das ändert sich gerade.

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Der Fall Wedel:
Aussage gegen
Aussage?

Immer mehr Frauen beschuldigen den Regisseur Dieter Wedel, ihnen sexuelle Gewalt angetan zu haben, bis hin zur Vergewaltigung. Das tun sie diesmal nicht – wie seit 40 Jahren! – in der EMMA, sondern in der Zeit. Also ausgerechnet in der Wochenzeitung, die sich bisher eher in Sachen Sympathie für mutmaßliche Sexualstraftäter hervorgetan hat. Umso ernster wird der Fall Wedel nun von den anderen genommen.

Die zwei Zeit-Kolleginnen hatten zunächst mit drei Frauen gesprochen, die – anonym und namentlich – Wedel der sexuellen Gewalt beschuldigen. Und es werden immer mehr. Die Frauen haben ihre Aussagen unter Eid bekräftigt. Aber das hat auch der Beschuldigte getan: Wedel hat unter Eid ausgesagt, dass alles gelogen sei. Und seine Lebensgefährtin bekräftigt das (was an den Fall Strauss-Kahn erinnert).

Aussage gegen Aussage.

Allerdings deuten die zahlreichen und vielfältigen Klagen über Wedel darauf hin, dass dieser Mann schon seit Jahrzehnten ein Problem zu haben scheint: Er scheint Gewalt sexy zu finden, psychische wie physische.

Es wird eng
für Wedel,
sehr eng.

Dass der Regisseur Schauspielerinnen am Set öffentlich erniedrigte, scheint unstrittig zu sein. Dass er dies verstärkt tat, wenn die Frauen ihm nicht zu Diensten waren, sagen immer mehr Schauspielerinnen.

Bild, in der Wedel seine „Wahrheit“ exklusiv verkünden durfte, vermeldete inzwischen einen „Herz-Attacke“ des Beschuldigten. Darum könne er auch nicht mehr selber Stellung nehmen zu den infamen Unterstellungen. Stattdessen redet die Frau, die seit 40 Jahren an seiner Seite ist, und die früher auch schon mal hinnahm, dass ihr Mann öffentlich im Trio auftrat: an der einen Seite die geduldige Lebensgefährtin, an der anderen Seite die deutlich jüngere Geliebte (die auch ein Kind von ihm bekam).

Prompt nach Veröffentlichung des fundiert recherchierten und differenziert argumentierenden Textes in der Zeit raunte es im deutschen Blätterwald, nun müsse man sich aber vor einer „Vorverurteilung“ hüten. Vorverurteilung von wem? Der des mutmaßlichen Täters oder der der mutmaßlichen Opfer? Denn so ist das bei Sexualverbrechen: Wer dem einen glaubt, bezichtigt den anderen der Lüge.

So war das auch 2010 bei Kachelmann. Da schrieb die Zeit-Journalistin Sabine Rückert, die ihn beschuldigende Ex-Freundin sei eine Lügnerin, Kachelmann sei unschuldig und müsse umgehend aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Und die einschlägig vorbelastete Gerichtsreporterin des Spiegel, Gisela Friedrichsen, folgte ihr auf dem Fuße. Das war im Juni/Juli 2010, also Monate vor Beginn des Prozesses und zehn Monate vor dem Urteil im Mai 2011.

Und die viel gescholtene Alice Schwarzer? Ich hatte bis dahin geschwiegen, denn ich fand es schwierig zu beurteilen, wer die Wahrheit sagt. Ich reagierte erst nach der Vorverurteilung durch Rückert & Friedrichsen und wies darauf hin, dass nichts bewiesen sei. Es sei darum auch durchaus denkbar, dass die Ex-Freundin die Wahrheit sage. Denn nicht alle Frauen, die Männer der Vergewaltigung bezichtigen, lügen. Nur manche.

Kachelmann &
der Richter:
Die Wahrheit
nicht gefunden.

Zehn Monate später kam der Richter am Landgericht Mannheim zu exakt demselben Schluss wie ich. Er sprach Kachelmann „aus Mangel an Beweisen“ frei. Aber er ließ es sich nicht nehmen, in einer ungewöhnlich ausführlichen Urteilsbegründung darauf hinzuweisen, dass das Gericht „die Wahrheit“ nicht habe finden können. Beides sei möglich: Er oder sie lüge bzw. sage die Wahrheit. Die Medien sollten dies doch bitte unbedingt bei ihrer Berichterstattung berücksichtigen.

Die Medien taten das Gegenteil. Kachelmann unschuldig! lauteten die Schlagzeilen. Und: Die Ex-Freundin hat gelogen. Die wurde prompt von Kachelmann mit einer Klage wegen „Verleumdung“ verfolgt. Doch im April 2016 stellte das Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich fest, dass im Fall Kachelmann bei so einem Urteil eben jede Seite ihre „subjektive Wahrheit“ habe und sie also auch öffentlich verkünden dürfe.

Konträr zur juristischen Lage wurde der Fall Kachelmann jedoch medial zum exemplarischen Paradefall des unschuldig Beschuldigten und der verlogenen Beschuldigerin; zu einer ultimativen Warnung an alle tatsächlichen bzw. mutmaßlichen Opfer sexueller Gewalt – und zum Freibrief für alle tatsächlichen bzw. mutmaßlichen Täter. Die Anzeigen wegen Vergewaltigung sind in Deutschland seither in den Keller gesackt. Nicht etwa, weil weniger vergewaltigt würde, sondern weil noch weniger Opfer es wagen, anzuzeigen.

Typisch für dieses alle Frauen einschüchternde Klima ist eine aktuelle Veröffentlichung des Branchendienstes meedia. In dem Interview mit einem „PR-Experten“ und „Krisennavigator“ fragen die Journalisten, wie Wedel sich denn nun „der schweren Anschuldigungen erwehren sollte“. Der Experte gibt Tipps und verweist in diesem Zusammenhang auf Kachelmann, der ja ebenfalls „unschuldig in Untersuchungshaft“ gesessen habe. Und auf Alice Schwarzer, „die sich in ihrer Berichterstattung völlig verrannt“ habe.

Wie bitte? Geht das denn immer weiter mit den Fake-News?!

De facto habe ich noch nie etwas anderes geschrieben als das, was der Richter bei der Urteilsverkündung gesagt hat. Nämlich, dass niemand weiß, ob Kachelmann wirklich unschuldig war – oder ob die Freundin gelogen hat. Oder, ob diese Wahrheit vielleicht irgendwo dazwischen liegt, in einem Bereich, der nur nachvollziehbar gewesen wäre, wenn man mehr über die Art und die Praktiken dieser Beziehung gewusst hätte.

Kachelmann &
die Medien:
Der Angeklagte
ist unschuldig

Das Problem ist: Im Fall Kachelmann bestimmen seither die JournalistInnen, für die die Frau eine Lügnerin ist, die Lesart und den Diskurs über Frauen, die Männer der sexuellen Gewalt bezichtigen. Ist es da ein Wunder, dass trotz internationaler MeToo-Bewegung die Frauen in Deutschland so lange gezögert haben, an die Öffentlichkeit zu gehen?

In der aktuellen Zeit schreiben die zwei Kolleginnen nun den Fall Wedel fort. In der aktuellen EMMA berichten wir über MeToo.

Und in der nächsten EMMA-Ausgabe werden wir die Geschichte fortschreiben: EMMA wird berichten, was so passiert, wenn Frauen in Deutschland wagen, Männer der sexuellen Gewalt zu bezichtigen. Was den Frauen passiert. Und wie sie sich schützen könnten.

Alice Schwarzer

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