Geschlossenes Universum: Die Wand
Nach zwei Jahren sieht Martina Gedeck nicht mehr aus wie eine Frau. Sie sieht aus wie ein Mensch, von dem wir nicht wissen, ob er weiblich oder männlich ist, verzweifelt oder zufrieden, einsam oder in sich ruhend. Denn zwischen die Welt, die einen Menschen definiert, und diese Frau hat sich Die Wand geschoben: eine unsichtbare aber undurchdringliche Wand, die die Frau in ein paar Quadratkilometer Wiesen, Wald und Bergwipfel einschließt, inklusive Jagdhütte und Alm.
Der österreichische Regisseur Julian Roman Pölsler hat es gewagt: Er hat den Roman „Die Wand“ seiner Landsmännin Marlen Haushofer verfilmt. Und das eigentlich Unmögliche ist ihm gelungen. Wir sehen zwei Stunden lang gebannt Martina Gedeck zu, wie sie zunächst schockiert und resigniert, sodann jedoch zunehmend selbstbestimmt in dieser geschlossenen Welt agiert, die Gefängnis und Schutzraum zugleich ist.
„Die Frau“, wie sie im Roman heißt, entdeckt Natur und Tiere: den Hund (Luchs, der Hund vom Regisseur), eine Katze und ihr Junges, sowie eine Kuh und ihr Kalb. Und ein weißer Rabe, der von den schwarzen verstoßen wurde. Menschen gibt es in dieser Enklave nicht – bis auf einen Mann, der irgendwann aus dem Nichts auftaucht und den Hund ersticht. Sie erschießt ihn.
Als Marlen Haushofer „Die Wand“ 1963 veröffentlichte, erschien zunächst ein Jahr lang keine einzige Rezension. Die Menschen konnten mit dieser spröden, verschlossenen Geschichte nichts anfangen. Heute ist das Buch in 17 Sprachen übersetzt und gilt als ein Kultbuch der Frauen- und Ökobewegung. Warum nicht.
Haushofer selber allerdings ging es eher um die psychologische Dimension: Eine für die anderen unsichtbare Wand schiebt sich zwischen eine Frau und die Welt. „Jene Wand, die ich meine, ist eigentlich ein seelischer Zustand“, erklärte sie, „der nach außen plötzlich sichtbar wird.“ Haushofer selber wird in den engen 1950er/60er Jahren auch Ehefrau und Mutter und dieses Gefängnis in sich selbst und Getrenntsein von der Welt nur zu gut gekannt haben.
Martina Gedeck spielt das Gefangensein in sich selbst sehr überzeugend. Und die sich über sie senkende Ruhe, als die bedrohliche Welt ausgeschlossen scheint. Auch ihre Kommunikation mit den Tieren ist sehr stimmig. Kein Wunder: Regisseur Pölsler ist auf so einem Einödhof aufgewachsen.