Gina-Lisa: Heißt „Hört auf!“ auch Nein?

Foto: Tim Lüddemann
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Wenn am 22. August in Berlin der Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink weitergeht, wird die Frau, die hier wegen angeblicher "Falschbeschuldigung" vor Gericht steht, nicht allein sein. Wie schon bei den letzten Verhandlungen wird sich Gina-Lisa Lohfink den Weg zum Gerichtssaal durch eine Traube solidarischer Frauen (und einiger Männer) bahnen. Und vermutlich wird sie wieder zu Tränen gerührt sein, wenn die DemonstrantInnen skandieren: „Du bist nicht allein!“ 

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Zum ersten Mal seit den 1970ern protestieren Frauen in Deutschland wieder bei einem Vergewaltigungs-Prozess. Denn der „Fall Gina-Lisa“ ist ein Paradebeispiel für das, was auf Neudeutsch „Rape Culture“ heißt: Eine Kultur, in der bei einer Anklage wegen Vergewaltigung die mutmaßlichen Opfer als Täterinnen gelten, als "Falschbeschuldigerinnen", und die mutmaßlichen Täter als unschuldig („Sie hat es doch selbst gewollt“). Ziel: Am Ende ist nicht nur die eine Frau in diesem konkreten Fall mundtot gemacht, sondern sind alle Opfer sexueller Gewalt eingeschüchtert.    

Im Video: Fick sie! Komm, die braucht's härter, Mann!

Es ist schon skandalös, dass dieser Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink als "Falschbeschuldigerin" überhaupt stattfindet. Zur Erinnerung: Lohfink hatte Anzeige erstattet, nachdem im Juni 2012 im Internet ein Video aufgetaucht war, das sie mit zwei Männern bei sexuellen Handlungen zeigt: mit dem Fußballer Pardis F. und dem Berliner Party-Veranstalter Sebastian Castillo Pinto, der mehrfach vorbestraft ist. 

Die Bild-Zeitung hat das Video in Auszügen protokolliert. Das liest sich zum Beispiel so: „Gina-Lisa liegt unbekleidet auf dem Rücken, Pardis F. dringt von vorn mehrfach in sie ein. Gina-Lisa wird dabei immer wieder leicht gewürgt. Sebastian P. filmt. Er versucht, seinen Penis in ihren Mund einzuführen. Gina-Lisa weigert sich, dreht das Gesicht weg. Gina-Lisa: ‚Jetzt hör doch auf!‘“ Oder so: „Sebastian P. aus dem Off: ‚Ja, ja Bruder. Fick sie, fick sie härter. Komm, die braucht’s härter Mann. Ja, fick sie härter, fick sie härter!‘ Pardis F. zu Sebastian P.: ‚Geh weg, Mann!‘ Sebastian P. (aus dem Off): ‚Yalla.‘ Gina-Lisa stöhnt: ‚Hör auf, hör auf.‘“

Staatsanwältin Corina Gögge und Richterin Antje Ebner am Berliner Amtsgericht mochten in diesen Handlungen keine sexuelle Gewalt erkennen. Im Gegenteil: Lohfink habe „orientiert und aktiv“ gewirkt. Die Richterin verurteilte Pardis F. und Sebastian Castillo Pinto lediglich wegen "unerlaubter Verbreitung des Videos" zu einer Geldstrafe von 1.350 Euro. So weit, so üblich in Deutschland, wo nur bei jeder hundertsten Vergewaltigung der Täter auch verurteilt wird. Aber die Richterin ging noch einen Schritt weiter: Sie verurteilte Gina-Lisa Lohfink wegen "Falschbeschuldigung" ebenfalls zu einer Geldstrafe: 24.000 Euro.

Im Video: Gina-Lisa wird immer wieder gewürgt

Gina-Lisa Lohfink weigerte sich. "Eher gehe ins Gefängnis", sagte sie. Weil sie den Strafbefehl nicht akzeptierte, steht sie jetzt vor Gericht. Der Frau mit den vergrößerten Brüsten und den aufgespritzten Lippen, die Frau mit dem Schlampen-Image, die demnächst ins Dschungel-Camp geht, wird jetzt der Prozess gemacht.

Am 8. August hat Sebastian Castillo Pinto, der monatelang von der Bildfläche verschwunden war, als Zeuge ausgesagt. Die anwesenden Medien beschrieben seinen Auftritt als „flegelhaft“ (Spiegel) und „Szenen aus den Niederungen des Menschlichen“ (Welt). Lohfinks Anwälte konfrontierten Pinto mit den Aussagen dreier weiterer Frauen, die ihm ebenfalls Gewalttätigkeiten unterstellten. Eine hatte erklärt, er habe ihr K.O.-Tropfen gegeben und sie vergewaltigt. Pintos Reaktion: „Ich hatte 500 Frauen. Und Sie bringen drei von denen an, die sich beschwert haben..."

Wie auch immer das Urteil am 22. August ausfällt, es wird ein Signal sein.

#ausnahmslos: Frauenzeichen ist tabu, weil trans*feindlich!

Ein deutliches Signal an die Frauen hatte das Bündnis #ausnahmslos, ehemals #aufschrei, bereits im Vorfeld der Solidaritäts-Demo am 27. Juni gegeben. Die Berliner Feministinnen hätten, so klagt die in Frankfurt gestartete feministische „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“, die Solidaritätsaktion fast gesprengt. Was war passiert?

Die Frankfurterinnen hatten sich nach dem Kachelmann-Prozess gegründet und seither Proteste gegen den Prozess gegen Kachelmanns Ex-Freundin Claudia D. organisiert, die ebenfalls der "Falschbeschuldigung" bezichtigt wird - allerdings von dem wegen Mangels an Beweisen freigesprochenen Kachelmann. Die Initiative hatte anlässlich des am Frankfurter Oberlandesgericht anhängigen Prozesses gegen Claudia D. (Urteilsverkündung: 28.9.) protestiert und nun via Facebook auch zu einer Solidaritäts-Demo für Gina-Lisa in Berlin aufgerufen. Gemeinsam mit Berlinerinnen initiierten die Frankfurterinnen die Protestaktion vor dem Berliner Amtsgericht.

Fünf Tage vor der Demo meldeten sich Aktivistinnen von #ausnahmslos zu Wort. #Ausnahmslos war nach der Kölner Silvesternacht von den selbsternannten "Anti-Rassistinnen" von #aufschrei lanciert worden. Das #ausnahmslos-Bündnis um die Wortführerinnen Anne Wizorek und Kübra Gümüsay stellte nun ebenfalls einen „Solidaritätsaufruf“ für Gina-Lisa ins Netz. Darin hieß es: „Wir werden uns bei der Solikundgebung am 27. Juni vor dem Amtsgericht in Berlin beteiligen, machen jedoch darauf aufmerksam, dass wir die sexarbeiter_innen- und trans*-feindlichen Positionen der Organisator_innen der 'Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt' ebenso wie etwaiger weiterer Solidaritätsbekunder_innen ablehnen.“

Frauen aus dem Orga-Komitee sind massiv eingeschüchtert

Wie #ausnahmslos darauf kommt, dass die Frauen der Solidaritäts-Initiative etwas gegen transsexuelle Menschen haben bzw. „sexarbeiter*innenfeindlich“, sprich feindselig gegenüber Frauen seien, die sich prostituieren? Ganz einfach: Die „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“ hat den EMMA-Appell „Prostitution abschaffen!“ unterzeichnet. Und dieser Appell, der die menschenunwürdigen Bedingungen anprangert, unter denen sich mitten in Deutschland Hunderttausende Frauen aus den Armenhäusern Europas prostituieren, ist in den Augen von #ausnahmslos nicht nur „sexarbeiter*innenfeindlich“. Nein, er ist auch „rassistisch“. Denn: Er benennt, dass in angloamerikanischen Ländern Prostitution als „Whity Slavery“ bezeichnet wird – als „Weiße Sklaverei“. 

Doch es kommt noch besser: „Trans*feindlich“ seien die Frauen der Initiative, weil sie im Logo der Solidaritäts-Demo das Frauenzeichen verwenden. Also den Venusspiegel, der seit fast fünfzig Jahren das internationale Emblem von Feministinnen ist (und auch bei EMMA auf dem Titel prangt). Dieses Zeichen ist laut den #aufschrei- bzw. #ausnahmslos-Frauen nun "trans*feindlich". Denn: „Mit der Gestaltung des Banners der Soli-Demo mit dem Motiv des Frauen-Symbols schließt ihr alle Betroffenen von sexualisierter Gewalt aus, die sich nicht als Frauen definieren.“

Das klingt sektiererisch, ja ein bisschen verrückt? Gewiss. Aber es läuft schon länger so in den USA, wo diese Art von Aktivistinnen den Feministinnen sogar verbieten will, das Wort "Frau" überhaupt noch zu benutzen - auch das schließe alle anderen aus. Die Wortführerinnen unter den deutschen sogenannten Netzfeministinnen nun pflegen seit Jahren, diese Variante des sektiererischen US-Feminismus eins zu eins, ja Wort für Wort zu übernehmen.

Sie wollen sich nicht wieder einen Shitstorm zumuten

Das wäre eigentlich zum Lachen, wenn das Ganze nicht schon im Fall Gina-Lisa so traurige Folgen gehabt hätte. Engagierte Frauen zogen sich eingeschüchtert aus dem Organisations-Komitee zurück, berichtet die Initiative in einer gemeinsamen Stellungnahme: "Sie hatten bei anderen feministischen Events bereits innerfeministische Angriffe und Shitstorms erlebt und wollten sich das kein weiteres Mal zumuten.“ 

 „Der Effekt des 'Solidaritätsaufrufes' des #ausnahmslos-Bündnisses hätte also sein können, dass die Demo gar nicht stattfindet. Dass sie es doch tat, ist dem engagierten Berliner Organisations-Team zu verdanken und Frauen aus der Initiative, die sich schlicht darauf fokussierten, die Aktion für Gina-Lisa Lohfink hinzubekommen. Sie fand also trotz und nicht wegen des sogenannten Solidaritätsaufrufes von #ausnahmslos statt.“

Bei dieser Aktion kam also etwas zutage, was in der feministischen Szene offenbar schon länger rennt: Ein Teil dieser Szene schüchtert Andersdenkende offenbar derart massiv ein, dass die am Ende so mundtot sind wie die Frauen, für die sie demonstrieren.

Die gute Nachricht: Es gibt trotz dieses Klimas der Einschüchterung gegenüber allen, die nicht auf #aufschrei/#ausnahmslos-Linie sind, genügend Menschen, die das Herz und den Mut haben, sich auf das zu konzentrieren, worum es eigentlich geht: die Solidarität mit den Opfern sexueller Gewalt. In der Causa Gina-Lisa treffen sie sich am Montag, 22. August, ab 8.50 Uhr vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten (Wilsnacker Str. 1-3, 10559 Berlin).

Aktualisiert am 21. August 2016, 10.50 Uhr

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Alice Schwarzer schreibt

Helle und dunkle Stunde

© Bettina Flitner
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Heute ist für die Frauen ein heller und ein dunkler Tag gleichzeitig in der deutschen Politik. In Bezug auf die Vergewaltigung widerfährt den Frauen in Deutschland endlich Gerechtigkeit, zumindest auf gesetzgeberischer Ebene. Lange genug hat es gedauert (Mein erster Kommentar für die Reform des Vergewaltigungsparagraphen datiert aus dem Jahr 1981!). Gleichzeitig aber widerfährt den Frauen, die auf der untersten Stufe der Sexualgewalt stehen, den Prostituierten, erneut schweres gesetzgeberisches Unrecht. Doch in Wahrheit betrifft auch das uns alle.

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Das System
Sexualgewalt
ist unteilbar

Dem Vergewaltigungsgesetz hat auf den letzten Metern ein Schulterschluss von Politikerinnen aus Union und SPD sowie die breite Unterstützung gesellschaftspolitisch organisierter Frauen zum Sieg verholfen. Dieses Frauenbewusstsein lässt allerdings bei der Prostitution auf sich warten. Ja, es gibt sogar vehemente Befürworterinnen des Pro-Prostitutionsgesetzes, Mittäterinnen. Warum?

Die Frauen, die jetzt für den Schutz vor Vergewaltigung plädieren, tun dies auch für sich selbst. Von der Prostitution jedoch sind sie nicht betroffen, zumindest nicht direkt (Ja, manche profitieren sogar davon: als „Studiobetreiberinnen“ und Zuhälterinnen).

Aber vielleicht können die meisten Frauen sich auch gar nicht erlauben, genauer hinzusehen bei der Prostitution. Weil der eigene Mann bzw. Freund ein Freier ist (was sie als „Partnerinnen“ demütigt oder manchmal vielleicht sogar erleichtert). Weil Freier wie Zuhälter in den Parteien und Politorganisationen neben ihnen sitzen. Weil wir ach so fortschrittlichen Menschen im 21. Jahrhundert mitten unter uns einen Sklavinnenmarkt dulden, der angeblich "freiwillig" ist, aber jeder Beschreibung spottet!

Auch die
privilegierten
Frauen sind
betroffen

Dabei lässt sich das alles in Wahrheit nicht trennen. Das System der Prostitution und das System der Vergewaltigung bedingen sich gegenseitig. Eine Menschensorte, deren Körper und Seele man für ein paar lausige Scheine kaufen kann, die kann man nicht wirklich achten. Die kann man sich auch im Ehebett und Büro oder auf der Straße greifen, wenn man gerade Bock darauf hat oder der Schlampe einfach gezeigt werden muss, wo der Hammer hängt.

Übrigens, die Vergewaltigungen passieren in genau dieser Reihenfolge: die meisten durch den eigenen Freund und Ehemann bzw. Nahtäter, nur jede dritte anonym auf der Straße. Die größte Gefahr geht also immer noch vom Mann im eigenen Bett aus. Was will uns das sagen?

Von der Prostitution aber ist die Internet-Aktivistin, die Karriere-Juristin oder die Politikerin in Deutschland im 21. Jahrhundert kaum direkt betroffen. (Die sich prostituierende Studentin oder Hausfrau gehört eher in den Bereich der Porno-Mythen.) Die Körper, die heute auf dem milliardenschweren Prostitutionsmarkt verschachert werden, sind zu 90 bis 95 Prozent die Körper von Frauen, die noch nie etwas von einem Hashtag oder einer Petition gehört haben und sich auch nicht als "Sexarbeiterinnen" verstehen, sondern einfach nur versuchen zu überleben. Sie können kaum Deutsch und ahnen oft noch nicht einmal, in welchem Bordell, in welcher Stadt sie sich gerade befinden.

Täglich kaufen
Millionen
Männer sich
eine Frau

Das sind nicht wir, die sich da für 30 Euro – inzwischen sinkt der Tarif auf 20 Euro, dank des Zustroms der Flüchtlingsfrauen – in alle Körperöffnungen penetrieren lassen müssen, demütigen, vergewaltigen. Es sind die Anderen, denen das passiert. Es sind Ausländerinnen, Ausgegrenzte, die Ärmsten der Armen. (Wo bleibt da übrigens der Protest der selbsternannten Anti-Rassistinnen?)

Doch wenn es schon nicht das Mitgefühl für die Hunderttausende von Frauen ist, die tagtäglich nebenan von unseren eigenen Männern geschunden werden – dann sollte es wenigstens das Wissen um die Zusammenhänge sein. Das System Sexualgewalt ist nicht teilbar. Derselbe Blick, der sich auf die Prostituierten richtet, trifft auch uns. Da kann unser Vergewaltigungsgesetz noch so gut sein, inklusive „Nein heißt Nein!“ – solange unsere eigenen Liebhaber, Väter, Brüder, Söhne, Freunde über eine Million Mal am Tag gleich nebenan Frauen kaufen, solange sind wir alle in den Augen dieser Männer das willige Geschlecht.

Alice Schwarzer

Alice Schwarzer: Wir nehmen die Kriegserklärung an! (EMMA 9/1981)

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