Gisèle Pelicot: Unsere Heldin!
Wenn sie zum Gerichtsgebäude geht, stehen sie da und empfangen sie mit Applaus. Sie halten Schilder in die Kameras. „Qui dort ne consent pas“ steht darauf. Wer schläft, stimmt nicht zu. Oder: „Eduquez vos fils!“ Erzieht eure Söhne! Oder schlicht: „Je suis Gisèle“. Ich bin Gisèle.
An jedem Morgen geht Gisèle Pelicot zum Justizpalast in Avignon, um der Verhandlung gegen ihren Ex-Mann und 50 weitere Männer beizuwohnen. Wenn sie die Treppen hinaufsteigt, steht dort eine Gruppe Frauen, die für die Frau klatschen, die seit Beginn dieses Gerichtsprozesses am 2. September 2024 zu einer Heldin geworden ist. Weil sie darauf bestanden hat, kein namenloses Opfer zu sein, sondern ihr Gesicht zu zeigen. Weil sie durchgesetzt hat, dass dieser Prozess öffentlich stattfindet und sogar die Videos ihrer Vergewaltigungen gezeigt werden, damit die Welt sieht, was ihr angetan wurde. Weil sie, so erklärte ihr Anwalt, „will, dass die Scham die Seiten wechselt“.
Dieser so stolze Satz einer Frau, der Ungeheuerliches widerfahren ist, ist inzwischen zum Slogan vieler Frauen in aller Welt geworden. Er steht auf den Schildern, die sie tragen, er wird auf den Solidaritäts-Demos skandiert und er prangt auf Mauern, neben dem Graffito von Gisèle. Ihr Gesicht mit dem roten Pagenkopf und der runden Sonnenbrille ist längst ikonisch geworden.
Es ist das gewöhnliche Gesicht einer 72-jährigen Frau, die glaubte, an der Seite eines gewöhnlichen Mannes ein gewöhnliches Leben zu führen. Jetzt steht sie im Mittelpunkt eines Jahrhundertprozesses. Ihr Gesicht kennt inzwischen die ganze Welt.
Die Gesichter derer, die ihr diese ungeheuerliche Gewalt angetan haben, sieht man nicht. Während Gisèle Pelicot an der Seite ihrer Anwälte aufrecht durch die Menge schreitet und Interviews gibt, schleichen sich jene 32 der 50 Männer, die nicht in Untersuchungshaft sitzen, an den Kameras und Fotografen vorbei, sie verstecken ihre Gesichter hinter Corona-Masken oder Kapuzen. Mit den Journalisten, die ihnen ihre Mikrofone unter die Nase halten, sprechen sie nicht.
Was sie getan haben, ist bekannt. Sie haben sich an Gisèle Pelicot, die von ihrem Mann mit einem Betäubungsmittel bewusstlos gemacht worden war, auf viele Arten sexuell vergangen. Dominique Pelicot hat diese Vergewaltigungen gefilmt und minutiös archiviert. Daher weiß man, dass es 80 Männer waren, die neun Jahre lang, von 2011 bis 2020, die schlafende Frau Hunderte Male vergewaltigt haben. 50 dieser Täter hat die Polizei mit Hilfe der Videoaufnahmen ermitteln können.
Es sind ganz normale Männer: Klempner, Feuerwehrmänner, Krankenpfleger. Rentner, Journalisten, Gefängniswärter. Ledige Männer und Familienväter. Der jüngste ist 26, der älteste 74 Jahre alt. Sie kamen alle aus einem Umkreis von 25 Kilometern um Mazan herum, einem idyllischen 6.000-EinwohnerInnen-Örtchen, etwa 20 Kilometer entfernt von Avignon, im Schatten des Mont Ventoux. Gisèle Pelicot ist einigen ihrer Vergewaltiger also morgens beim Bäcker oder abends im Restaurant begegnet. Die wussten es, sie ahnte es nicht einmal. Wie sollte sie auch, sie war ja betäubt.
Und auch ihr eigener Mann, der heute in den Medien als „Monster von Avignon“ firmiert, galt als guter Ehemann, engagierter Vater und liebevoller Großvater: Dominique Pelicot. Scheinbar ein Mann wie jeder andere. Das ist das Monströse an diesem Fall.
Am 2. November 2020 wird Gisèle Pelicot auf das Polizeirevier von Carpentras vorgeladen. Sie weiß, dass ihr Mann in der Umkleidekabine eines Supermarktes drei Frauen heimlich unter die Röcke gefilmt hatte. Doch das, was ihr der Polizeibeamte zeigt, zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Es sind Fotos und Filme ihrer eigenen Vergewaltigungen.
Wie groß der Schock, die Scham und die Verzweiflung gewesen sein müssen, lässt sich kaum ermessen. Aber auch, wie diese zutiefst gedemütigte Frau dann in die Offensive gegangen ist, ist unglaublich. Dazu beigetragen hat zweifellos die Solidarität, die Gisèle Pelicot erfahren hat. Allen voran die ihrer Tochter Caroline Darian, die, als die Mutter ihr am Telefon von den ungeheuerlichen Taten berichtete, „gebrüllt hat wie ein Tier“. Dann beschloss die Tochter, aktiv zu werden. Sie gründete die Initiative „M’endors pas“ (Schläfere mich nicht ein) für die Opfer sexueller Gewalt, die zum Beispiel durch K.o.-Tropfen betäubt wurden. Sie schrieb ein Buch mit dem Titel „Et j’ai cessé de t’appeler Papa“ (Und ich habe aufgehört, dich Papa zu nennen) und sprach in Talkshows über das Grauen. Im Gerichtssaal sitzen Caroline und ihre beiden Brüder an der Seite ihrer Mutter.
„Sie ist unglaublich stark und entschlossen“, sagt Pelicots Anwalt Stéphane Babonneau über seine Mandantin. Er unterstützt seine Mandantin, die als Nebenklägerin auftritt, bei ihrer Strategie. Das ist nicht selbstverständlich, denn natürlich setzen die AnwältInnen der Täter auf Einschüchterung. Natürlich fehlt in diesem Prozess auch nicht die Anwältin, die einen mutmaßlichen Täter verteidigt. Das ist seit Jahren auffallend: Männer, die eines Sexualverbrechens beschuldigt werden, nehmen sich am liebsten eine Frau zur Verteidigung. In diesem Fall ist es die Franco-Marokkanerin Nadia el Bourouni. Die mit 16 Jahren Zwangsverheiratete befreite sich und studierte Jura. Gerade macht die 46-Jährige Karriere mit ihrer harten, ja vulgären Verteidigungsstrategie für einen der 51 Angeklagten, einen LKW-Fahrer, indem sie das Milieu ihres Mandanten gegen die „bürgerlichen Pariser Anwälte“ von Gisèle Pelicot ausspielt. Natürlich auf Kosten des Opfers.
Doch Gisèle Pelicot lässt sich nicht einschüchtern. Noch nie ist ein Vergewaltigungsprozess bekannt geworden, bei dem das Opfer so offensiv und so stolz war. „Sie schöpft viel Kraft daraus, dass so viele Frauen und Männer sie öffentlich unterstützen. Sie ist sehr gerührt davon, dass sie vor dem Gerichtsgebäude mit Applaus empfangen wird.“ Und Solidarität gibt es nicht nur in Avignon. „Das Verfahren wird in der ganzen Welt wahrgenommen. Wir erhalten Briefe von Frauen aus ganz Europa, aus den USA und Südamerika, aus Australien.“ Am 14. September gingen in ganz Frankreich über 10.000 Frauen auf die Straße und riefen: „Je suis Gisèle!“.
Und wieder stellt sich Gisèle Pelicot vor die Kameras und bedankt sich „bei allen, die mir seit Beginn dieses Prozesses ihre Unterstützung ausgesprochen haben, vor allem bei denen, die sich am letzten Samstag in ganz Frankreich versammelt haben. Das hat mich tief berührt. Dank euch allen habe ich die Kraft, diese Schlacht bis zum Ende zu kämpfen. Diese Schlacht, die ich allen widme, Frauen wie Männern, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. All diesen Opfern will ich heute sagen: Schaut euch um – ihr seid nicht allein!“
Diejenigen, die nun schreiben, Gisèle Pelicot wolle „kein Opfer sein“, haben Unrecht. Gisèle Pelicot weiß genau, dass sie ein Opfer war. „Sprechen Sie bitte nicht von Sexszenen. Das sind Vergewaltigungsszenen, das ist Folter!“ weist sie einmal den Richter zurecht. Und sie scheut sich nicht, das Wort Opfer – das nicht nur auf Schulhöfen zum Schimpfwort geworden ist – für sich und die vielen anderen Frauen zu reklamieren, denen Männer Gewalt antun. Das Bewundernswerte an Gisèle Pelicot ist, dass sie es schafft, das Grauen, das ihr widerfahren ist, zu benennen und sich für ihr Opfersein nicht zu schämen, jedenfalls nicht öffentlich. Sie ist ein Opfer, das seine Würde wiederherstellt. Sie hat dafür gesorgt, dass die Welt ihr Gesicht sieht, während die Täter ihre Gesichter verstecken. Die Scham hat tatsächlich die Seiten gewechselt.
Das gilt auch für die Anwälte der Täter, die es wagen, selbst der in den Filmaufnahmen sichtbar betäubten Frau noch eine Komplizität zu unterstellen. Als eine Strafverteidigerin Gisèle Pelicot allen Ernstes fragt, ob sie eine „exhibitionistische Veranlagung“ habe, antwortet die: „Ich verstehe nun, warum die Opfer von Vergewaltigung so selten Anklage erheben. Schämen Sie sich, mir solche Dinge zu unterstellen!“
Gisèle Pelicot ist eine starke Frau und war das vermutlich schon immer. Es sieht ganz so aus, als habe ihr Mann diese Stärke nicht ausgehalten. Gisèle Pelicot hat ihr Leben lang bei „Electricité de France“ gearbeitet, einem der größten Energieunternehmen Frankreichs, wo sie schließlich eine leitende Funktion hatte. Ihr Mann war bei EDF zunächst Elektriker, wechselte aber öfter die Jobs und versuchte sich schließlich als Immobilienmakler. Das scheiterte desaströs in einem Schuldenberg. Nur dank des guten, stabilen Einkommens von Gisèle kam die Familie über die Runden.
Im Prozess beschreiben die beiden Söhne des Ehepaars, Florian und David, ihren Vater als „aufbrausenden Lügner“, der Widerspruch nicht aushielt und „floh, wenn er mit seinen Fehlern konfrontiert wurde“. Hat der gescheiterte Loser es der „Schlampe“ – wie er seine Frau in seinen Video-Beschriftungen titulierte – heimzahlen wollen, indem er sie anderen Männern zur Verfügung stellte?
Im Gespräch mit der Gerichtspsychologin Marianne Douteaux geriert sich der offenkundig hochnarzisstische Täter als Opfer. Der Prozess habe „sein Leben ruiniert“, habe er geklagt. Wären seine Taten nicht entdeckt worden, hätte alles so weitergehen können wie vorher. O-Ton Monsieur Pelicot: „Gisèle hätte nichts gewusst und wir hätten weiterhin ein glückliches Leben führen können.“ Dabei war Gisèle in größter Sorge, aufgrund ihrer Müdigkeit und der Gedächtnislücken an Krebs oder Demenz zu leiden und infizierte sich, für sie ebenfalls unerklärlich, ständig mit Geschlechtskrankheiten. Denn Dominique Pelicot hatte von den Tätern ungeschützten Geschlechtsverkehr verlangt.
„Man wird nicht als Perverser geboren, man wird dazu gemacht“, erklärte Dominique Pelicot und pervertierte den berühmten Satz von Simone de Beauvoir. Tatsächlich hat Pelicot seinen Frauenhass aber schon früh gelernt: von seinem Vater. Der verprügelte seine Frau und missbrauchte ein behindertes Mädchen, das die Familie – zu diesem Zweck? – adoptiert hatte. Als Dominique neun Jahre alt war, sei er in einem Krankenhaus selbst von einem Pfleger missbraucht worden. Mit 14 begann er seine Lehre als Elektriker und sei auf einer Baustelle „gezwungen worden, bei einer Gruppenvergewaltigung mitzumachen“. Opfer war, ganz wie zu Hause, ein behindertes Mädchen. Auch diese Karriere eines Täters ist entsetzlich normal.
Die französische Zeitschrift Marianne spricht von der „banalité du mâle“, der Banalität des Männlichen. „Fünfzig Männer, die ganz normal aussehen. Sie sind, trotz ihrer Masken, in Frankreich das Gesicht der Vergewaltigung geworden. Und der Beweis, dass jeder ein Vergewaltiger sein könnte: unsere Freunde, unsere Nachbarn. Unsere Kollegen, unsere Liebhaber. Unsere Brüder oder unsere Väter.“
Marianne hat sich die Akten über die Täter, die alle psychiatrisch begutachtet wurden, genauer angesehen. 23 der 50 waren schon vorher wegen krimineller Handlungen in Erscheinung getreten, davon fünf wegen Körperverletzung und drei wegen sexueller Gewalt. Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass aktenkundige Straftäter unter den Angeklagten überrepräsentiert sind, denn sie konnten genau deshalb leichter gefunden werden. Von den insgesamt 80 Vergewaltigern konnten ja bisher nur 50 identifiziert werden.
13 der 50, also jeder vierte, war selbst Opfer sexueller Gewalt geworden. Einer der Täter war mit elf vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen worden. Ein anderer war mit einem „bestialischen“ Vater aufgewachsen, der seine Kinder an Bäume fesselte und sie zwang, an Orgien teilzunehmen, die er zu Hause organisierte. Die Opfer dieser Grausamkeiten wurden später selbst zu Tätern, für männliche Opfer durchaus typisch. Weibliche Opfer hingegen werden in ihrem späteren Leben nicht selten erneut Opfer.
Die Mehrheit der Täter im Fall Pelicot gab entweder eine ganz normale Kindheit zu Protokoll oder erklärten sogar, sie seien „in einer liebenden und beschützenden Familie“ aufgewachsen. „Wir wurden von unseren Eltern verwöhnt, es fehlte uns an nichts.“ Nur bei dreien wurde eine psychische Krankheit diagnostiziert, wie zum Beispiel eine Schizophrenie oder Autismus.
35 der 50 Angeklagten geben bis heute nicht zu, die bewusstlose Frau vergewaltigt zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass es sich um ein „libertäres Spiel“ gehandelt habe, behauptet der eine. Er habe geglaubt, Gisèle Pelicot sei betrunken eingeschlafen, erklärt ein anderer. „In dem Moment, wo der Ehemann dabei ist, ist es keine Vergewaltigung“, sagt der nächste. Die einen lügen ganz offensichtlich, denn die Aufnahmen zeigen klar, dass Gisèle Pelicot einfach nicht aufwachte, egal, was die Männer mit ihr anstellten. Die anderen geben mit ihren Erklärungen zu verstehen, dass ihnen das Einverständnis der Frau schlicht egal war bzw. genau das der Kick für sie war.
Spätestens jetzt sollte jeder begriffen haben, was das Konzept „Nur Ja heißt Ja“ bedeutet, wenn es um die Strafverfolgung von Vergewaltigung geht. Dabei geht es genau um jene Fälle, in denen Täter später behaupten, sie hätten schließlich nicht wissen können, dass das Opfer den Sex nicht gewollt habe. Zum Beispiel, weil die junge Frau nach einem Koma-Besäufnis nicht mehr ansprechbar war. Deshalb ist heute die aktive Einwilligung der Frau in 13 europäischen Ländern Voraussetzung dafür, dass der Sex als einvernehmlich gilt. Zu diesen Ländern gehören Schweden, Dänemark und Großbritannien, aber auch Kroatien und Slowenien. Deutschland hat 2016 immerhin das Prinzip „Nein heißt Nein“ eingeführt. Bestraft wird seitdem, wer „gegen den erkennbaren Willen“ einer Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt“. Als Vergewaltigung gilt auch, wenn „der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern“.
Die Vergewaltiger von Gisèle Pelicot wären also hierzulande eindeutig unter diesen Straftatbestand gefallen.
Und Frankreich? Da gilt bis heute noch nicht einmal „Nein heißt Nein“. Das heißt: Ein Täter muss zwingend physische Gewalt anwenden oder das Opfer bedrohen, damit die Tat als Vergewaltigung gilt. Noch im Februar 2024 hatte Frankreich deshalb sein Veto eingelegt, als eine EU-Richtlinie die Gesetzgebung gegen Gewalt gegen Frauen für alle 27 Mitgliedsstaaten vereinheitlichen wollte. Bei der Vergewaltigung sollte in allen Ländern das Prinzip „Nur Ja heißt Ja“ eingeführt werden. Doch Frankreich (und übrigens auch Deutschland) sorgten mit ihrer Blockade dafür, dass Vergewaltigung aus der Richtlinie ausgeklammert wurde – ausgerechnet.
Gälte in der EU und damit auch in Frankreich „Nur Ja heißt Ja“, könnten sich die 35 Täter, die behaupten, was sie Gisèle Pelicot angetan haben, sei gar keine Vergewaltigung gewesen, ihre Ausflüchte sparen.
Übrigens verstößt Frankreich mit seiner Gesetzgebung gegen die Istanbul-Konvention, die klipp und klar formuliert, was eine Vergewaltigung ist: „Alle Formen von sexuellen Handlungen, die einem Dritten ohne dessen freiwillige Zustimmung vorsätzlich aufgezwungen werden.“
Auch darum gehen die Französinnen auf die Barrikaden! Schon im Mai 2024 hatte ein Appell in Frankreich für Aufsehen gesorgt: 100 Frauen – darunter Schauspielerinnen wie Juliette Binoche, Isabelle Adjani und Sandrine Bonnaire – hatten pünktlich zum Start des Filmfestivals von Cannes bessere Gesetze gegen Vergewaltiger gefordert. „Obwohl die Opfer so mutig sind zu sprechen, wächst die Straflosigkeit“, hieß es in dem Appell „MeToo – Je persiste et je signe“ (Ich bestehe darauf und unterzeichne). „Es ist inakzeptabel, dass die Rate der Verfahrenseinstellungen bei Vergewaltigung im Jahr 2020 unglaubliche 94 Prozent erreicht hat!“
Im Fall Pelicot soll das Urteil in Avignon Mitte Dezember fallen. Vielleicht tragen dieser Jahrhundertprozess und die überwältigende Solidarität mit Gisèle dazu bei, dass Frankreich endlich eine Gesetzesreform auf den Weg bringt. Zum Beispiel, falls einige der Vergewaltiger freigesprochen werden.
Dominique Pelicot wird, das steht außer Frage, auf jeden Fall verurteilt werden. Die Frage ist allerdings, ob „nur“ für die Vergewaltigungen seiner Frau. Denn inzwischen wurde seine DNA auf dem Schuh einer Immobilienmaklerin gefunden, die 1999 in Villeparisis bei Paris von einem Mann überfallen wurde, als sie ihm eine Wohnung zeigte. Er würgte und fesselte sie, bedrohte sie mit einem Cuttermesser und betäubte sie mit Äther. Die Frau erwachte unerwartet früh und konnte sich befreien. Am 4. Dezember 1991 war eine junge Frau in Paris auf exakt die gleiche Weise überfallen worden. Sophie Narme wurde vergewaltigt und ermordet.
Übrigens: Mazan ist der Ort, an dem auch das Schloss des Marquis de Sade steht (der sich auch Marquis de Mazan nannte). De Sade (1740 – 1814) ist der Namensgeber für den sexuellen Sadismus. Er schrieb nicht nur über das lustvolle Frauenquälen, sondern – was bei der anhaltenden Verehrung des Sadisten als libertinärer Befreier der Lust meist verschwiegen wird – er praktizierte es auch real aufs Brutalste. Als vermögender Adliger nahm er sich das Recht, Dienstmägde oder Prostituierte einzusperren und zu foltern, so manches Mal auch, nachdem er sie betäubt hatte. Der Marquis de Sade verbrachte wegen seiner Schriften und Taten viele Jahre im Irrenhaus. Gut 200 Jahre später wird der Bürger Pelicot höchstwahrscheinlich zu einer normalen Haftstrafe verurteilt werden. Weil er gezeigt hat, wozu auch ganz normale Männer fähig sind.
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