Steinem: Der Hass auf sie ist Selbsthass
Wenn ich früher als Wahlkämpferin unterwegs war, wurden mir zwei Fragen immer wieder gestellt: „Wann bekommen wir endlich eine Präsidentin?“, und: „Wann bekommen wir einen schwarzen Präsidenten?“ Im Vorwahlkampf 2008 traten Hillary Clinton und Barack Obama gegeneinander an, plötzlich war beides in greifbare Nähe gerückt. Ironischerweise war dieser Wahlkampf hinsichtlich der Kandidaten der schönste und hinsichtlich der Streitkultur der schrecklichste.
Sie sind weiß, gebildet und mit einflussreichen Männern liiert
Ich kannte Hillary Clinton, wie alle sie kennen. Sie war eine öffentliche Person in guten wie in schlechten Zeiten, sie war Teil unseres Alltags und manchmal sogar unserer Träume. Einmal trat sie vor tausend Frauen zum Frühstücksempfang im Ballsaal eines New Yorker Hotels auf. Ich hatte sie dem Publikum vorgestellt, und während ihrer Rede stand ich hinter ihr. Ich konnte einen Hefter aus dem Weißen Haus sehen, in dem ihr Redetext lag – und dass er in der Mappe blieb. Statt vom Blatt abzulesen, ging sie auf die Beiträge der Vorrednerinnen ein. Sie sprach Aktivistinnen und Meinungsmacherinnen im Publikum direkt an und setzte deren Leistungen in einen nationalen und globalen Kontext – und alles in klaren und eleganten Sätzen. Dass sie nicht vorformuliert waren, konnte ich kaum glauben.
Noch beeindruckender war nur ihre Ansprache nach einer Aufführung von Eve Enslers „Necessary Targets“. Das Stück basiert auf Interviews mit Frauen, die während des Balkankrieges unsägliches Leid, Demütigungen und Folter erlebt haben. Zu einem Publikum zu sprechen, das soeben Zeuge eines unvorstellbaren Grauens geworden war, schien praktisch unmöglich, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass der Clinton-Regierung vorgeworfen wurde, zu langsam auf den Genozid reagiert zu haben.
Sie erhob sich völlig unvorbereitet in dieser Stille und fing an, mit leiser Stimme zu sprechen – über das Leid und über unsere Pflicht, nicht wegzuschauen. Vor allem räumte sie ein, dass Amerika zu spät eingegriffen hatte. Als sie wieder Platz nahm, hatte sie dem Publikum die Möglichkeit gegeben, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu beziehen: die schlichte Wahrheit.
Als Hillary aus dem Weißen Haus auszog, um von New York aus für den US-Senat zu kandidieren – so etwas hatte noch keine First Lady gewagt, nicht einmal Eleanor Roosevelt –, war ich völlig erschlagen von der Feindseligkeit, mit der manche Frauen ihr begegneten. Sie nannten sie kalt, berechnend, ehrgeizig und sogar „unfeministisch“, weil sie sich die in der Rolle als Ehefrau gesammelten Erfahrungen zunutze machte.
Und diese Kritikerinnen stammten nicht einmal aus den Reihen der rechtsgerichteten Extremisten, die den Clintons so ziemlich alles vorgeworfen hatten: von Immobilienbetrug in Arkansas bis hin zur Ermordung eines Angestellten im Weißen Haus, mit dem Hillary angeblich eine Affäre gehabt hatte. Ganz im Gegenteil, diese Frauen waren inhaltlich ihrer Meinung, lehnten sie als Menschen aber so strikt ab, dass manche als „Hillary Haters“ bekannt wurden. Während meiner Reisen habe ich Wochen des Zuhörens gebraucht, um zu verstehen, wie es so weit hatte kommen können.
Und sie machen Hillary Clinton zu ihrer Projektionsfläche
In den Wohnzimmern von Dallas bis Chicago stellte ich fest, dass die meisten Hillary Haters Frauen wie Hillary selbst waren: weiß, gebildet, mit einflussreichen Männern liiert. Das traf natürlich nicht auf alle zu, aber auf überraschend viele. Es hatte diese Frauen nie gestört, wenn die Söhne, Brüder oder Schwiegersöhne eines Politikers ihre Verbindungen und ihren wohlklingenden Namen einsetzten, um Karriere zu machen – so wie es bei den Bushs, den Rockefellers und den Kennedys geschah –, aber Hillary war so etwas nicht erlaubt.
Je länger ich sie reden hörte, desto deutlicher wurde, wie wenig diese Frauen von ihren Männern an der Macht beteiligt wurden. Dass Hillarys Ehemann sie als gleichberechtigte Partnerin behandelte – er hatte sogar gescherzt, das Land bekäme „zwei Präsidenten zum Preis von einem“ –, betonte umso mehr deren eigenen Mangel an Einfluss und Respekt. Nach einer langen Nacht und viel, viel Rotwein erzählte mir eine Frau, Hillarys Ehe habe ihr deutlich vor Augen geführt, was für ein Machtgefälle in ihrer eigenen herrsche.
In San Francisco und Seattle hörte ich, wie bekennende Hillary Haters sie dafür verurteilten, dass sie nach den öffentlichen Affären ihres Mannes bei ihm geblieben war. Wie sich herausstellte, litten viele dieser Frauen selbst unter der Untreue eines Mannes, waren aber ihrerseits nicht in der Lage oder nicht willens, sich scheiden zu lassen. Sie erwarteten von Hillary sozusagen stellvertretend die öffentliche Bestrafung des untreuen Gatten. Ich gab zu bedenken, dass viele Präsidenten von Roosevelt bis Kennedy Affären gehabt hätten, doch die Hillary Haters identifizierten sich stets mit jenen First Ladys, für die die Möglichkeit der Trennung eher nicht bestanden hatte. Ausgerechnet Hillarys Stärke und Unabhängigkeit erregte ihren Unmut. Als ich zu bedenken gab, wie sehr die Öffentlichkeit Hillary verurteilt hätte, wenn sie aus persönlichen Gründen ihren Pflichten als First Lady nicht nachgekommen wäre, änderten einige Frauen ihre Meinung – aber nicht viele.
Zuletzt führte ich auch ganz persönliche Gründe an, warum ich die Ehe der Clintons für, um es mit Shakespeare zu sagen, einen „Bund zweier treuer Herzen“ hielt. Während der Verleihungszeremonie der Freiheitsmedaille im Weißen Haus hatte ich sie einen Nachmittag lang miteinander erlebt. Unter den Ausgezeichneten befand sich auch meine Freundin Wilma Mankiller, Anführerin der Cherokee Nation. Wir waren gleichermaßen beeindruckt von der stillen Eintracht zwischen den Eheleuten, die von einem Grüppchen zum nächsten gingen und die Gäste und deren Familien begrüßten.
Die Clintons waren in einem Raum voller interessanter Leute, blieben einander aber immer zugewandt. Ich weiß nicht, was sie verband, aber es war nicht zu übersehen, wie nah sie sich einander fühlten und wie sehr sie die Gesellschaft des anderen genossen. Über wie viele langjährige Ehen kann man das sagen?
Wenn ich diese Dinge erzählte, reagierten viele Hillary Haters nur mit noch mehr Hass. Einige von ihnen waren schon lange verheiratet, andere hatten vor Kurzem erst ihre Vorgängerin ersetzt, aber die Tatsache, dass Bill seine Partnerin Hillary als gleichberechtigt betrachtete – und umgekehrt –, schien ihnen nur vor Augen zu führen, dass ihre Ehen anders liefen. Mir wurde klar, dass sich eine Ehefrau in einer Beziehung, die nur auf Sex basiert, austauschbar fühlt – und vielleicht auch ist. Diese Erkenntnis ist nicht nur emotional verletzend, sondern sehr bedrohlich, wenn mit der Ehe auch die soziale Identität und die finanzielle Sicherheit abhandenkommen kann.
Ich begriff, dass Hillary das Gegenteil dieser in Unsicherheit und Ungerechtigkeit lebenden Frauen verkörperte. Wieder einmal wurde die Überbringerin der schlechten Botschaft für den Inhalt bestraft.
Die Projektionen der Hillary Haters machten mir klar, dass auch ich projizierte. Ich konnte nicht verstehen, warum Hillary nach Washington zurückwollte und überhaupt für den Senat kandidierte. Nach acht Jahren im Weißen Haus, in denen sie von Polithyänen umzingelt, verklagt und auf Schritt und Tritt von den Medien überwacht worden war – durch ultrarechte Gruppen, die unendlich viel Geld in Anti-Clinton-Verschwörungstheorien steckten –, hatte sie ernsthaft vor, die nächsten sechs Jahre im Senat zu verbringen, quasi als wandelnde Zielscheibe? Das kam mir masochistisch vor, ganz besonders jetzt, wo sich ihr großartige Alternativen boten, sie eine eigene Stiftung gründen und die Frauensache weltweit hätte voranbringen können.
Sie ist das Gegenteil der in Ungerechtigkeit lebenden Frauen
Ich musste einsehen, dass Letzteres mein persönlicher Wunschtraum war, nicht ihrer. Wenn sie bereit war, sich den Anfeindungen erneut zu stellen – ein für mich unvorstellbarer Schritt –, dann sollte ich mich nicht wundern, sondern sie dafür feiern.
Als Helferin im Senatswahlkampf lud ich die Hillary Haters zu Spendenveranstaltungen im kleinen Rahmen ein, bei denen die Kandidatin persönlich anwesend war. Zu meiner Überraschung änderten praktisch alle ihre Einstellung, sobald sie Hillary persönlich kennenlernten. Diese Frau, die sie immer für intelligent, kalt und berechnend gehalten hatten, erwies sich als intelligent, warmherzig und aufgeschlossen. Auf einmal wurde sie nicht mehr als eine Ehefrau wahrgenommen, die das schlechte Benehmen ihres Mannes verteidigen musste, sondern als eine Frau, auf die Verlass war. Und mit der man, wie eine der Eingeladenen es formulierte, gern befreundet gewesen wäre.
Der Text ist ein Auszug aus Steinems Autobiografie „My life on the road“. Übersetzung: Eva Bonné (btb, 16.99 €).