„God Exists, Her Name is Petrunya“ ist ein preisgekrönter Film und eines der Highlights auf dem Filmfest von Terre des Femmes in Tübingen. Es läuft noch bis zum 27. November. Die Themen sind aktuell und politisch: Sie reichen von Prostitution bis zu religiösem Fundamentalismus. Auch gibt es Diskussionsrunden mit den Regisseurinnen.
21. November 2019
Artikel teilen
Wer das Holzkreuz aus dem kalten Fluss holt, hat ein Jahr lang Glück! – so sagt es ein heiliges Ritual in Mazedonien. Mitmachen dürfen natürlich nur Männer. Die 31-jährige Petrunya sieht das gar nicht ein. Sie kann ein bisschen Glück auch gut gebrauchen. Sie taucht, findet das Kreuz, und rückt es nicht mehr raus. Ein Skandal! „God exists, Her Name is Petrunya“ ist eine Real-Satire über die Männerherrschaft in Mazedonien. Und der Film ist eine der Perlen des diesjährigen Filmfestivals „FrauenWelten“ von Terre des Femmes in Tübingen (20. – 27.11.).
Anzeige
Mit den Filmen „Ich gehöre ihm“ sowie „Verliebt, verführt, verkauft“ rücken die MacherInnen das Thema Prostitution in den Fokus. Aus eigener Erfahrung spricht Sandra Norak über die „Loverboy-Methode“, die Mädchen vom Schulhof in die Prostitution lockt (EMMA 3/19).
Sie wurde als Schülerin durch einen Loverboy in die Prostitution gezwungen wurde. Heute studiert Sandra Norak Jura und kämpft als Aktivistin für die Freierbestrafung. Die nachfolgende Rede hielt sie im April 2019 auf dem "Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung" in Mainz.
24. April 2019 / aktualisiert: 18. August 2020
von
Sandra Norak
Artikel teilen
Sechs Jahre lang war ich nur eine von geschätzten 200.000 bis 1.000.000 Menschen in der Prostitution in Deutschland, meist Mädchen und Frauen. Der Einstieg in die Prostitution erfolgt unterschiedlich. Oftmals verläuft er über die Liebe. Die wird häufig ausgenutzt und als Druckmittel eingesetzt, um Mädchen und Frauen für die Prostitution gefügig zu machen und auszubeuten. Ich spreche von der so genannten „Loverboy-Methode“. Durch sie bin auch ich in die Prostitution gekommen. „Loverboys“ sind Männer, die Frauen Liebe vorspielen mit dem Ziel, sie in die Prostitution zu drängen und auszubeuten.
Anzeige
Unsere Gesellschaft sagt, Prostitutin ist normal und ein Job wie jeder andere.
Als mich dieser „Loverboy“ das erste Mal in ein Bordell mitnahm, wollte ich am liebsten weg. Ich war jung, instabil und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte und auch nicht, in welch gefährlicher Situation ich mich befand. Er sagte, es sei ja alles ganz normal. Das ist das Schlüsselwort: Normalität. Prostitution sei normal und ein Job wie jeder andere.
Das ist auch die Ansicht unseres Staates, der Prostitution in unserem Land als Job versteht. Zuhälter und Bordellbetreiber treten in „seriösen“ Talkshows auf und werden wie Geschäftsleute behandelt, statt als Kriminelle. Das Milieu wird als nicht so schlimm beschrieben. Ich konnte also, wie viele andere Frauen, nicht sehen, dass ich auf dem Weg war, mitten in ein kriminelles Gewaltmilieu abzurutschen.
Hätte man mir damals gesagt: „Prostitution ist gefährlich, gewalttätig und eine Verletzung der Menschenwürde“, hätte dieser Menschenhändler es viel schwerer gehabt, mich in die Prostitution zu locken. Ich wäre gewarnt gewesen.
Als junge Frau brachte mich mein Zuhälter in ein Flatrate-Bordell, wo ich in vier Wochen 400 bis 500 Sexkäufer zu bedienen hatte. Aber auch in anderen Bordellen und im Escort mit nur einem Sexkäufer war die Prostitution zerstörerisch für mich. Sie macht etwas mit einem. Egal, ob ein Mensch vermeintlich einwilligt oder nicht. Diese Einwilligung ändert nichts an den Gefühlen, es ändert nichts daran, dass man gerade von einem fremden Menschen berührt und penetriert, zu einem Objekt degradiert wird. Es ist ein Stillhalten und Unterdrücken von Gefühlen wie Schmerz, Widerstand, Trauer und Ekel.
Die Fähigkeit, Widerstand zu leisten, geht bei jedem Sexkäufer ein Stück mehr verloren. Denn diese ungewollte Penetration bedeutet eine permanente Demütigung und Entmenschlichung. Man hört irgendwann auf, sich als fühlender Mensch wahrzunehmen. Es ist eine Art Zerstörung der eigenen Identität – ein Grund, warum viele in der Prostitution bleiben. Man hat sie dort oder auch zuvor schon durch Gewalt gebrochen; man hat ihnen ihre Würde, ihre Seele, ihr Menschsein genommen.
Von diesem Zustand profitieren Zuhälter, Menschenhändler und Sexkäufer, denn in diesem Zustand wehrt man sich nicht mehr. In diesem Zustand kann man auch nicht einfach in ein normales Leben wechseln, als wäre nichts passiert. Denn man trägt diese Demütigungen, die Überzeugung, nichts wert zu sein und den Verlust von Würde und Seele in sich, man ist psychisch in dieser Welt gefangen.
Es ist der Verlust von Würde und Seele. Man ist psychisch in dieser Welt gefangen.
All das sind auch Faktoren, die die Frauen in der Prostitution halten, was dann oft als „Freiwilligkeit“ verkauft wird. Dass diese Menschen in ihrem Schmerz, ihrem Trauma und der Gewalt von Freiern, Zuhältern und Menschenhändlern gefangen sind, wird nicht gesehen. Sie sind in dem Gefängnis der Prostitution eingesperrt und unser Staat akzeptiert mit seiner Gesetzgebung ihre Gefangenschaft – anstatt zu versuchen, die Opfer zu befreien!
Als ich damals in einem Bordell mit Nachtbetrieb war, war ich nicht nur allein mit Sexkäufern auf dem Zimmer, wo der sexuelle Akt passierte, sondern auch öfter zusammen mit anderen prostituierten Frauen. Manchmal wusste ich nicht, was schlimmer war: Es selbst zu ertragen oder zu sehen, wie Menschen schwer sexuell missbraucht werden, während man daneben sitzt und nichts tun kann, weil ja alles „legal“ ist und „ein Beruf wie jeder andere“. Ich habe oft erlebt, wie prostituierte Frauen, voll mit Alkohol und oft auch anderen Drogen, um das ertragen zu können, leblos auf dem Bett gelegen und die schlimmsten, unmenschlichsten Dinge durch die Sexkäufer über sich ergehen lassen haben. Weil sie die Hoffnung und sich selbst bereits aufgegeben oder verloren hatten. Ist das etwas, was man als Gesellschaft zulassen kann? Ist das vereinbar mit unserer im Grundgesetz verankerten Menschenwürde?
Nein. Ist es nicht. Die Menschenwürde ist nichts Subjektives, was jeder Einzelne für sich selbst definieren kann. Es liegt nicht in der Hand der Betroffenen, sie zu definieren. Sie hat einen objektiven Charakter und steht nicht zur Disposition. Sie kommt dem Menschen kraft seines Menschseins zu, unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status.
Im ersten Artikel unseres Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Es gibt Dinge, die die Menschenwürde derart verletzen, dass ein Mensch in sie nicht einwilligen kann und der Staat die Schutzpflicht hat, die Würde des Einzelnen zu verteidigen. Prostitution ist eine „sehr offensichtliche und besonders verabscheuenswürdige Verletzung der Menschenwürde“, wie es das Europäische Parlament in seiner Resolution von 2014 ausdrückt. Was bedeutet, dass die Sexkäufer trotz etwaiger Einwilligung der prostituierten Menschen zu bestrafen sind, weil ein freiwilliger Verzicht auf die Menschenwürde nicht möglich ist.
Die Profiteure dieses Milliardensystems sind sehr stark, wenn es darum geht, die Prostitution als „Job“ zu verkaufen. Aber wenn alle ehrlich zu sich selbst sind, wissen alle, zumindest irgendwo ganz tief im Inneren vergraben, dass Prostitution die Menschenwürde verletzt. Niemand möchte seine Tochter in der Prostitution sehen. Prostitution zerstört. Für mich und die Frauen, die ich persönlich in der Prostitution kennenlernte, war die Prostitution schwere Gewalt und hochtraumatisch, was sich oft erst Jahre später gezeigt hat. Was ich und andere in Deutschland erfahren haben, ist staatlich tolerierter sexueller Missbrauch.
Was ich und andere in Deutschland erlebt haben, ist staatlich tolerierter Missbrauch.
Mit seinem Gesetz von 2002 hat Deutschland geduldet und normalisiert, dass Menschen zur Ware degradiert werden können. Aber Menschen sind keine Ware. Frauen sind keine Objekte, nur weil sie vulnerabel, arm, eine Minderheit sind, als Kind Gewalt erlebt haben oder missbraucht wurden (Was alles Push-Faktoren für den Einstieg in die Prostitution sind). Es ist die Pflicht unseres Staates, genau diese Menschen zu beschützen und ihre Ausbeutung in der Prostitution zu verhindern. Der Staat muss für die Würde dieser Menschen kämpfen, anstatt die Prostitution zu legalisieren und zu liberalisieren. Denn das bedeutet: Die Vulnerabelsten unserer Gesellschaft der Gewalt und dem Missbrauch der Sexkäufer zu überlassen und zwar mit der oft fadenscheinigen Argumentation: Dass diese Frauen so wenigstens was zum Essen haben, was dann als „sexuelle Selbstbestimmung“ bezeichnet wird.
Ich frage mich, ob die Menschen, die so denken, schon einmal einer prostituierten Frau begegnet sind und ihr tief in die Augen gesehen haben? Haben sie sich getraut, ihren Schmerz zu sehen, oder haben sie weggeschaut, bevor die Wahrheit unerträglich für sie wurde? Sehen Sie genau hin, denn wenn Sie genau hinsehen, werden Sie erkennen, dass prostituierte Frauen nur funktionieren und schlimmste Dinge ertragen, weil man sie gebrochen hat, weil man ihnen ihre Seele genommen hat, weil sie in einem Leben feststecken, in dem sie nie sein wollten, aus dem sie aber nicht mehr rauskommen.
Ich weiß nicht, in welcher Gesellschaft und in welchem Staat Sie leben möchten. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die Verantwortung übernimmt; die sich traut hinzusehen; die Gewalt und Menschenwürdeverletzungen benennt und bekämpft, anstatt sie zuzulassen. Ich wünsche mir einen Staat, der seine Schutzpflichtaufgabe erkennt und ergreift. Die Gesellschaft sollte dafür kämpfen, dieses Seelensterben in der Prostitution nicht länger hinzunehmen. Denn was ist ein Mensch ohne eine Seele?
Ich muss heute keine Gewalt mehr erleben, ich bin frei von all dem. Aber ich werde nie vergessen, in welchem Leben ich war. Ich werde nie vergessen, was ich mitten in Deutschland jeden Tag sechs Jahre lang gesehen habe. Und es darf nicht vergessen werden, dass immer noch Tausende von Frauen in der Prostitution zugrunde gehen.