Golden Girls: Rock´n´Old

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Die Modefotografin Esther Haase hat sich einmal ganz andere Modelle gesucht: Angeregt von den Betreibern eines ambulanten Pflegedienstes in Berlin fotografierte und inszenierte sie alte Frauen und Männer mit erotischem Blick.

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Wenn Esther Haase nach dem Shooting ihre Kamera aus der Hand legt, dann wollen sich viele ihrer Models „gar nicht abschminken lassen“. Frau Braun zum Beispiel liebt ihre langen künstlichen Wimpern. Andere die tiefroten Lippen oder die toupierten Haare. So lassen sie sich dann vom Fahrdienst des ambulanten Pflegedienstes in voller Montur in ihre Wohnungen zurückfahren, wo dann zwischen Rollator und Badewannenlift noch ein paar Stunden lang ein Hauch von Glamour nachweht.

Normalerweise sind die Models von Esther Haase mindestens ein halbes Jahrhundert jünger als die Damen und Herren, die sie für ihren Fotoband inszeniert hat. Aber so groß, findet die 44-Jährige, „sind die Unterschiede gar nicht, denn ich behandle auch ein junges Mode-Model nicht wie einen Kleiderständer“.

Eines muss die Werbefotografin, deren Auftraggeber normalerweise Esprit, Guess oder Vanity Fair heißen, allerdings zugeben: Ihre Modelle zwischen 75 und 95 „bringen sehr viel eigene Persönlichkeit mit. Die können ganz schön kritisch sein“. Frau Braun, 91, zum Beispiel ist „eine glamouröse Frau mit unheimlich starkem Willen. Sie hat absolut ihren eigenen Kopf. Die ist ein richtiger Star!“

In diesem Fall hat Esther Haases Auftraggeber einen ganz und gar unglamourösen Namen: „Jahnke Hauskrankenpflege“. Es war nämlich Werner Jahnke, Gründer eines rollenden Berliner Pflegedienstes, der 1994 die Idee zum Projekt hatte. Sie kam ihm, als er die Werbekalender aus der Pflege-Branche mit ihren Blumenbildern und Alpen-Panoramen betrachtete. „Ich dachte: So ein Kalender ist als Medium nicht schlecht, denn den sieht man das ganze Jahr. Aber er müsste doch einen Bezug zur Pflege haben!“ Also fragte sich Jahnke, ob man nicht seine KundInnen als Kalender-Girls (und -Boys) einsetzen könnte. Die waren zunächst skeptisch. „Ich bin alt und krank“, sagten sie. „Was soll ich auf einem Kalenderbild?“

Esther Haase zeigte es ihnen. Die Wahlhamburgerin aus Bremen, die damals nach einer Ballett- und Grafikdesign-Ausbildung gerade am Anfang ihrer Fotografinnen-Laufbahn stand, war begeistert von Jahnkes Idee. Sie ließ sich von ihren Models inspirieren und setzte die Alten glamourös in Szene. Sie verpasste ihnen Engelsflügel oder Fliegermützen, hüllte sie in Brokatkleider oder afrikanische Boubous, inszenierte sie als mondäne Grande Dame oder versponnene Märchenfee. „Wer mitmacht, muss mutig sein“, lautete die Parole. Das gilt auch für die Fotografin selbst. „Es ist jedes Jahr wieder aufregend für alle – auch für mich!“

1995 erschien der erste Alten-Kalender herausgegeben von Werner Jahnke und seiner Frau Anni Kuffer-Jahnke. Zehn sind es bis heute, bei einigen hatten Schauspielerinnen wie Iris Berben oder Hannelore Hoger Gastauftritte. Die schlechte Nachricht für 2010: In diesem Jahr gibt es keinen neuen Kalender. Die gute Nachricht: Dafür ist ein Best-of aller Kalenderbilder als Fotoband erschienen. Titel: „Rock’n’Old“.

Inzwischen ist die anfängliche Skepsis der potenziellen ProtagonistInnen einer gewissen Euphorie gewichen. Während die Fotografin früher noch ihre Überredungskünste einsetzen musste, wollen heute so viele der rund 230 PatientInnen der „Jahnke Hauskrankenpflege“ modeln, dass das Jahr um etliche Monate verlängert werden müsste.

Denn wer wagt, gewinnt bekanntlich. Nicht nur eine aufregende Unterbrechung des Alltags. „Meine Models erkennen, dass sie immer noch schön sein können“, erzählt die Fotografin. „Sie wachsen über sich selbst hinaus“, sagt Werner Jahnke.

Bei aller Extravaganz kippen Esther Haases Inszenierungen doch nie ins Groteske. „Es kommt darauf an, dass man die Person liebevoll betrachtet.“

A propos Liebe. Auch die entflammt bisweilen bei den Shootings. So verlor Frau Braun ihr Herz kurzfristig an einen rassigen Tangotänzer. Und Frau Rau das ihre an Herrn Kuckuck. Und sie ist der Fotografin noch wegen etwas anderem in bleibender Erinnerung. Die Fotografin hatte die 96-Jährige im schulterfreien Designerkleid inszeniert, als Komparse fungierte ein als Hase verkleideter Pfleger. „Und am Ende des Shootings hat Frau Rau den Pfleger im Hasenkostüm kurzerhand geküsst.“

Die ganze Fotostrecke im Print-Heft.
EMMA 2/2010

Der Fotoband „Rock’n’Old“ (Kehrer) von Esther Haase ist gegen eine Spende von 29 € für „Pflege in Not“ zu bestellen unter

www.jahnkepflege.de oder 030/3949999.

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