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BH-Kauf: In guten Händen

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Zu BHs habe ich ein sehr pragmatisches Verhältnis: In der Regel trage ich keinen. Meine Brüste sind nicht sehr groß und daher der Schwerkraft nicht so stark unterworfen, dass sie Unterstützung bräuchten. Das Unterhemd ist völlig ausreichend, meine ich. Ausnahme: der Sommer. Wenn nämlich das Unterhemd wg. Hitze wegfällt, muss dann doch ein BH her, und zwar ein ganz einfacher. Keine Bügel, keine Wattierung, keine Sperenzchen.

Zwar haben sich die Meldungen, dass die Bügel Brustkrebs fördern, als Gerücht herausgestellt. Aber Frauenrechtlerinnen haben nicht im 19. Jahrhundert gegen das Korsett gekämpft, damit ich mich im Jahr 2024 am Brustkorb von zwei Metallstangen malträtieren lasse. Die Wattierung lehne ich aus Prinzip ab, weil ich nicht einsehe, dass ich meine Brüste künstlich vergrößern und zudem in eine Einheitsform gießen soll.

Diese Vorgaben machen den BH-Kauf zu einer nervigen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber da die zwei schwarzen Baumwoll-BHs, die ich besitze (einer wird getragen, einer gewaschen), inzwischen ausgeleiert sind, muss es nun sein. Also auf zu Galeria Kaufhof.

Wie immer fühle ich mich in der Dessous-Abteilung eines Kaufhauses etwas verloren. 400 Quadratmeter BHs und Slips. 90 Prozent davon sollen irgendwie sündig sein, die Spitzen-BHs und Seidenhöschen hängen unter albernen Markennamen wie „Desirée“ oder „Passionata“. Aus Erfahrung weiß ich: Sie alle haben entweder Bügel oder Wattierung oder beides. Schließlich ist die Sünde nur dort zu Hause, wo Brüste aussehen wie Bälle, die noch nie was vom Newton’schen Gravitationsgesetz gehört haben.

Die anderen zehn Prozent des Sortiments fallen mit ihren meist fleischfarbenen Stoffmassen in die Kategorie Liebestöter. Und die kommen, das möchte ich bei allem Pragmatismus betonen, natürlich auch nicht in Frage.

Irgendwo zwischen all diesen lila Melonenhälften, bunten Blümchenstöffchen und Leberwurst-Leibchen muss er sein: mein schwarzer, schlichter BH. Um ihn zu finden, brauche ich eine Verkäuferin, sonst dauert das hier Stunden. Eine Fachverkäuferin.

BH-Verkäuferinnen eilt ein gewisser Ruf voraus. Wenn man sich in ihre Hände begibt, dann ist das wörtlich zu verstehen, denn sie fassen ihren Kundinnen mit erstaunlicher Hemmungslosigkeit an die Brüste. Das bestätigen alle Freundinnen, die sich beim BH-Kauf beraten lassen. Auch ich selbst habe an meinen ersten BH-Kauf einschlägige Erinnerungen. Er fand statt im Kaufhaus Dieler in Gelsenkirchen. Ich muss etwa 13 gewesen sein und während meine Oma, genannt Omma, und die Verkäuferin über den zu kaufenden BH fachsimpelten, fassten sie mir abwechselnd und ohne jedes Problembewusstsein an meine mir noch neuen Brüste. Ich bin also gewappnet.

Die Verkäuferin ist mittleren Alters, hat lange dunkle Haare und rollt das R. Ich vermute, sie ist Italienerin, jedenfalls hat sie Temperament und eine gewisse Resolutheit. „Sagen Sie, warum sind denn hier fast alle BHs wattiert?“ frage ich. „Wollen die Frauen das so?“ – „Ja!“ antwortet die Fachverkäuferin knapp, es gibt also keinen Zweifel. „Aber warum? Ich finde es komisch, sich die Brüste künstlich größer zu machen.“ Mich trifft ein vernichtender Blick. „Das formt die Brust viel schöner als die natürlichen Brüste!“

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich – im Gegensatz zu den meisten Frauen dieser Welt – ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu meinen natürlichen Brüsten habe. Ich finde sie schön, genau richtig in Form und Größe. Und das ist ein großes Glück, denn ansonsten hätte mich die nun folgende halbe Stunde vermutlich in tiefe Verzweiflung gestürzt.

Die Frage nach meiner Körbchengröße kann ich nicht beantworten. Also werde ich vermessen. Ergebnis: 75 A. „Was heißt das?“ frage ich. „Die Kleinste“, antwortet die Verkäuferin.

Nachdem ich einen Synthetik-BH abgelehnt habe, weil ich schon bei seinem Anblick Schweißausbrüche bekomme, zieht die Verkäuferin eine Augenbraue hoch. „Sie wollen Baumwolle?!“ – „Äh, ja, schon“, stammele ich und spüre wieder Missbilligung. Baumwolle fällt in dieser Abteilung offenbar in die Kategorie Kartoffelsack. Aber da muss ich durch. Auf Geheiß der Verkäuferin begebe ich mich in die Umkleidekabine, während sie sich auf die Suche in den unendlichen Weiten der Dessous-Welt macht.

Nach einigen Minuten reicht sie mir einen schwarzen Baumwoll-BH herein. Ich ziehe ihn an. Er ist zu eng. „Der schneidet ein“, sage ich, vor dem Spiegel stehend. „Wo schneidet der denn ein?“ fragt die Fachverkäuferin, fasst mir von hinten an die Brüste und hebt sie etwas an, um die Sache eigenhändig zu überprüfen. Sie ist nicht überzeugt, ich aber schon und entledige mich des zu engen BHs.

Jetzt gibt sie mir einen mit Spitze. Ich ziehe ihn an, finde ihn sehr schön und wäre bereit, ihn zu kaufen, auch wenn ich gar keinen Spitzen-BH wollte und er 50 Euro kostet. Aber nein.

„Also das gefällt mir gar nicht!“, sagt die Fachverkäuferin. „Warum denn nicht?“ frage ich verblüfft. „Diese Falten!“ Ich sehe keine Falten. „Na, das hier!“ sagt die Fachverkäuferin und streicht mit ihrem Finger einmal von oben bis unten über meine Brust. Jetzt sehe ich: Sie meint winzige Dellen, die mich nicht gestört hätten. Aber die Fachverkäuferin stellt ihre Verkäuferinnen-Ehre über den Verkaufserfolg. „Sie füllen das nicht richtig aus!“ sagt sie. Es ist doch immer schön, wenn jemand Klartext spricht.

Nächster BH. Ohne Spitze. Er sitzt gut. Finde ich. Die Fachverkäuferin sieht das anders. „Jetzt tun sie mir einen Gefallen und fassen sie da mal rein. Ihre Brüste liegen falsch.“ Weil ich keine Ahnung habe, was an der Lage meiner Brüste falsch ist, und einen Moment zögere, erwarte ich kurz, dass sie die Sache gleich selbst in die Hand nimmt. Aber so weit geht ihre zupackende Art dann doch nicht. Ich ruckele auf Anweisung der Verkäuferin („Mehr nach innen!“ „Mehr nach oben!“) meine Brüste zurecht. Jetzt sieht das richtig gut aus. Finde ich. Aber ich habe meine Rechnung ohne die Fachverkäuferin gemacht. „Tja“, sagt sie, und ihre Augenbraue schnellt wieder nach oben. „Ich sag es Ihnen ganz ehrlich: Ohne Bügel können wir hier mehr nicht rausholen!“

Ich nehme den BH. Und ich glaube: Wenn ich in zwei, drei Jahren den nächsten brauche, suche ich wieder selbst. Auch, wenn es Stunden dauert.

CHANTAL LOUIS

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