Hate Crimes: Frauen? Sind mitgedacht!
Sie schlugen im Morgengrauen zu. In 14 Bundesländern durchsuchten Polizeibeamte an einem Tag im Juli die Wohnungen von rund 60 Beschuldigten und stellten Computer und Festplatten sicher. Es waren die ersten Razzien wegen „Hass und Hetze im Netz“. Das Bundeskriminalamt koordinierte die Fahndungen, zuvor war „monatelang ermittelt worden“.
Die Täter sind laut BKA vor allem männlich
Vor allem gegen 40 Männer, die in einer geheimen Facebook-Gruppe rechtsextreme und antisemitische Inhalte geteilt hatten. Ein Verfassungsschützer hatte sich in die Gruppe eingeschlichen und alles mitgelesen. BKA-Präsident Holger Münch über die Hintergründe der Razzien: „Die Fallzahlen politisch rechts motivierter Hasskriminalität im Internet sind auch im Zuge der europäischen Flüchtlingssituation deutlich angestiegen. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sind häufig das Ergebnis einer Radikalisierung, die auch in sozialen Netzwerken beginnt.“
Justizminister Heiko Maas begrüßte das „entschlossene Vorgehen der Behörden.“ Denn: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum!“
Nachdem diese „Hassbotschaften“ jahrelang in Berlin niemanden interessiert haben (Tenor: Der Ton im Netz ist halt etwas rau!), sind sie nun also das Thema der Stunde. Endlich! Was leider auffällt: Ausgerechnet die Gruppe, die am härtesten betroffen ist, ist immer noch nicht im Visier. Das sind: die Frauen.
Ausgerechnet! Denn es sind Frauen – allen voran Feministinnen – die in den vergangenen Jahren immer wieder auf diesen Hass im Netz hingewiesen haben. Hass, dem diese Frauen selber tagtäglich ausgesetzt waren und sind.
Wie die Unternehmerin, über die auf Blogs geschäftschädigende Lügen verbreitet werden. Die Mütter-Bloggerin, die Vergewaltigungsdrohungen erhält – auch an ihre 10-jährige Tochter. Die Schülerin, die so lange im Netz gemobbt wird, bis sie sich das Leben nimmt. Die Frau, die das Video ihrer Vergewaltigung entdeckt, mit dem sich die Täter auch noch brüsten. Die Studentin, deren Ex-Freund sie gedemütigt hat, indem er Nacktfotos für jeden sichtbar ins Netz gestellt hat. Oder die Journalistin, die „mal wieder ordentlich durchgefickt werden muss! Ich ramm dir meinen Schwanz in den Mund, bis dein Schädel platzt!“ Solche Kommentare gehen Hand in Hand mit einer erschlagenden Masse frauenverachtender Inhalte. Beispiel Facebook: Öffentliche Gruppen wie „Loch ist Loch“ oder „Tittenfreunde“ strotzen vor sexistischen und pornografischen Inhalten. Frau möchte sich gar nicht vorstellen, was sich in geschlossenen Facebook-Gruppen wie „Geile Ärsche“, „Fotos deiner Ex-Freundin“, „Sexy Girls“, „Die heißesten MILFs (Anm.d.Red.: Mothers I like to fuck) Deutschlands“ oder „Heiße Dessous, feuchte Höschen“ abspielt.
Da hat sich bisher kein Verfassungsschützer eingeschlichen. Zum Sommer hatte EMMA auf Facebook eine Seite gemeldet, die für die „schöne Tradition der Genitalverstümmelung“ warb. Erste Rückmeldung: „Dieser Inhalt verstößt nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards“. Erst nach massivem Protest von NutzerInnen wurde die Seite gelöscht.
Feministinnen haben schon früh auf das Problem hingewiesen
Inzwischen ist auch die vom Europarat initiierte Kampagne „No Hate Speech Movement“ in Deutschland angekommen, gefördert vom Bundesfrauenministerium. Zum „Nationalen Komitee“ zählen die Antidiskriminierungsstelle, das Auswärtige Amt und die Bundeszentrale für politische Bildung; und auch die „Netzfeministinnen“ Anne Wizorek und Kübra Gümüsay.
Auf der Webseite zur Kampagne gibt es die Liste „Gegen wen richtet sich Hate Speech?“. Laut dieser Liste unter anderem gegen: „Muslim*innen“, „geflüchtete Menschen“, „Sinti*ze und Rom*nija“, „LGBT“ sowie „Menschen mit Behinderung“.
Frauen werden in dieser Liste als Opfer-Gruppe nicht explizit gelistet. Und das, obwohl sich die Vertreterinnen von No-Hate-Speech selbst mehrfach auf Studien beziehen, die darauf hinweisen, dass vor allem Frauen Opfer von Hassbotschaften im Netz und von Cybermobbing sind.
Und die Bundeskriminalstatistik 2015 belegt: „Bedrohungen“ mit dem „Tatmittel Internet“ gehen in 2.700 Fällen von Männern aus – und nur 765 von Frauen. Bei der „Nachstellung“ (Stalking) via Netz sind 1.227 Täter männlich und 340 weiblich. Wegen Beleidigung im Internet wurden 6.228 Männer angezeigt – und 3.672 Frauen. Und wegen Volksverhetzung 1.059 Männer und nur 197 Frauen. Das heißt: Diese Hassbotschaften kommen bis zu fünf Mal so oft von Männern. Und auch beim Stalking im Netz sind die männlichen Täter deutlich in der Überzahl. Ihre Opfer sind zum überwiegenden Teil Frauen.
Und trotzdem geht es auch bei der „Task Force gegen Hassbotschaften“, die das Justizministerium vor einem Jahr zusammen mit Anbietern wie Facebook und Twitter sowie der Amadeu Antonio Stiftung und jugendschutz.net ins Leben gerufen hat, explizit vor allem um „fremdenfeindliche und rassistische Hassbotschaften“ im Internet.
„Hasskriminalität“ fällt in der Erfassung von Straftaten unter „politisch motivierte Kriminalität“, dazu zählt das Innenministerium auf seiner Webseite Straftaten, die „sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten“. Und die Kategorie Geschlecht?
Jüngst hat die Bundesregierung angekündigt, ab Januar 2017 sollen auch „islamfeindlich motivierte Straftaten“ erfasst werden. „Frauenfeindlich motivierte Straftaten“ sind in Deutschland keine Kategorie. In den USA ist das anders. Da gehören seit 2009 zu den sanktionierten hate crimes selbstverständlich auch die sexistischen hate crimes, der Frauenhass.
Im vergangenen Sommer trat auf Empfehlung des NSU-Ermittlungsausschusses auch die lange debattierte Gesetzesänderung in Kraft, Hasskriminalität stärker zu bestrafen. Der Entwurf dafür lag seit 2012 in der Schublade. Seither werden unter § 46 über die „Grundsätze der Strafzumessung“ im Strafgesetzbuch „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe“ als Tatmotiv verschärfend berücksichtigt. Auf Nachfrage beim Justizministerium, ob es Pläne gibt, auch frauenverachtende Straftaten besonders zu berücksichtigen, erklärte ein Sprecher: „Ein solches Vorhaben besteht nicht.“ Diese Straftaten seien mit dem Begriff „menschenverletzend“ abgedeckt.
Aber Frauenhass
ist in Deutsch-
land keine
Kategorie
Auch eine Anfrage an das Bundeskriminalamt, ob denn zukünftig Razzien wegen Frauenhass im Netz geplant seien, stieß auf Erstaunen. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte eine BKA-Sprecherin: „Dieser Aktionstag sollte ein deutliches Zeichen gegen Rechts im Netz setzen und deutlich machen, dass das Internet kein straffreier Raum ist. Beleidigungen, Volksverhetzungsdelikte u.a. werden durch die Polizei auch im virtuellen Raum konsequent verfolgt. Ungeachtet dessen gibt es eine Vielzahl an Straftaten im Netz. Hier kann es sich um Verbreitung von Kinderpornografie, Rauschgifthandel, aber auch um Beleidigung, Bedrohung etc. – auch gegen Frauen – handeln.“
Auch gegen Frauen. Die Frauen sind also wie immer mitgemeint. Theoretisch könnten Hasspostings gegen Frauen genauso wie die Hasspostings gegen Flüchtlinge als „Volksverhetzung“ angezeigt werden. Im § 130 des Strafgesetzbuchs heißt es schließlich: „Wer gegen (…) Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Allerdings müsste man dafür die Frauen als „Teil der Bevölkerung“ begreifen. Und das scheint auch im Jahr 2016 noch nicht der Fall zu sein in Deutschland. Bis dahin warten wir also auf den Tag, an dem der BKA-Chef vor die Presse tritt und sagt: „Im Jahr 2015 sind 320 Frauen getötet worden, jede zweite vom eigenen Ehemann oder Freund. 9.785 wurden vergewaltigt oder sexuell genötigt. Angriffe auf Frauen sind häufig das Ergebnis einer Radikalisierung, die auch in sozialen Netzwerken beginnt.“
Alexandra Eul