Heidi Reichinnek: Wer ist sie?
Aller politischen Differenzen zum Trotz hätte ich mir nicht vorstellen können, dass eine christlich-demokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert!“ Diese Worte feuerte eine zornige Heidi Reichinnek am 29. Januar 2025 im deutschen Parlament in Richtung Friedrich Merz. Die „Brandmauer-Rede“ der Spitzenkandidatin der Linken schlug ein. Sie wurde mehr als sieben Millionen Mal im Internet abgerufen.
Nur wenige Monate zuvor war Reichinnek noch nahezu unbekannt. Nun war sie plötzlich wer, die neue Linke: 36 Jahre alt, Szene-Pony, knallrote Lippen, tätowierte Arme, ostdeutsche Resolutheit und randvoll mit Emotionen. Sie spricht schnell (200 Wörter schafft sie pro Minute, Olaf Scholz schafft gerade mal 100, Frank Walter Steinmeier 50). Auf Instagram und TikTok ist sie hochaktiv und hat über 600.000 Follower.
Abrupt kletterten die Stimmen für die junge Frau nach oben. Die „Mission Silberlocke“ mit den „alten, weißen Männern“ – Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow –, die drei Direktmandate holen sollten, rückte in den Hintergrund. Und auch Reichinneks Counterpart Jan van Aken wurde schnell klar, dass die Hauptrolle nun vergeben war.
Reichinnek punktete vor allem bei den ErstwählerInnen, den jungen Frauen und den MuslimInnen. Die totgesagte Linke zieht mit 8,8 Prozent in den Bundestag ein. Die Fraktion ist mit 64 Abgeordneten so stark, dass die Union mit ihr verhandeln muss, wenn sie das Grundgesetz ändern will.
Die Medien kürten Heidi Reichinnek schon vor der Wahl zur neuen „Symbolfigur für soziale Gerechtigkeit“. (Wohl auch, um die „alte Symbolfigur“, Sahra Wagenknecht, zu demontieren.) Vor der Abspaltung des BSW war Reichinnek frauenpolitische Sprecherin der Partei. „Linke Politik ist, für die zu kämpfen, denen es scheiße geht“, sagt Reichinnek, die sich gern die Aura einer Straßenkämpferin gibt und das auch zu glauben scheint. „Auf die Barrikaden!“, rief sie bei der Brandmauer-Rede. „Alerta, Alerta Antifascista!“ skandierte die neue Links-Fraktion fürs Gruppenfoto.
Diese Art Revolutions-Romantik ist nicht neu. Doch der neue weibliche Linken-Star ist es.
Geboren wurde Reichinnek 1988 in Merseburg in Sachsen-Anhalt, nahe Leipzig. Die Mutter ist Chemiefacharbeiterin, der Vater Elektriker. „Ich war ein kleines, dickes unsportliches Mädchen vom Dorf“, sagt Reichinnek. In Halle studierte sie Politik- und Nahoststudien, arbeitete am Centrum für Nah- und Mitteloststudien in Marburg, in der „Demokratieförderung“ und bis 2021 in der Jugendhilfe in Osnabrück, wo sie heute lebt und ihren Wahlkreis hat. Über ihr Privatleben schweigt sie. Nur, dass sie Nelken (die Arbeiterblume) und Heavy Metal liebt und am liebsten mit Hunden und Katzen zusammenleben würde, verrät sie.
2015 trat Heidi Reichinnek in die Partei ein, 2021 zog sie in den Bundestag. Dort setzte sie die Partei aufs Gleis für die Themen, die die anderen Parteien so sträflich vernachlässigten: Mietendeckel, Mindestlohn, Vermögenssteuer, Lebensmittelpreissenkungen. In einer Verschärfung des Asylrechts sieht ihre Partei als einzige keinen Sinn. Problematisch wird es auch, wenn es für die Frauenbewegte um die Frage geht, was eine Frau ist. So stimmte die Linke für das so genannte Selbstbestimmungs-gesetz und glorifiziert es bis heute: „Die Rechte von Frauen stehen für uns dazu in keinem Widerspruch.“
Nun ist Heidi Reichinnek das „rebellische Gesicht“ der Linken geworden. Davon zeugen auch ihre rot-schwarz tätowierten Arme. Ihren linken, den „politischen“ Arm, wie sie sagt, zieren die Konterfeis von Rosa Luxemburg, ihrem großen Vorbild, und der ägyptischen Königin Nofretete mit Gasmaske – als „Erinnerung an den arabischen Frühling und den Aufstand der Leute“. Auf dem rechten Arm ist neuerdings ein „Angry-Young-Woman-Tattoo“ hinzugekommen. Die Rolle der wütenden Frau passt zu ihr, findet Heidi Reichinnek – und war im Bundestag bislang eine Leerstelle.
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