HeldinnenAward an Nasrin Sotoudeh
Noch in der Stunde vor der Verleihung des HeldinnenAward an Nasrin Sotoudeh durch die Alice-Schwarzer-Stiftung telefonierte Alice mit Reza, dem Mann von Nasrin, in Teheran. Der war verzweifelt und hoffnungsvoll zugleich. Denn die 20 ebenfalls unverschleierten Frauen, die gleichzeitig mit Nasrin bei dem Begräbnis von Armita Garavand verhaftet worden waren, waren inzwischen entlassen worden. Nur Nasrin saß noch im Gefängnis.
Zwei Tage später war Nasrin Sotoudeh frei. Was die todesmutige Anwältin ohne jeden Zweifel dem internationalen Protest zu verdanken hat, vor allem dem aus Frankreich. Und nicht zuletzt auch dem im Berliner Roten Rathaus verliehenen HeldinnenAward.Bei der Verleihung am 13. November 2023 konnte Nasrin nicht dabei sein. Mansoureh Shojaee, eine im niederländischen Exil lebende Freundin von Nasrin, nahm den Preis stellvertretend für sie entgegen. Nach der Veranstaltung wurde sie mit Mails aus aller Welt und Iran überschüttet. Der unabhängige iranische TV-Sender Volant Media/Iran International, mit Sitz in London, hatte die anderthalb Stunden live gestreamt. Und die Deutsche Welle TV hatte einen engagierten 15-Minuten-Bericht gesendet.
Oppositionelle Iranerinnen und Iraner im „Gottesstaat“ wie im Exil waren außer sich vor Freude über die demonstrative Solidarität aus Deutschland. Denn genau das ist jetzt für alle IranerInnen überlebenswichtig. Ihr Aufstand gegen das Terrorregime darf nicht in Vergessenheit versinken in dieser Welt der eskalierenden Konflikte und Dramen.
Auch die aktuelle Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi ist noch im Gefängnis. Sie ist einer von etwa 20.000 Menschen, Frauen wie Männer, die seit den von Mahsas Tod ausgelösten Protesten „Frau, Leben, Freiheit“ verhaftet wurden.
Nasrin war bereits 2019 erneut ins Gefängnis verschleppt und zu 38 Jahren Gefängnis plus 145 Peitschenhieben verurteilt worden. Grund: Sie hatte es gewagt, drei der sogenannten „Mädchen der Revolutionsstraße“ als Anwältin zu verteidigen. Die jungen Frauen hatten sich ab Anfang 2018 demonstrativ öffentlich den Schleier vom Kopf gerissen und ihn wie eine Fahne der Freiheit geschwenkt.
In ihrer ergreifenden Laudatio im Roten Rathaus ließ Jasmin Tabatabai, deren Vater Iraner ist, das so mutige Leben von Nasrin Sotoudeh und deren Ringen um Gerechtigkeit Revue passieren (hier alle Reden der Veranstaltung).
Auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner fand einfühlsame und herzliche Worte für die iranische Frauenrechtlerin: „Auf der Welt gibt es viele Frauen, die sich für die Rechte der Frauen und gegen die Unterdrückung von Frauen engagieren“, sagte er. „Nasrin Sotoudeh ist eine dieser Frauen – und eine Heldin. Ich habe für die Verleihung des HeldinnenAward der Alice-Schwarzer-Stiftung gern die Rolle des Gastgebers übernommen.“
Alice Schwarzer schließlich erinnerte an ihre Reise in den Iran, wenige Wochen nach der Machtergreifung Khomeinis 1979: „Schon da war klar, dass die Frauen zwar im Schah-Regime ihr Leben für die Freiheit riskieren durften“, sagte sie, „im Gottesstaat aber nicht in Freiheit leben würden“. Und sie skizzierte den Kreuzzug der Islamisten seit Mitte der 1980er Jahre bis ins Herz der europäischen Metropolen heute.
Mansoureh Shojaee thematisierte in ihrer Dankesrede an den 200 Jahre währenden Kampf der Iranerinnen für Menschenrechte und gegen die entwürdigende Zwangsverschleierung. Sie appellierte eindringlich auch an die deutsche Politik, sich für Nasrin und die Zehntausende Oppositionellen einzusetzen, die in Irans Folter-Gefängnissen in Lebensgefahr schweben.
Die Schauspielerin Claudia Burckhardt war Nasrins deutsche Stimme für deren Dankesrede. Und Prof. Jürgen Wilhelm, Mitglied des Vorstandes der Alice-Schwarzer-Stiftung, übergab stellvertretend Mansoureh den Preis (10.000 Euro) und präsentierte die von der Künstlerin Leiko Ikemura für den Preis geschaffene Skulptur „Victory Hase“.
Der HeldinnenAward der Alice-Schwarzer-Stiftung wurde 2023 erstmals vergeben. Es gibt für dieses Jahr kaum eine verdienstvollere und würdigere Preisträgerin als die todesmutige Nasrin Sotoudeh.
Die komplette Aufzeichnung der Veranstaltung, 72 Minuten, steht auf Youtube. Die Stiftung wurde 2018 gegründet. 2022 veranstaltete sie, in Kooperation mit der französischen Botschaft, einen Tag für Afghaninnen, an dem den Vergessenen eine Stimme gegeben wurde. Alle Informationen und Aktivitäten der Stiftung siehe: alice-schwarzer-stiftung.de