Henda Ayari: Die Entkommene

© Jean-Christophe Marmara/Figaro
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Henda Ayari ist die Tochter einer Tunesierin und eines Algeriers, geboren in Frankreich. Mit 18 wurde sie zwangsverheiratet mit einem Salafisten. Nach 20 Jahren brach sie aus der Ehe aus. 2016 veröffentlichte sie ihr Buch „J’ai choisi d‘être libre“ (Ich habe mich entschieden, frei zu sein). Darin berichtet sie u.a. von einer Vergewaltigung, anonymisierte jedoch den Täter. Jetzt nannte Henda auf ihrer Facebook-Seite den Mann, den sie beschuldigt, beim Namen: Tariq Ramadan. Und erstattete Anzeige wegen „Vergewaltigung und Todesdrohung“.

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Warum haben Sie nicht schon vorher ­Anzeige erstattet?
Weil ich Angst hatte. Er hat mir verboten, über ihn zu sprechen und mir mit den Worten gedroht: „Henda, ich weiß alles über dich. Nimm dich in Acht. Ich bin nicht alleine. Ich habe viele Menschen um mich herum, die mich unterstützen. Du möchtest doch nicht, dass dir oder deinen Kindern ein Unglück passiert?“

Hatten Sie eine Beziehung mit Tariq ­Ramadan?
Nein. Ich habe ihn nur einmal gesehen. Ich habe Kontakt zu ihm aufgenommen, wie viele andere Frauen und Männer auch, weil er als eine große religiöse Autorität gilt, ein islamischer Gelehrter. Das war die Zeit, in der ich mich von der salafistischen Doktrin zu lösen begann und mir viele Fragen in Bezug auf die Religion stellte, Antworten suchte. Und ich war auch, wie so viele Frauen, fasziniert von diesem sehr charismatischen Mann. Wir hatten uns zum Abendessen in seinem Hotel verabredet, nach seiner Konferenz. Aber als er im Hotel ankam, hat er mich direkt gebeten, mit in sein Zimmer zu kommen. Er hat mir orientalische Patisserien angeboten, und nach zwei, drei Minuten hat er mich geküsst. Ich war wie versteinert und habe gesagt: „Das geht aber zu schnell.“ Doch je stärker ich ihm widerstand, umso stärker schlug er mich. Dann hat er mich vergewaltigt. Ich dachte, ich sterbe. Dann ist er aufgestanden, um zu duschen. Ich blieb wie gelähmt in einer Ecke des Zimmers sitzen. Ich fühlte mich verraten und beschmutzt. Dann hat er 50 Euro auf meine Handtasche gelegt. Ich hatte noch die Kraft, ihm zu sagen, dass ich keine Prostituierte sei … Er hat mir verboten, auch nur ein Wort über das zu sagen, was passiert war – sonst würde ich ihn nie wiedersehen. Ich war sprachlos. Ich hatte auch ein schlechtes ­Gewissen und sagte mir: Es war mein Fehler, dass ich zu der Verabredung gegangen bin. Ich dachte auch, dass man mir niemals glauben würde, dass mein Wort so viel weniger wiegen würde als seines. Ich fühlte mich ­allein, wie alle Opfer von Vergewaltigungen, schuldig und traumatisiert zugleich. Ich schämte mich und hatte Angst.

2012 haben Sie keine Anzeige erstattet aus Angst, dass niemand Ihnen glaubt. Warum sollte das heute anders sein?
Ich hatte seit Jahren Lust, ihn anzuzeigen, und habe das immer mit mir getragen. Als ich jetzt die Stimmen von all den Frauen las, prominenten wie unbekannten, die in dem Hashtag #VerpfeifDeinSchwein den Mut hatten zu reden, da konnte auch ich nicht länger schweigen. Nachdem ich endlich seinen Namen auf meiner Facebook-Seite gepostet hatte, habe ich vor Angst geschlottert. Ich habe mir gesagt: „Was hast du getan?“ Aber tief im Inneren spürte ich, wie befreiend und stark das war.

Haben Sie Drohungen erhalten, seit Sie Tariq Ramadan angezeigt haben?
Ja. Anonyme Anrufe. Hassmails der Art: „Du bist nur eine Hure, wir werden dich erwürgen und in die Hölle schicken“ und „Du wirst für deine Lügen von den Juden bezahlt“ oder „Du willst nur Werbung machen für dein Buch“. Man hat sogar an meiner Tür geklingelt. Woher kennen diese Leute meine Adresse? Der Mann, den ich beschuldige, hat eine Armee von blinden Groupies hinter sich. Frauen wie Männer. Für sie ist er ein Halbgott, sie sind bereit, alles für ihn zu tun. Er manipuliert sie und nährt seinen Persönlichkeitskult nach der Methode perverser Narzissten.

Nach Ihnen hat eine zweite Frau Anzeige ­erstattet. Und weitere haben Sie kontaktiert.
Ja, ein Dutzend Frauen haben mir berichtet, dass auch sie Opfer von Tariq Ramadan sind. Die meisten haben Angst, öffentlich zu reden oder Anzeige zu erstatten. Nicht zuletzt, weil sie sich schämen. Alle diese Opfer sagen dasselbe: Dass er sehr ­gewalttätig gewesen sei und voller Hass, dass er total die Kontrolle verloren habe und wollte, dass die Frauen ihn mit „Maître“ (Gebieter) ansprechen. Tariq Ramadan ist ein Betrüger, ein Hochstapler.

Was meinen Sie damit?
Er missbraucht seine religiöse Autorität, um Frauen so zu behandeln. Ich bin für einen Islam des Friedens, der Toleranz. Für einen Islam, der die Frauen respektiert. Ich bin ­gegen die Islamisten, die die Religion instrumentalisieren für ihre politischen, finanziellen oder sexuellen Interessen. Ich möchte die Doppelmoral dieser intellektuellen Muslime entlarven; diese Hochstapler, die, ganz wie mein Aggressor, vorgeben, die Frauen zu respektieren, sie aber in Wahrheit grauenvoll und extrem gewalttätig behandeln. Viele Muslime beschimpfen mich jetzt, weil ich Tariq Ramadan infrage stelle. Gewalt gegen Frauen gibt es bei gläubigen Katholiken, ­Juden, Protestanten oder bei Atheisten. Diese Gewalt existiert auch bei den Muslimen, wie überall. Warum soll man nicht darüber sprechen dürfen?

Das vollständige Gespräch erschien zuerst auf ELLE online.

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Henda Ayari: „J’ai choisi d’être libre“ (Editions Flammarion)

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„Ramadan drohte mir mit dem Tode"

Henda Ayari hat sich dazu entschlossen, Ramadan anzuzeigen.
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Henda Ayari ist die Tochter einer Tunesierin und eines Algeriers, geboren in Frankreich. Mit 18 wurde sie zwangsverheiratet mit einem Salafisten. Nach 20 Jahren brach sie aus der Ehe aus. 2016 veröffentlichte sie ihr Buch „J‘ai choisi d'être libre“ (Ich habe mich entschieden, frei zu sein). Darin berichtet sie u.a. von einer Vergewaltigung, anonymisierte jedoch den Täter. Am 20. Oktober nannte Henan auf ihrer Facebook-Seite den Mann, den sie beschuldigt, beim Namen: Tariq Ramadan. Am 24. Oktober erstattet sie Anzeige. Damit löste sie eine Welle der Empörung aus, auf beiden Seiten. Jetzt spricht Henda zum ersten Mal selber: mit der französischen Frauenzeitschrift ELLE. 

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Warum haben Sie nicht schon vorher Anzeige erstattet?
Weil ich Angst hatte. Wenige Tage, nachdem Tariq Ramadan mich vergewaltigt hatte, habe ich ihn angerufen, um ihm zu sagen, wie unmöglich sein gewalttätiges Verhalten war, und dass ich schockiert und außer mir sei. Er hat mir verboten, über ihn zu sprechen und mir mit den Worten gedroht: „Henda, ich weiß alles über dich. Nimm dich in Acht. Ich bin nicht alleine. Ich habe viele Menschen um mich herum, die mich unterstützen. Du möchtest doch nicht, dass dir oder deinen Kindern ein Unglück passiert?“ Ich war außer mir, aber diese Drohungen haben mir eine schreckliche Angst gemacht. Dennoch habe ich damals einigen mir nahestehenden Menschen davon erzählt. In meinem Buch habe ich in dem Kapitel, in dem ich über die Vergewaltigung schreibe, seinen Namen nicht genannt. Um mich und meine Kinder zu schützen. Ich wollte auch keinen Prozess wegen Verleumdung riskieren. Er ist so bekannt und so mächtig.

Hatten Sie eine Beziehung mit Tariq Ramadan?
Nein. Ich habe ihn nur einmal gesehen. Ich habe Kontakt zu ihm aufgenommen, wie viele andere Frauen und Männer auch, weil er als eine große religiöse Autorität gilt, ein islamischer Gelehrter. Das war die Zeit, in der ich mich von der salafistischen Doktrin zu lösen begann und mir viele Fragen in Bezug auf die Religion stellte, Antworten suchte. Und ich war auch, wie so viele Frauen, fasziniert von diesem sehr charismatischen Mann. Wir hatten uns zum Abendessen in seinem Hotel verabredet, nach seiner Konferenz. Aber als er im Hotel ankam, hat er mich direkt gebeten, mit in sein Zimmer zu kommen. Er hat mir orientalische Patisserien angeboten, und nach zwei, drei Minuten hat er mich geküsst. Ich war wie versteinert und habe gesagt: „Das geht aber zu schnell.“ Er hat versucht, mich auszuziehen und wurde sehr heftig. Doch je stärker ich ihm widerstand, umso stärker schlug er mich. Er hat mich vergewaltigt. Ich dachte, ich sterbe. Dann ist er aufgestanden, um zu duschen. Ich blieb wie gelähmt in einer Ecke des Zimmers sitzen. Ich fühlte mich verraten und beschmutzt von einem Mann, der eine große religiöse Autorität ist. Dann hat er 50 Euro auf meine Handtasche gelegt. Ich hatte noch die Kraft, ihm zu sagen, dass ich keine Prostituierte sei… Er hat mir verboten, auch nur ein Wort über das zu sagen, was passiert war – sonst würde ich ihn nie wiedersehen. Ich war sprachlos. Ich hatte auch ein schlechtes Gewissen und sagte mir: Es war mein Fehler, dass ich zu der Verabredung gegangen bin. Ich dachte auch, dass man mir niemals glauben würde, dass mein Wort so viel weniger wiegen würde als seines. Er kann so gut reden, er ist so bekannt, er wird ins Fernsehen eingeladen, er wird geschätzt als großer islamischer Intellektueller und behandelt wie ein Heiliger. Ich hatte keine Beweise, keine medizinische Untersuchung danach gemacht. Ich sagte mir: Es ist sinnlos, Anzeige zu erstatten. Ich fühlte mich allein, wie alle Opfer von Vergewaltigungen, schuldig und traumatisiert zugleich. Ich schämte mich und hatte Angst.

Tariq Ramadan. © Imago / Pacific Press Agency
Tariq Ramadan. © Imago / Pacific Press Agency

Hat Tariq Ramadan reagiert, als 2016 Ihr Buch „J’ai choisi d'être libre“ erschien, in dem Sie über die Vergewaltigung berichten, ohne seinen Namen zu nennen?
Nicht direkt, aber indirekt. Als mein Buch rauskam, hat er mich umgehend in den sozialen Netzen blockiert. Und Menschen haben mich anonym kontaktiert und gefragt, wer denn die Person sei, über die ich da geschrieben hatte. Man hat mir Geld angeboten, wenn ich den Namen des Täters sagen würde. Das habe ich selbstverständlich nicht akzeptiert. Ich habe mich gefragt, ob das eine Falle ist, die Sympathisanten von Tariq Ramadan mir stellten.

2012 haben Sie keine Anzeige erstattet aus Angst, dass niemand Ihnen glaubt. Warum sollte das heute anders sein?
Ich hatte seit Jahren Lust, ihn anzuzeigen, und habe das immer mit mir getragen. Als ich jetzt die Stimmen von all den Frauen las, prominenten wie unbekannten, die in dem Hashtag #verpfeifdeinschwein den Mut hatten zu reden, da konnte auch ich nicht länger schweigen. Auch ich wollte endlich sagen, wer „mein Schwein“ war. Ich gebe zu, dass ich, nachdem ich endlich seinen Namen auf meiner Facebook-Seite gepostet hatte, vor Angst schlotterte. Ich habe mir gesagt: „Was hast du getan?“ Aber tief im Inneren wusste ich, dass ich es hatte tun müssen. Ich spürte, wie befreiend und stark das war. Ganz in dem Geiste hatte ich ja schon 2015 den Verein „Liberatrices“ (Befreierinnen) gegründet – der allerdings leider niemals staatlicherseits unterstützt wurde. Meine Anwälte, Jonas Haddad und Grégoire Leclerc, haben am 24. Oktober die Klage eingereicht und die Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren eingeleitet wegen „Vergewaltigung und Todesdrohung“. Vielleicht haben ja auch andere Frauen, die mit ihm dasselbe erlebt haben wie ich, Beweise gegen ihn. Ich vertraue der Justiz.

Haben Sie Drohungen erhalten, seit Sie Tariq Ramadan angezeigt haben?
Ja. Anonyme Anrufe. Hassmails der Art: „Du bist nur eine Hure, wir werden dich erwürgen und in die Hölle schicken“ oder „Du wirst für deine Lügen von den Juden bezahlt“ und „Du willst nur Werbung machen für dein Buch“. Man hat sogar an meiner Tür geklingelt. Woher kennen diese Leute meine Adresse? Der Mann, den ich beschuldige, hat eine Armee von blinden Groupies hinter sich. Frauen wie Männer. Für sie ist er ein Halbgott, sie sind bereit, alles für ihn zu tun. Er manipuliert sie und nährt seinen Persönlichkeitskult nach der Methode perverser Narzissten. Aber ich habe auch viel Unterstützung erfahren, von Frauen wie Männern. Dank dieser Unterstützung halte ich durch, trotz der Drohungen.

Am 27. Oktober hat eine zweite Frau Anzeige erstattet. Und weitere haben Sie kontaktiert.
Ja, ein Dutzend Frauen haben mir berichtet, dass auch sie Opfer von Tariq Ramadan sind. Die meisten haben Angst, öffentlich zu reden oder Anzeige zu erstatten. Nicht zuletzt, weil sie sich schämen. Die Vergewaltigung ist ein enormes Tabu in unserer Community wie unserer Religion. Alle diese Opfer sagen dasselbe: Dass er sehr gewalttätig gewesen sei und voller Hass, dass er total die Kontrolle verloren habe und wollte, dass die Frauen ihn mit „Maître“ (Gebieter) ansprechen. Tariq Ramadan ist ein Betrüger, ein Hochstapler.

Was meinen Sie damit?
Er missbraucht seine religiöse Autorität, um Frauen so zu behandeln. Damit konnte keine rechnen. Auch ich nicht. Ich bin Muslimin und ich verleugne nicht meine Religion. Ich bin für einen Islam des Friedens, der Toleranz. Für einen Islam, der die Frauen respektiert. Ich bin gegen die Islamisten, die die Religion instrumentalisieren für ihre politischen, finanziellen oder sexuellen Interessen. Ich möchte die Doppelmoral dieser intellektuellen Muslime entlarven; diese Hochstapler, die, ganz wie mein Aggressor, vorgeben, die Frauen zu respektieren, sie aber in Wahrheit grauenvoll und extrem gewalttätig behandeln. Viele Muslime beschimpfen mich jetzt, weil ich Tariq Ramadan infrage stelle. Dabei habe ich noch nie den Islam an sich infrage gestellt. Gewalt gegen Frauen gibt es bei gläubigen Katholiken, Juden, Protestanten oder bei Atheisten. Diese Gewalt existiert auch bei den Muslimen, wie überall. Warum soll man nicht darüber sprechen dürfen?

In welcher Verfassung sind Sie heute?
Ich habe meine Angst überwunden und meinen Aggressor entlarvt, obwohl er so mächtig und berühmt ist. Und ich bin entschlossen, diese ganze Hypokrisie, seine und die der anderen, zu entlarven! Ich bin nicht stolz auf mich. Ich habe den Fehler gemacht, ihm zu vertrauen. Aber ich will nicht länger ein Opfer sein. Das Risiko, ihn anzuzeigen, habe ich nicht nur für mich auf mich genommen, sondern für alle Musliminnen. An ihnen, jetzt in Gang zu kommen! Ihre Angst zu überwinden und das Tabu, damit ihr Leiden an der sexuellen Gewalt endlich gesehen wird.

Das Gespräch erschien zuerst auf ELLE online, Frankreich.

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Henda Ayari: „J‘ai choisi d'être libre“ (Edition Flammarion)

Jürg Altwegg war für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in Rouen und hat Henda Ayari getroffen. Sein Porträt über die Frau erlaubt einen tiefen Blick in die Welt der Salafisten.

 

 

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