Die jungen Frauen waren es!
Kein Zweifel: Die 49-jährige Ypsilanti war - unabhängig von ihrem Programm - selber Programm. Was bisher kaum analysiert wurde, für sie selbst jedoch keine Überraschung gewesen sein dürfte. Schließlich hat die studierte Soziologin schon 1991 eine Diplom-Arbeit vorgelegt zu dem Thema "Biografien einflussreicher Frauen". In der beschäftigt sie sich mit dem (fehlenden) Einfluss der (häufig abwesenden) Väter auf die Töchter. Der Vater ihres zwölfjährigen Sohnes Konstantin ist anwesend. Klaus-Dieter Stork, Kulturmanager der Stadt Hanau, hat beruflich zurückgesteckt und macht mit Ypsilanti in Sachen Kind halbe-halbe. Mindestens. Auch politisch ist er seiner Frau und Parteigenossin verbunden, so sehr, dass er zum Erstaunen der FernsehzuschauerInnen im Wahlkampf ihre Reden gerne mitflüsterte, tonlos die Lippen bewegend. Privat leben die Ypsilanti-Storks in einer "Zweifamilien-Wohngemeinschaft, in der vier Berufstätige drei Kinder erziehen".
Vermutlich fanden ihre jungen Wählerinnen also nicht nur das politische Programm der Tochter eines Opel-Arbeiters und ehemaligen Sekretärin zukunftstauglich, sondern auch ihr privates Lebensmodell. Eine DeutschlandTrend-Umfrage im Auftrag der Tagesthemen ergab: Die Hälfte der BundesbürgerInnen finden, sie sollte es werden - nur ein Drittel ist für Koch. Wenn dieses Heft erschienen ist, dann wissen wir schon mehr. Denn dann sind die Hamburgwahlen gelaufen und hat die Hessen-SPD mehr Spielraum, um ihrem neuen Superstar doch noch irgendwie auf den Ministerpräsidenten-Sessel zu heben.Es ist schon erstaunlich: Da werden Wählerwanderungen noch und nöcher analysiert. Wieviele Arbeiter sind von der CDU zur SPD gewechselt? Wie viele NichtwählerInnen hat die Linkspartei mobilisiert? Wie haben die GroßstädterInnen im Vergleich zur Landbevölkerung gewählt? Nur eine Wählergruppe beachtet - wie so oft - niemand: die Frauen. Dabei haben sie entscheidend dafür gesorgt, dass Roland Koch jetzt rot sieht beziehungsweise sich schwarz ärgert. Denn: 38 Prozent der Hessinnen wählten die SPD, aber nur 35 Prozent der Hessen.
Und ginge es nur nach den Wählerinnen zwischen 18 und 29 Jahren, könnte Andrea Ypsilanti fast allein regieren: Knapp jede zweite Jungwählerin (48%) stimmte für die SPD! Zusammen mit den Grünen, für die noch einmal jede achte Wählerin (12%) unter 30 Jahren votierte, käme Rot-grün in Hessen bei den jungen Frauen auf satte 60 Prozent.
Die Jungwähler hingegen gäben dieser Konstellation keine Chance: Nur gut jeder dritte Hesse (36%) unter 30 gab Ypsilanti seine Stimme, und nur jeder zwölfte den Grünen (8%).
Auch bei den Frauen in den mittleren Jahren ist der Gender Gap gewaltig. 43% aller Frauen zwischen 30 und 44 Jahren stimmten für die SPD - aber nur 36% der gleichaltrigen Männer. Zusammen mit den weiblichen 9% für die Grünen wäre eine Ministerpräsidentin Ypsilanti ebenfalls auf eine komfortable Mehrheit von 52% gekommen.
Nur in der Gruppe der 45- bis 59-Jährigen haben die Geschlechter fast gleich votiert. Einen umgekehrten Gender Gap gibt es bei den WählerInnen ab 60: Zwar rekrutiert die CDU hier bei Männern und Frauen ihre größte Wählergruppe, aber während die älteren Hessen zu 48% für Roland Koch stimmten, wollten 51% ihrer Altersgenossinnen ihren Ministerpräsidenten behalten. Was erstens mit der traditionellen Verbundenheit dieser Frauengeneration mit der christlichen Partei zu tun hat. Zweitens aber dürften gerade ältere Frauen diejenigen sein, bei denen Kochs Hauptwahlkampfthema - die Jugendkriminalität - auf fruchtbaren Boden gefallen ist, weil sie sich verständlicherweise besonders bedroht fühlen.
FDP und Linkspartei haben sich auch in diesem Wahlkampf wieder als klassische Männerparteien erwiesen. In allen Altergruppen stimmten männliche WŠhler häufiger für die Westerwelle-Partei (11% Männer, 9% Frauen) beziehungsweise für das vom Herrendoppel Gysi/Lafontaine dominierte Linksbündnis. Hätten in Hessen nur Frauen gewählt, wäre die Linke gar nicht im Landtag: 7% der Männer haben die Linke gewählt, aber nur 4% der Frauen. Besonders stark zog es die Männer zwischen 45 und 59 Jahren zu den Linken: Von den 18% Wählern, die die CDU in der Altergruppe der Alt-68er verlor, wanderten stolze 9% zur Linkspartei ab (und nur die anderen 9% zur SPD).
Die Gründe für die Entscheidung der WählerInnen werden seit Wochen debattiert: Die Jugendkriminalität, der Mindestlohn, die Energiepolitik. Letztere ist in der Tat ein Thema, das junge Frauen besonders anspricht. Könnte es aber für die Wählerinnen in Hessen noch ein weiteres Motiv gegeben haben? Wäre es denkbar, dass sie sich - neben all den anderen durchaus plausiblen Gründen - in Zeiten abenteuerlicher Männerwirtschaft anstelle eines sich plusternden Alphamännchens schlicht eine gelassene Frau an der Landesspitze gewünscht haben?
Dafür spricht, dass die weiblichen Wähler bei den Landtagswahlen 2003 keinesfalls so klar für die SPD gestimmt hatten. Im Gegenteil: Damals hatte SPD-Spitzenkandidat Gerhard Bökel für die hessischen Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Wer nun die so genannte Wählerwanderung betrachtet, stellt fest: Die Wählerinnen zwischen 18 und 44 Jahren wanderten fünf Jahre später massenhaft weg von der CDU und hin zur SPD. Je jünger desto wanderfreudiger: Insgesamt büßte die CDU 12% Stimmen ein, bei den Jungwählerinnen mehr als doppelt so viel, nämlich 25%. Die SPD hingegen, die insgesamt gut 7% zulegte, gewann in dieser Altergruppe 23% dazu. Anders gesagt: Rund jede vierte Frau zwischen 18 und 29 Jahren, die vor fünf Jahren noch für Roland Koch votiert hatte, entschied sich 2008 für Andrea Ypsilanti (doch nur jeder siebte Mann). Auch in der nächsthöheren Altersgruppe sind die weiblichen Verluste für die CDU ebenso überdurchschnittlich (14%) wie die Gewinne für die SPD (18%). Last but not least: Die so frauenaffinen Grünen haben diesmal bei den Frauen aller Altersgruppen verloren. Statt dem grünen Spitzenkandidaten Tarek Al Wazir gaben viele ihre Stimme Andrea Ypsilanti.
Wer also wissen will, warum die SPD in Hessen Fast-Siegerin, die CDU in den Keller gerutscht und die Linke im Landtag ist, der bekommt aufschlussreiche Erkenntnisse, wenn er sich die Wahlergebnisse unter dem Genderaspekt ansieht. Genau das hat aber bisher niemand getan.