Hier irrte die Kanzlerin
Die „Trennlinie zwischen Islam und Islamismus“ definiert die Bundeskanzlerin so: „Der Islamismus findet statt, wo unter Berufung auf die Religion Gewalt angewendet wird oder zur Gewaltanwendung aufgerufen wird, um andere zu unterwerfen.“ Gesagt hatte sie dies in der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Doch mit Verlaub, Frau Bundeskanzlerin: An diesem Punkt ist es bereits zu spät. Viel zu spät. Denn die Gewalt ist nur die Spitze des Eisberges des politisierten Islam, des Islamismus.
Ihr geht eine ideologische Indoktrinierung voraus, der Drill der Gläubigen zur Selbstgerechtigkeit und Verachtung der „Anderen“, als da sind: Frauen, Juden, Homosexuelle, Kreative, „Ungläubige“. Dieses Schüren von Hass auf die Anderen ist die Saat der Gewalt. Mit der Kalaschnikow in der Hand geht die Saat auf.
In der Welt
der Islamisten
gilt für Frauen
die Apartheid
In allen totalitären (Denk)Systemen ist die Entmenschlichung der Anderen die Voraussetzung dafür, dass die Einen sich zu Herren über Leben und Tod der Anderen aufschwingen. Der Kadavergehorsam der Indoktrinierten beginnt in der patriarchalen Familie, in Koranschulen und in den orthodoxen oder gar islamistischen Moscheen. Und da reden wir nicht nur von salafistischen Moscheen. Wir reden unter anderem auch von den heute etwa 1000 Ditib-Moscheen in Deutschland, die finanziell wie personell von der Türkei abhängig sind. Vor der Machtergreifung Erdogans waren manche Stätten eines echten Dialogs, heute weht da ein anderer Wind.
Die frühe Unterwerfung von Söhnen, Töchtern und Frauen findet ihre konsequente Fortsetzung in den Schmieden der Gottesstaatler, die aus Ich-schwachen jungen Männern waffenstarrende Gotteskrieger formen und aus verlorenen jungen Frauen hörige Bräute. Die Islamisten missionieren seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, seit der Ausrufung des Iran zum Gottesstaat. Erstes Ziel dieser mit Petrodollars aus Saudi-Arabien und Qatar ausgestatteten Gottesstaatler waren die islamischen Länder, doch sind sie sehr rasch auch in den muslimischen Communities der westlichen Welt angekommen.
Dennoch halten laut Bertelsmann-Studie 90 Prozent aller MuslimInnen nicht etwa den Gottesstaat, sondern die Demokratie für „eine gute Regierungsform“; ebenso viele haben „regelmäßigen Freizeitkontakt“ zu Nicht-MuslimInnen. Und 60 Prozent bejahen nicht nur die Homosexualität, sondern sogar die Homoehe – was für Islamisten des Teufels ist.
90 % aller
MuslimInnen
finden die
Demokratie gut!
Das sind wirklich gute Nachrichten! Die Menschen muslimischer Herkunft sind in Deutschland also mehrheitlich integriert. Doch genau darum sind sie die ersten Opfer der Islamisten, nicht wir. Sie sind es, die in den Augen der Fanatiker „Verräter“ sind. Sie sind es, die von den Islamisten agitiert, unter Druck gesetzt und bedroht werden. Sie sind es, deren Söhne sie vergiften und deren Töchter sie entrechten. Sie sind es, die wir im Stich gelassen haben.
Ausgerechnet die freiheitsliebenden MuslimInnen haben wir in den vergangenen Jahrzehnten allein gelassen. Stattdessen hat die Politik den Islamisten nach dem Munde geredet. Sie hat es zugelassen, dass leichtfertig einem Kulturrelativismus das Wort geredet wurde, bei dem die Menschenrechte zwar für uns gelten – aber nicht für muslimische Männer und schon gar nicht für muslimische Frauen. Höchste Zeit also, dass sich das ändert! Denn die Gefahr wächst.
Aus Frankreich ist zu hören, dass nach den Attentaten auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt keineswegs alle erschrocken waren. Schulen mit hohem Muslim-Anteil melden, dass manche Schüler in der verordneten Schweigeminute „Allahu Akbar“ riefen, aufklärende Lehrerinnen und Lehrer anpöbelten und drohten: „Das war erst der Anfang.“ Und auch aus Berlin oder Köln ist seit Jahren, ja Jahrzehnten zu hören, dass unverschleierte Mädchen als „Nutten“ beschimpft werden und Lehrerinnen als „Huren“. Die Saat geht auf. Es ist zu befürchten, dass die nächste Generation der Muslime nicht mehr zu 90 Prozent die Demokratie bejahen wird.
Die einzige sinnvolle Antwort darauf wäre eine wirklich konsequente Trennung von Staat und Religion. Es darf in den staatlichen Schulen keine Extraregelungen wegen Glaubenszugehörigkeit geben; Deutsch muss Sprache für alle sein; wir brauchen Aufklärung über Rechtsstaat und Gleichberechtigung der Geschlechter in den Klassen. Schluss mit der falschen Toleranz!
Vor dem Terror
kommt die
Verachtung
der "Anderen"
In den Tagen nach den Attentaten in Paris demonstrierten deutsche PolitikerInnen gemeinsam mit Muslimen gegen die islamistische Gewalt. Was im Prinzip eine gute Sache ist. Doch mit wem stand die Kanzlerin da Arm in Arm? Mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime. Weiß die Kanzlerin wirklich nicht, dass der Zentralrat der Muslime (dessen Namensgleichheit mit dem Zentralrat der Juden Kalkül ist) 1994 von einem deklarierten Islamisten, dem Konvertiten und Ex-Botschafter Wilfried Murad Hofmann mitgegründet wurde? Und dass der Zentralrat eng verbandelt ist mit den ägyptischen Muslimbrüdern, die die historische Keimzelle des Islamismus sind? Ist der Kanzlerin entgangen, dass die Stimme des gerne „beleidigten“ Zentralrates vor den Anschlägen in Paris kaum je zur Verteidigung der Pressefreiheit oder Ermutigung innerislamischer Reformen zu hören war? Dafür aber häufig, wenn es zum Beispiel um „das Recht“ von Lehrerinnen auf das Kopftuch oder die „Befreiung“ von Schülerinnen vom Schwimmunterricht oder von Ausflügen geht.
Auf der Internetseite islam.de, Redaktion Aiman Mazyek, wird dargelegt, wie ein Muslim zu leben hat. Denn der traditionelle Islam regelt ja nicht nur Glaubensfragen, sondern das ganze Leben des Muslims bis ins letzte Detail. Hier eine exemplarische Kostprobe:
„Punkt 2: Scheidung seitens des Mannes. Stufe 1: Wenn der Mann den Entschluss gefasst hat, sich scheiden zu lassen, muss er erst einmal warten, bis die Frau sich in einer blutungsfreien Phase befindet, in der sie keinen Beischlaf hatte. Erst dann darf er mündlich und in besonnenem Zustand die Scheidung aussprechen. Nachdem er dies getan hat, ist die Scheidung noch nicht vollzogen. Die Frau soll weiterhin zu Hause wohnen. Es beginnt eine Zeit, die drei Monatsblutungen der Frau (oder drei Monate, falls keine Monatsblutung mehr vorkommt) dauert und während derer der Mann die Scheidung zurücknehmen kann. Tut er dies, gilt die Ehe als nicht geschieden. Tut er es nicht, ist die Ehe nach Ablauf der Frist geschieden.“
Für die „Scheidung seitens der Frau“, Punkt 8, genügen drei Zeilen: „Ist die Scheidung seitens der Frau gewollt, so muss sie sich an ein Gericht oder einen Schiedsrichter wenden. Dieser kann die Ehe aufheben gegen Rückzahlung des Brautgeldes.“
Islam-Verbände
stehen unter
ausländischem
Einfluss
Und an dem Punkt „Islamische Trauung in Deutschland“ versäumt Mazyek nicht den Hinweis, dass hierzulande die Eheschließung auch standesamtlich durchgeführt werden müsse, damit sie gesetzlich gilt. Für den Fall empfiehlt er einen Ehevertrag mit den „typisch islamischen Klauseln der Ehe“, als da sind: die Morgengabe, die islamische Erziehung der Kinder und das (Frauen schwer benachteiligende) Erbrecht. Soweit die Welt der Islamisten, in der Apartheid für Frauen herrscht.
Zum Glück sind weder der Zentralrat (ZMD) noch die übrigen drei Verbände im Koordinationsrat repräsentativ für die Muslime in Deutschland. Experten schätzen die Zahl der Mitglieder in den Moscheevereinen, die dem Zentralrat angehören, auf maximal 20 000. Das ist nicht einmal ein Prozent der in Deutschland lebenden MuslimInnen. Trotzdem ist der ZMD seit Jahren der Hauptansprechpartner für die Politik. Warum? Warum demonstriert die Kanzlerin den Schulterschluss nicht mit Repräsentanten der restlichen 90 Prozent Muslime, die die Demokratie bejahen?
Zum Beispiel mit Mouhanad Khorchide. Der muslimische Religionsprofessor könnte das bestens gebrauchen. Er lehrt seit fünf Jahren in Münster islamische Theologie und bildet künftige Religionslehrer an deutschen Schulen aus; zurzeit hat er 650 Studierende. Seit 2013 steht Khorchide unter Polizeischutz. Grund: Morddrohungen von Salafisten.
Der „Koordinationsrat der Muslime in Deutschland“, in dem auch der Zentralrat Mitglied ist, hatte der Lehrerlaubnis für den Theologen am Anfang schriftlich zugestimmt. Aber jetzt passt Khorchide den Verbänden nicht mehr. Im Dezember 2013 haben sie ein 75 Seiten langes Gutachten gegen den Theologen verfassen lassen, um zu verhindern, dass er weiter lehrt (Übrigens: Gegen den Salafisten Pierre Vogel gibt es keine einzige Stellungnahme aus diesen Kreisen). Die Verbände wollen den von Khorchide vertretenen aufgeklärten Islam und seine Annäherung an Europa verhindern. Sie erklären darum dessen Interpretation des Islam kurzerhand für „unwissenschaftlich“. Es geht also um Deutungshoheit. Und die wollen die Orthodoxen bzw. Islamisten behalten.
Zwischen
Islam und
Islamismus
unterscheiden!
Nicht zuletzt darum sollte die Mehrheit der nicht organisierten Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis auch ein dringliches Eigeninteresse daran haben, sich zu organisieren: um Ansprechpartner für Politik und Medien zu sein. Bisher gibt es in Deutschland keinen sowohl von der Türkei als auch von den Muslimbrüdern unabhängigen Verband der Muslime, der einen aufgeklärten Islam verträte. Was es den bestehenden Verbänden leicht macht, für alle zu sprechen.
In dem zitierten Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte die Kanzlerin auch erklärt, sie wolle „die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland vor einem Generalverdacht schützen“. Das ist gut und nötig. Denn in der Tat verändert sich gerade die Stimmung. Aggressive Akte gegen Moscheen sind in Deutschland zum Glück selten, aber sie werden mehr. Und fanden 2012 noch 52 Prozent aller Befragten, der Islam passe „nicht zu Deutschland“, meinen das jetzt schon 61 Prozent. Wobei noch zu klären wäre, was mit dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ überhaupt gemeint ist.
Denn „den Islam“ gibt es nicht. Es gibt tausend Interpretationen und Lebensweisen von Muslimen in der islamischen wie der westlichen Welt. Aber es gibt den Islamismus. Und der kommt eindeutig daher: Er will eine wörtliche, fundamentalistische Auslegung des Koran zum Gesetz machen, zum Gottesgesetz. Das heißt, Frau Bundeskanzlerin, die Politik sollte die nicht-islamistischen Kräfte, die aufgeklärten MuslimInnen gezielt fördern und unterstützen. Damit die Saat der Gewalt nicht länger auf fruchtbaren Boden fällt.
Alice Schwarzer
Der Text erschien zuerst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. – Aktualisiert am 13.2.2015