Deutsche Rapperinnen
Hier sind sie: Die fantastischen Vier unter den Rapperinnen: Alina, Cora E., Aziza-A und Sabrina Setlur
Aziza-A weiß, was sie will, und schlaffe Stimmung im Saal will sie auf gar keinen Fall. „Leute, ihr seid lasch! Was ist los, kommt mal ran, wir hier oben ackern uns den Arsch ab!“ Das Publikum hört auf das Kommando der kräftigen Frau auf der Bühne – die deutschen Softies genauso wie die türkischen Mädchen, die heute abend hier sind und sich verschwörerisch angrinsen.
Zum Mix aus fetten Beats und orientalischen Klängen feuert die Berliner Türkin im XXL-Rapper-Outfit ihre Wortattacken ab. Mal türkisch, mal deutsch, mal beides. „Aziza-A tut das, was sie für richtig hält, auch wenn sie aus den
Augen der ganzen Sippe fällt und niemand sie zu den gehorsamen Frauen zählt!“ dröhnt es unmißverständlich aus den Boxen.
Aziza-As Rap-Name ist Power-Programm: Er heißt soviel wie „Mächtige Schwester“, und die Schwester macht echt mächtige Reime. „Es ist Zeit, steht auf! Angesicht zu Angesicht, erkennt: Wir haben das Gewicht!“
In der Tat: Eine gewichtige Größe sind sie inzwischen auf dem Musikmarkt, die Reimerinnen in Deutschland. „Auf der Suche nach erfolgreichem deutschen female rap stößt man nur auf eine: auf Schwester S.“, schrieb Emma noch vor zwei Jahren – und berichtete über die großen Sistas aus Amerika: MC Lyte, Yoyo, Salt ‘n Pepa & Co. (Emma 2/96). Seither ist viel passiert.
Schwester S. ist, unter ihrem bürgerlichen Namen Sabrina Setlur, noch erfolgreicher geworden: Sie bekam auch für ihre zweite CD „Die neue S-Klasse“, die sie eine halbe Million Mal an Frau und Mann brachte, eine „Goldene Schallplatte“. Und sie heimste vor kurzem schon zum zweiten Mal den Deutschen Schallplattenpreis Echo als „Beste nationale Künstlerin“ ein.
Sabrina ist nicht mehr allein. Als die indische Rapperin aus Rödelheim den Echo-Preis 1996 zum ersten Mal bekam, rödelten andere Schwestern zwar auch schon hinter den Kulissen. Aber es gab, bis auf wenige Singles, keinerlei andere weibliche Reime auf CD.
Und dann kamen sie: Zuerst die drei Mädels aus Dortmund, die Macker-Typen „so richtig Sch-Sch-Scheiße“ fanden. TicTacToe machten innerhalb kürzester Zeit aus „Scheiße“ nicht nur Gold, sondern Platin und ihre Konzerte zu den größten Mädchenaufläufen Deutschlands (Emma 4/97).
Wunderbar. Es hätte immer so weitergehen können. Aber leider – leider kam dann der Weiberzank. Ricky, die Dritte im Bunde, stieg aus. Jetzt basteln Lee und Jazzy als Duo „TicTacTwo“ an ihrer neuen CD, die im Sommer erscheint. Posthum bekam das alte Trio von der Deutschen Phono-Akademie in Hamburg zwei Echos als „Beste nationale Band“ und für den Ohrwurm „Warum?“ als „Erfolgreichste Single“.
Im Sommer 1997 brannte auch Aziza-A ihren „Oriental HipHop“ auf CD und nannte ihn: „Es ist Zeit.“ Höchste Zeit für eine eigene CD fand es auch Cora E. Sie gewann schon mit 14 ihren ersten Breakdance-Wettbewerb und hat sich ebenso lange „mit dem Tramper-Ticket den Arsch abgefahren“, um bei jedem HipHop-Jam dabei zu sein. Cora E., heute 28 Jahre alt, gilt in der Presse als „erster weiblicher Star des deutschen HipHop-Underground“ und „Deutschlands heimliche Rap-Queen“. „CORAgE“ lautet der vielversprechende Titel ihres Reim-Werks.
Kein Zweifel: „Die Mädels rücken nach!“ konstatiert die Musikfachpresse und gibt zu: „Die wichtigsten Reim-Impulse kamen zuletzt sowieso von Frauen.“ Während die erfolgreichen männlichen Rapper eher Tendenz zum Seichten haben (à la „Die da“ oder „O shit, Frau Schmidt“), geht es bei den Rapperinnen durchweg ans Eingemachte. Ähnlich wie die amerikanischen Sistas, machen sich auch die deutschen Schwestern auf ihr (Frauen)Leben ihren Reim.
„Meine Eltern warn geschieden, da war ich gerade sieben/Gerichte ham entschieden, daß zwei Kinder bei der Mutter blieben/so warn wir zu dritt zogen aus aus dem großen Haus auf Sylt/doch die kleine Wohnung war mir recht, denn kein Vater brüllte mehr“, rappt Cora E. in „Schlüsselkind“. Wie sie nicht mit den anderen Kindern spielen durfte, weil sie aus der „Aso-Siedlung“ kam und sich mit zwölf ihr erstes Bier zischte. Alles gelebt. „Wenn ich damals den HipHop nicht für mich entdeckt hätte, würde ich heute sicher mit irgendwelchen Pennern am Kieler Hauptbahnhof rumhängen“, sagt Cora E.
„In den allerübelsten Kreisen“ hat sie sich rumgetrieben und ging mit 16 für zwei Jahre nach Amerika an die Wurzeln des HipHop. HipHop ist für Cora E. alias Sylvia Macco eine Lebensauffassung, und Rap nicht einfach eine Musikrichtung. Und deshalb dürfen die Raps von Cora E. keine Flachkacke sein – sie
müssen eine Message haben. Anfang der 90er ging die Hardlinerin mit ihrer ersten Maxi-CD zum kleinen Independent-Label Buback – und nicht zum Branchenriesen Polydor, der ihr einen Plattenvertrag angeboten hatte. Inzwischen ist Cora nicht mehr ganz so streng: „CORAgE“ hat sie bei der nicht ganz so kleinen EMI rausgebracht.
Trotzdem will Cora E. „den Bezug zur wahren Welt nicht verlieren“. Und deshalb arbeitet sie als Sylvia Macco auch weiterhin halbtags als Krankenschwester in der Psychatrie. Außerdem muß die Rapperin ja von irgendwas leben, denn das Rappen wirft – trotz großer Plattenfirma – (noch) nicht genug Geld ab.
Kreuzberg ist zwar nicht die Bronx, aber auch heftig, wenn man an Hitlers Geburtstag nicht auf die Straße darf, weil das zu gefährlich ist, und wenn frau nicht das brave türkische Mädchen werden will, das die Eltern sich vorgestellt haben. „Ich hab viel geheult, viel debattiert, viel eingesteckt“, erzählt Aziza-A, deren Eltern 1968 aus der Türkei nach Berlin kamen und als Putzkräfte im Senat anfingen. Klar, daß die heute 27jährige über ihre Wanderungen zwischen den Welten rappt:
„Ich habe braune Augen, habe schwarzes Haar/und komm aus einem Land wo der Mann über der Frau steht/und dort nicht wie hier ein ganz anderer Wind weht/in den zwei Kulturen, in denen ich aufgewachsen bin, ziehen meine lieben Schwestern meist den kürzeren/weil nicht nur die zwei Kulturen aufeinander krachen/weil auch Väter über ihre Töchter wachen." „Meine Musik und meine Texte kommen immer aus der Sicht einer Frau, einer türkischen Frau“, sagt die „Mächtige Schwester“, deren Message meist an ihre eher machtlosen Schwestern geht. „Ich möchte den türkischen Mädchen Mut machen: Steht auf und macht was! Wir haben die Power!“ Wie sehr Aziza-A damit den Nerv traf, „hab ick erst nach den ersten Konzerten gemerkt, wenn die Frauen gesagt haben: ‘Ja, ey, die hat’s genau auf den Punkt gebracht’, und die Männer nur so gegrummelt haben“.
Aziza-A, die fließend berlinert und tierisch laut lacht, reimt auch gern über ihren Spaß am Sex – natürlich mit der Mächtigen als Macherin („Ich will so viele Dinge mit dir tun“). Und sie pinkelt auf Türkisch dem „Proll-Papa“ ans Bein, der mit seinem dicken BMW zum Frauen-Anbaggern durch die Gegend kurvt („In der Hand einen Rosenkranz/Männer denken nur bis zum Schwanz“). Und sie warnt: „Kleiner Proll-Papa, von nun an kreuzt deinen Weg Aziza-A!“
Kaum verwunderlich, daß ein türkischer Club schon mal einen Gig von ihr absagte, nachdem mann einen Blick ins Textheft geworfen hatte. „Da hab ick mir gesagt: Okay, det is Bestätigung Nummer eins!“ Die Spieluhr klimpert „Guten Abend, gute Nacht“, ein Kind gluckst zufrieden, und dann knallt die E-Gitarre rein. „Du fieses Schwein du hast mich benutzt/hast an meinem Schlafanzug dein Ding geputzt/So hast du alles mir zerstört und meine Schreie nie gehört!“ brüllt Alina sich von der Seele. Am Ende überschneiden sich in „Heute bist du tot“ in einer Collage mehrere Radiostimmen mit Sätzen wie „...und so steht in diesem Prozeß eben Aussage gegen Aussage".
Alina erschien im Sommer 1997 auf der Bildfläche, wo sie in „Nur für dich“ per Sprechgesang ihren Ex-Lover anpampte. Zum Beispiel, weil der nie für sie gekocht hatte: „Du rufst mich gar nicht an und du bringst mir nie ne Rose/du hast für mich noch nie gekocht und ißt nur aus der Dose/die Zeichensprache die du sprichst ich hab sie nie verstanden/ du wolltest nie was sagen und du glaubst ich les Gedanken." „Nur für dich“ flimmerte oft über die Viva-Bildschirme.
Die 21jährige Evelyn-Alina Reina, die mit 16 ihre ersten Reime schrieb und vor drei Jahren zum ersten Mal auf der Bühne stand, verläßt sich dennoch nicht ausschließlich auf die Rap-Karriere: Sie läßt sich gerade zur Grafikerin ausbilden.
Alina kommt zwar aus Karlsruhe, ist aber Halb-Italienerin. Die nicht ganz deutsche Herkunft ist ein Markenzeichen der rappenden Frauen in Deutschland.
Nicht immer haben Rapperinnen das, was man eine schwere Kindheit nennt. Die von Sabrina Setlur zum Beispiel war nach eigenem Befinden „behütet“. Trotzdem hat die Tochter indischer Einwanderer, die in den USA und in Frankfurt aufwuchs, Wut im Bauch. Sie versteht sich prächtig auf die Disziplin namens
„Dissen“, was in der Rap-Sprache soviel heißt wie: verkünden, daß man selbst der beste Rapper der Welt ist (in diesem Fall: die beste Rapperin) und alle anderen mickrig findet und überhaupt unfähig.
Dieses Geprahle und Geprotze, gemeinhin Ausdruck männlichen Größenwahns, aus weiblichem Mund zu hören, das hat was. Zumal die kommerziell erfolgreichste aller Schwestern („Ich hab mehr Kohle in der Tasche als die meisten aufm Konto/und krieg meistens auch noch Skonto und zwar pronto“), die ihr BWL-Studium an den Nagel hängte und sich jetzt ausschließlich dem Reimen widmet, es dabei zu verbalakrobatischen Höchstleistungen bringt („Die Krönung für dein Koma ist die Dröhnung mit Verwöhnaroma“).
Wenn Sabrina Setlur gerade nicht prahlt, dann geht es in ihren Wortspiel-Wundern meist um die Gefühle an der Geschlechterfront. Mal symbiotisch („Ich verehr dich und wehr mich kein Stück/du bist gefährlich doch du ernährst mich/selbst wenn du Schmerz bist bist du für mich Glück“) und mal randalig: „Du nennst mir manchmal Namen von Alten die du mal hattest/sagst was Obermattes wie ‘Ich lieb dich’ und erwartest/daß ich stolz bin denkst du daß ich aus Holz bin du Arsch/kommst nach zwo Minuten und schnarchst und fragst mich vor deinen Jungs ‘Wie war ich?’“
Im wahren Leben scheint der Liebste der Schwester sich in seine Rolle als Mann an ihrer Seite zu fügen. „Er soll mir zur Seite stehen, mich unterstützen“, erklärt Sabrina Setlur. Wenn sie sich zwischen Privatleben und Musik entscheiden mußte, „hat die Musik immer gewonnen“, und damit muß ihr Freund „eben klarkommen oder sich trennen“. Schlußaus.
Auch von ihren beiden Produzenten Thomas Haas und Moses Pelham, dem „Rödelheim Hartreim Projekt“, scheint sich die 24jährige – die ihre erste CD parallel zum Abitur fabrizierte ?– emanzipiert zu haben. „Nach zwei Jahren
hatte ich keinen Bock mehr, die süße kleine Schwester von den bösen Jungs zu sein. Ich wollte meine eigenen Sachen schreiben. Jetzt bin ich nicht mehr das ‘Schwesterchen’ – wir sind Geschäftspartner.“
Geschäftstüchtig ist auch die Schwester aus Berlin in ihrem Label namens Orient Express: „Ick hab in allem meine Finger drin. Es gibt auch keinen Druck nach dem Motto: ‘Könntest du vielleicht ma ne engere Hose anziehen?’“ Aziza-A arbeitet sich gerade in die hohe Kunst der Studiotechnik ein, auf ihrer zweiten CD will die Rapperin „auch schon zur Hälfte die Musik selbermachen“. Breitarmig bringt Aziza am Kneipentisch ihre Rap-Philosophie auf den Punkt: „Diese Musik ist wie ich: standhaft, robust, nie seicht und immer vorne!“
Bei so viel Tatkraft stehen die Jungs um Aziza-A stramm, und auch Cora E. schreibt die mickrige Frauenpräsenz in der HipHop-Szene eher weiblicher Antriebsarmut zu. „Okay, das Ding ist total männerlastig“, sagt die taffe HipHop-Pionierin, rappt aber: „Die These vom schwachen Geschlecht ist nur bequem/es gibt welche die würden gern wenn keine Hürden wärn/doch vom Himmel fällt kein Stern ich frag mich warum/beneiden viele Fraun mich um mein Tun und bleiben stumm?“ Titel des Songs: „Und der MC (Master of Ceremony,
also der Rapper) ist weiblich.“
Trotz ihres Zorns auf schlappe Geschlechtsgenossinnen liegt Cora E., die übrigens auch mit einem weiblichen DJ – sprich: einer DJane – auftritt, die Mobilisierung der Mädchen am Herzen: Sie fördert in Mädchen-Rap-Workshops in ganz Deutschland den Nachwuchs. „Ich seh das schon als meine Aufgabe, denen zu sagen: Mädels, ihr könnt das! Ihr müßt euch nur wirklich für’s Rappen interessieren und was dafür tun.“
Während sich die Stars Sabrina Setlur und TicTacToe nicht gerade in weiblicher Solidarität üben und sich unter der Unterhosengummi-Linie dissen, was das Zeug hält, rückt der andere Teil der Rapperinnen-Szene zusammen. „Wir respektieren uns, von Neid und Wettkampf keine Spur“, sagt Alina über Sabrina Setlur, läßt allerdings wiederum an TicTacToe kein gutes Haar. Aziza-A und Cora E. finden Sabrina zwar ein bißchen kommerziell, aber okay. Die beiden treten auch zusammen auf und zollen sich gegenseitig den im HipHop so vielbeschworenen „respect“. „Es wäre total dumm, wenn wir uns jetzt schon bekriegen würden, wo es so wenige von uns gibt“, erklärt die Mächtige Schwester.
Mittlerweile gibt es aber auch in Deutschland rein weibliche Rap-Konzerte, bei denen der Nachwuchs in den Startlöchern reimt. Unter dem Titel „HipHop-Queens“ versammelten sich zum Beispiel Ende letzten Jahres in Stuttgart junge Rapperinnen wie das Trio „DaNaCeE“, dessen Mitglieder zwischen 14 und 18 Jahre jung sind.
Unter den „HipHop-Queens“ waren natürlich auch die großen Schwestern Cora E. und Aziza-A. In ihrem Beruf der „Fotofachverkäuferin“ zu arbeiten, hat Aziza keinen Bock mehr, und bei der Ausbildung zur Krankengymnastin ist sie „durch die Prüfung geknallt“. Das ZDF-Jugendmagazin Dr. mag, das sie moderiert hat, ist ausgelaufen. Also kellnert die Mächtige Schwester nebenher. Aber sie plant Großes: „Wenn ick genug Kohle hab, dann produzier ick mich natürlich auch selbst. Is ja klar! Und denn“, sagt Aziza-A und ihr Blick schweift schwärmerisch an die Kneipendecke, „denn steht da überall auf der CD, wo die schreiben, wer was gemacht hat: Aziza-A, Aziza-A, Aziza-A!“