Angelika hilft Uta in Ahrweiler

Vor dem Elternhaus von Uta (3. v. li, daneben Mutter Gerda) auf dem Platanenweg, Bad Neuenahr-Ahrweiler - 200 Meter entfernt die Ahr.
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Das Ausmaß der Zerstörung ist unvorstellbar. Es sind Berge von Schrott und Müll, die an Leitplanken hängengeblieben sind, sich in Zäunen verkeilt haben oder einfach an Häuserwänden angeschwemmt wurden. Überall Baumstämme, Autos, Gartenhäuser, Mülltonnen, Holz, Gartenmöbel, Gestrüpp, Planken, Plastik, Autoteile, Weinfässer, Chemie-Kanister, Folien, Haushaltsgeräte, Klamotten. Im Garten der Eltern meiner Freundin Uta in Bad Neuenahr liegt ein Bauwagen.

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Man sieht überall kaputte Autos: in Bäumen, in Straßengräben, gestapelt, verkeilt, demoliert und verschlammt. Die Brücken in Bad Neuenahr-Ahrweiler über die Ahr sind alle zerstört bis auf eine, die freigeräumt werden konnte. Einige stehen zwar noch, doch am Ufer ist die Straße vom reißenden Hochwasser unterspült worden und abgebrochen. Überall brausen Feuerwehr-Autos mit Tatütata auf den freien Straßen entlang. Blinkende THW-LKW. Fast immer ist ein Helikopter in der Luft.

Auf einmal ist alles nur noch Plunder. Worauf kommt es eigentlich an im Leben?

Ich bin einmal an die Ahr gegangen - die zwar noch mit braunem Wasser, aber jetzt wieder unschuldig dahin plätschert, auf der die Entchen schwimmen, während riesige Stämme und Betonplatten sich am Ufer stapeln. Ich war kurz vorm Heulen, da guckte mich einer der Männer von der Stadt in oranger Weste an, hatte auch Tränen in den Augen und sagte: „Es geht ans Herz...".

Ganz Bad Neuenahr-Ahrweiler hat das Wasser im Keller stehen und in allen Häusern ist das komplette Erdgeschoss überschwemmt worden und vollgelaufen: Das heißt, nichts mehr ist zu gebrauchen, alles nass, verdreckt, zerstört. Um die Häuser herum draußen in den Gärten und auf Bürgersteigen und manchen Straßen ist alles mit mindestens 30 cm zähem dunklem Schlamm bedeckt, der nach Heizöl stinkt.

Überall laufen die Pumpen und dröhnen Stromgeneratoren,  Dreckwasser plätschert aus Schläuchen von den Kellern in die Kanaldeckel. Die Pumpen bei uns in Bad Neuenahr liefen den ganzen Tag, im Keller steht das Wasser immer noch etwa einen Meter hoch, der Kellerboden darunter ist mit etwa 50 Zentimeter Schlamm bedeckt. Die Menschen sind alle von oben bis unten mit Schlamm verdreckt und schleppen und schippen und schütten.

 

Wir haben im Haus von Utas Eltern das Geschirr, das noch heil war, aus den umgefallenen, verkeilten Schränken ausgeräumt, und den Schlamm abgewaschen. Das muss jetzt noch in diversen Spülmaschinen gereinigt werden. Das ist das einzige, was noch zu gebrauchen ist.  Alle Möbel natürlich kaputt. Bücher und Fotoalben schlammverklebt. Ruinierte Teppiche. Aufgeworfenes Parkett. Matsch allüberall. Alles raus, raus vor die Tür auf einen großen Haufen. Jedes Haus hat so einen Haufen. Auf einmal ist alles nur noch Plunder. Wohlstandsmüll. Ich frage mich: Worauf kommt es eigentlich an im Leben?

Es wird gehofft, dass in Bad Neuenahr irgendwann schweres Gerät von der Stadt kommt und die öffentlichen Straßen vom Müll räumt. Das Ordnungsamt war zwar da - hat jedem Haus eine Kiste Wasser und Plätzchen gebracht... Keiner hat einen Plan - alles läuft nur privat. Der Garten ist inzwischen halb freigeräumt, die Terrasse halb frei - in der anderen Hälfte steckt im Schlamm das Glas von der zerdepperten Terrassentür. Zu gefährlich, das zerschneidet die Gummistiefel und die Handschuhe. Ich habe etwa zwei Stunden gebraucht, um allein die Außentreppe in den Keller vom Schlamm zu befreien.

Ich muss gleich wieder los,
mit zwei Thermoskannen Kaffee

Und mittendrin die ziemlich gebrechlichen Eltern. Utas Mutter Gerda sagt, sie versucht, einfach nicht drüber nachzudenken. Nur machen irgendwie. Wir anderen nehmen es mit Galgenhumor. Utas Cousins und eine Cousine mit Mann aus Osnabrück sind da und ihre Tante Hedwig. Die hat mitten im Chaos auf dem Campingkocher für uns Steaks gegrillt.

Dann zwischendurch: Alarm! Ein Hang in Dernau drohe abzurutschen, eine Flutwelle könnte kommen. Es wird von Haus zu Haus weitererzählt. Leichte Panik. Alles stehen und liegen lassen, die Handtaschen geholt - ab zu den Autos. Wir haben einen Sitzplatz zu wenig, die Autos sind voll mit "gerettetem Zeug". Wohin mit Gerda, Utas Mama? Wir räumen um, meine Mama quetscht sich auf die umgeklappte Rückbank, dann ist vorne Platz für Gerda. Nur fort hier. Um uns herum Totenstille, alle schon weg. Wir sind die letzten, schnell, schnell. Dann kommt Entwarnung vom THW - alles nur ein Fake... Aufatmen. Wutschnauben. Und wieder zurück.

Die Menschen sind fix und fertig, aber total tapfer. Beim Räumen aneinander vorbeigehen, nicken, mal ein Lächeln. Ein mürrischer Typ - wir sind schon zigmal aneinander vorbeigegangen, er hat nicht hochgeschaut - bleibt plötzlich stehen. Rettet eine dicke Hummel, die im Schlamm gelandet ist. Jetzt lacht er doch, guckt hoch, fragt: Was macht die hier? Wir sitzen eben doch alle im selben Schlammassel. Ich habe mit einigen gesprochen, die meisten haben Hilfe - aus der ganzen Republik sind Freundinnen und Freunde oder Verwandtschaft angereist.

Ein Nachbar erzählte, der Bürgermeister wolle nun unbedingt die Landesgartenschau durchziehen, die für 2023 geplant ist. Alle schütteln darüber nur den Kopf. Denn was bisher gemacht wurde dafür, ist weggeschwemmt oder kaputt. Und das Geld für die Show solle doch lieber den Menschen in der Region zugute kommen, findet der Nachbar. Und alle, mit denen ich spreche, sind rasch bei dem Verhältnis von Mensch und Natur: Wir machen was falsch...

Morgen, Sonntag, werden wir uns wohl an den Schlamm im Keller machen. Die größte Frage ist: Wohin mit dem Zeug? Das sind Tonnen - und der Müll lässt sich ja nicht stapeln, er fließt. Und ist so schwer. Es ist, als würde man riesige Kuhfladen schaufeln und so hört es sich auch an: Platsch. Platsch. Platsch. Wenn du nicht aufpasst, saugen sich die Gummistiefel fest und du bleibst hängen - ähnlich wie im Watt.

Tja, so ist die Lage. 98 Tote bei uns in Rheinland Pfalz. Bisher.

Spenden für die Hochwasser-Katastrophenhilfe: Aktion Deutschland Hilft

 

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