In der aktuellen EMMA

"Ich bin Single und das ist auch gut so"

Sylvia Locher: Single - und hochvergnügt dabei. - Foto: Philipp Schmidli
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Sie sind also gern allein, Frau Locher?
Ich lebe sehr gerne allein, ich schätze diese Autonomie. Ich pflege aber viele soziale Kontakte. Ich wusste schon mit Anfang 20, dass ich keine Kinder will und suchte folglich auch keinen Ernährer für mich und meine Kinder.

Werden Sie oft bemitleidet?
Bis ich 40 wurde, hat mir eine Freundin noch jedes Jahr in die Geburtstagskarte geschrieben, ich möge meinen Traummann finden. Es ist für viele Menschen schwer zu akzeptieren, dass jemand, insbesondere eine Frau, keine Kinder und keinen Partner hat. ‚Mit der stimmt doch was nicht‘, heißt es oft. Singles sind irgendwie komisch, ihr Dasein ist mit Scham behaftet. In jüngeren Jahren musste ich mich immer rechtfertigen und erklären, dass es mir nicht schlecht geht, weil ich alleine lebe. Bei älteren Frauen wird das inzwischen akzeptiert. Das könnten ja auch Geschiedene oder Verwitwete sein. Und die haben es ja immerhin mal „geschafft“. Verheiratete werden nie gefragt, ob sie glücklich sind. Ja, aber wo passiert denn die meiste Gewalt gegen Frauen? Zuhause, in der Ehe, durch den eigenen Ehemann! Aber die Ehe gilt als Normalzustand, allein zu leben als suspekt. Viele halten Singles auch für egoistisch, nach dem Motto ‚Ihr habt’s gut, ihr müsst nach niemandem schauen‘.

Welche Singles vertritt Ihr Verein?
Menschen, die für sich selbst aufkommen müssen. Wir sind im Verein zu 85 Prozent Frauen, 15 Prozent Männer. Bei der Gründung 1975 war der Verein noch eine Arbeitsgemeinschaft, die sich für die Interessen von ledigen Frauen stark machte. In der Zeit stand die Umsetzung der rechtlichen Gleichstellung von Frauen in der Ehe im Vordergrund. Später kamen geschiedene und verwitwete Frauen hinzu. Als sich der Verein stärker auf wirtschaftliche Fragen ausgerichtet hat, kamen auch alleinstehende Männer. Seither steigt übrigens unsere Akzeptanz. Wir sind um die 500 Mitglieder.

Es geht also um Singles in Einpersonenhaushalten.
Größtenteils ja. Es gibt in der Schweiz 1,4 Millionen Einpersonenhaushalte. Das entspricht 17 Prozent der Bevölkerung. Doch anders als Paare und Familien werden wir strukturell benachteiligt. Es geht um Nachteile bei den Sozialversicherungen, bei den allgemeinen Lebenshaltungskosten und natürlich beim Wohnen. Das Leben als Single ist teuer. Gemäß OECD-Äquivalenzskala kostet ein Paarhaushalt anderthalbmal so viel wie ein Einpersonenhaushalt. Und diese Kosten können dank zwei Einkommen noch geteilt werden! Nur ein paar Beispiele: Beim Einkaufen gibt es kaum Portionen für Single-Haushalte, in Hotels kostet ein Einzelzimmer in der Regel viel mehr als ein halbes Doppelzimmer. Die Tarife für Internet und Telefon sind immer gleich, egal ob eine oder zehn Personen sie nutzen. Die größte Ungerechtigkeit herrscht natürlich bei den Steuern, unsere Hauptkritik.

Und die wäre?
Wenn Sie in der Schweiz allein leben, werden Sie immer zu einem höheren Tarif besteuert, egal ob Sie ledig, geschieden oder verwitwet sind. Verheiratete haben einen günstigeren Tarif, auch wenn sie keine Kinder haben. Dabei haben sie meist zwei Einkommen und können Kosten teilen. Mit Kindern gibt es dann Kinderabzüge, Familienzulagen, zusätzliche Prämienverbilligungen bei der Krankenkasse. Ich möchte keineSpaltung betreiben, aber viele strukturelle Vorteile für Familien könnten nicht aufrechterhalten werden, wenn nicht viele Menschen ohne Kinder stillschweigend höhere Steuern bezahlen würden. Auch bei den Sozialversicherungen bezahlen wir kräftig mit für Paare und Familien. Obwohl ich dafür gearbeitet habe und mir dieses Geld von meinem Lohn abgezogen wurde, bleibt der größte Teil meines Sparkapitals in der Pensionskasse, falls ich vorzeitig versterbe. Pro Jahr bleiben knapp eine halbe Milliarde Franken bei den Pensionskassen liegen. Genaue Zahlen will der Staat aber nicht nennen. Wir als Verein finden es nicht akzeptabel, dass der Staat eine Personengruppe aufgrund des Zivilstandes und der Wohnform zur Quersubventionierung für andere nötigt. Immer heißt es: Reiche Singles, arme Familien. Das stimmt nicht. (Anm. d. Red.: In Deutschland kommt noch das Thema für Verheiratete mögliche Ehegattensplitting hinzu.)

Und wie sieht es bei der Erbschaftssteuer aus?
2020 kassierte der Staat 1,34 Milliarden Franken Erbschaftssteuern, obwohl innerhalb der Ehegatten keine Erbschaftssteuer anfällt und zwischen Eltern und Kindern nur in wenigen Kantonen. Eine alleinstehende kinderlose Person kann aber für keine andere Person (nur für Charity Organisationen) eine steuerfreie Erbschaft hinterlassen. Der Staat profitiert also verstärkt von Singles in Form von massiven Erbschaftssteuern.

Die Single-Lebensweise wird quasi fiskalisch bestraft?
Absolut. Mich stört, dass die Leistungen so ungerecht verteilt werden. Bei Ehepaaren, bei denen nur ein Teil berufstätig ist, profitiert der andere Teil mit. Das animiert viele Frauen immer noch dazu, in der passiven Hausfrauenrolle zu verharren. Manchmal sogar nach einer Scheidung oder als Witwe. Dabei ist es doch für die meisten dieser Frauen zumutbar, wieder in den Beruf einzusteigen.

Was halten Sie denn von der Witwenrente?
Endlich will der Bundesrat die Witwenrente für Frauen ohne Betreuungspflichten für Kinder abschaffen. Brauchen wir etwa eine Ehegattenbetreuungsprämie? Eine alleinstehende Person kann sich nie fragen, ob sich die Berufstätigkeit lohnt, beziehungsweise noch lohnt. Sie muss ihren Lebensunterhalt verdienen.

Die Ehe als Keimzelle der Gesellschaft …
Alleinlebende haben in der traditionellen Wahrnehmung gesellschaftlich einen Auftrag nicht erfüllt, sie sind politisch also nicht so relevant. Sie werden in der Politik ja nicht einmal wahrgenommen. Das hat auch damit zu tun, wer Politik macht. In erster Linie erfolgreiche Männer. Im National- und Ständerat sind zirka drei Viertel der Mitglieder verheiratet oder leben in einer Partnerschaft. Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dass Parlamentarier einen anderen Blick haben als Single-Menschen. Sie wollen an diesem System gar nicht rütteln, denn sonst könnten viele von ihnen gar nicht die Karriere machen, die sie machen. Sie wollen ihre Frauen absichern, die ihnen den Rücken freihalten. Und die Frauen im Parlament setzen sich vor allem für Ehefrauen und Mütter ein.

Das Schweizer Parlament diskutiert zurzeit über die Individualbesteuerung – die es in Deutschland nicht gibt.
Wir sprechen uns absolut für die reine Individualbesteuerung aus. Sie erfasst das Einkommen und das Vermögen jeder Person separat, unabhängig vom Personenstand. Ehepaare werden gleich besteuert wie unverheiratete Paare. Personen mit Kindern wird durch kinderrelevante Abzüge Rechnung getragen. Für Ehepaare mit ungleichen Einkommen dürfen keine Entlastungsmaßnahmen vorgesehen werden. Es gibt bereits Stimmen, die für Einverdiener-Ehepaare Abzugsmöglichkeiten verlangen, weil die Steuer höher ausfällt, wenn nur ein (hohes) Einkommen versteuert wird, anstatt zwei (niedrigere). Und zwar wegen der Steuerprogression. Individual aber heißt: Jeder für sich, exakt gemäß dem eigenen Einkommen. Das würde Frauen auch wegholen von dieser Sonderstellung, die sie zum ewigen Zubringerdienst degradiert. Gleichstellung heißt auch gleichziehen. Ich sage immer: Fordern ist wichtig, aber Liefern auch! Dann können wir mitreden!

Das Single-Dasein wird oft als Übergangsphase gesehen.
Leider wird uns oft vorgehalten, dass der Zustand Single sich ja auch schnell ändern könne und es deswegen schwer sei, neue gesetzliche Strukturen daran zu knüpfen. Aber genauso schnell kann doch eine Ehe beendet, eine Paarbeziehung aufgelöst werden. Schauen Sie sich die Scheidungsraten mal an! Es geht nicht darum, das Single-Leben zu glorifizieren. Natürlich gibt es auch viele Menschen, die unfreiwillig Single sind. Ich möchte nicht, dass Frauen gegeneinander ausgespielt werden. Singles sollen lediglich gleich wie alle anderen behandelt werden.

Das Gespräch führte Annika Ross.

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