Ich färbe meine Haare
Alle sechs Wochen trage ich Silber. Ich sehe lustig damit aus und wenn die Sonne durchs Fenster auf meinen Kopf strahlt, gehe ich locker als Diskokugel durch. Der Auftritt dauert leider nur vierzig Minuten, dann zieht mir mein Friseur die silbernen Alufolie-Streifen aus dem Haar und schickt mich zum Waschbecken. Es hat sich ausgeglitzert. Jedes meiner weißen Härchen ist wieder braun geworden.
Ich färbe meine Haare, inzwischen seit vier Jahren. Warum? Ich trage lange braune Haare, seit ich in den Spiegel gucken kann. Ich habe mich an mich gewöhnt mit den Jahren, das muss man ja auch erst einmal hinbekommen im Leben. Als es mit Ende dreißig immer heller wurde auf meinem Kopf, habe ich beschlossen, an der alten Julia festzuhalten. Und die hat eben lange braune Haare. Punkt.
Ich habe einen sehr netten Friseur, er heißt Peter. Früher haben wir uns nur selten gesehen, zweimal im Jahr, zum Spitzen schneiden. Nun sitze ich alle sechs Wochen in seinem Salon: Cappuccino, Schwätzchen, Quatsch lesen. Frau kann sich daran gewöhnen. Den Termin bei ihm nehme ich ernst. So penibel bin ich bei keiner Zahnreinigung.
Dabei gibt es viele gute Gründe gegen das Färben: Es dürfte gewiss nicht besonders hautfreundlich sein, es kostet einen Haufen Geld und natürlich ist es großer Quatsch zu glauben, dass man sein Leben lang aussehen muss wie immer. Und wenn auch nur auf dem Kopf. Außerdem ärgere ich mich, dass Männer gern für ihre grauen Schläfen gelobt werden, während viele Frauen nach vier Wochen Farb-Pause unter einer Mütze versteckt zum Friseur huschen. Trotzdem waren mir die grauen Strähnen irgendwann nicht mehr egal. Also bin ich zu Peter.
Wie so oft liege ich in Sachen Styling mit dieser Entscheidung daneben. Denn graue Haare liegen voll im Trend. Heißt es. Es nennt sich nur anders: Silver Hair. Granny Style. Going gray. Grombre (eine Wortmischung aus gray und ombré: Spitzen hell, Rest dunkel). Unter diesen Schlagworten findet man auf Instagram Bilder von Frauenköpfen in grau, weiß, silber. Mal nur mit ein paar Strähnen, mal im Ansatz, mal im fortgeschrittenen Stadium. Die Frauen auf den Fotos sehen toll aus. Ihre Locken sind auf Zack, der Bob frisch geschnitten, das lange Haar glatt geföhnt.
Und die Friseure jubeln. „Der Mut zu grauem Haar, sei es natürlich oder gefärbt, zeugt von einer starken Persönlichkeit“, sagt Haar-Stylist Kevin Murphy im Gespräch mit der Vogue. Er findet, dass sich Frauen mit grauem Haar von der eintönigen Masse abheben. „Die Haarfarbe ist zu einem modischen Statement avanciert, das Selbstsicherheit, Intelligenz und Lebenserfahrung ausstrahlt.“
Einen größeren Käse habe ich schon lange nicht mehr gehört. Denn meine Haarfarbe allein wird mich weder zu einer besonders starken, noch zu einer besonders intelligenten Frau machen. Noch nicht mal zu einer besonders mutigen.
Wir Frauen müssen uns natürlich nicht hübsch machen, um anderen zu gefallen. Aber beinhaltet Sich-Treu-Sein wirklich, dass man sich die Haare nicht färben darf? Ich glaube nicht. Für mich bedeutet die Befreiung der Frauen nämlich auch, dass man selbst entscheidet, ob man sein Geld zum Friseur trägt oder lieber in Boutique, Buchhandlung, Boxclub. Trend hin oder her.
Peter wird mich weiterhin regelmäßig sehen. Denn fest steht: Die Oma in mir wird sich ohnehin früh genug bemerkbar machen, nicht nur auf dem Kopf. Wir werden uns aneinander gewöhnen müssen. Nur noch nicht heute.
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