„Ich habe kein Vertrauen mehr in die Justiz.“
Die junge Frau scheint alles relativ unbeschadet überstanden zu haben: die brutale Vergewaltigung, den quälenden ersten Prozess, den skandalösen zweiten Prozess. Nach der Tat hat sie die Schule abgebrochen, jetzt macht sie eine Ausbildung im Unternehmen des Vaters und fährt morgen zur Fortbildung. Sie hat schon viele Pläne, tatkräftig ermutigt von ihm. Aber dennoch. Das, was passiert ist, hat sie erstmal aus der Bahn geworfen. Und so schildert es Katharina: Am 22. Mai 2008 fand auf den Kölner Jahnwiesen der Come-Together-Cup statt, das alljährliche Fußballturnier für Lesben und Schwule. Die damals 18-jährige Katharina besuchte mit Freundinnen das Turnier und ging abends zur Party auf das nahegelegene Beachvolleyball-Gelände Playa de Cologne. Dort wird sie auf der Tanzfläche von Mohammed B. (Name geändert) angesprochen. Die beiden tanzen miteinander, dann versucht der 38-Jährige, die 18-Jährige zu küssen. Die wehrt ab: „Lass das, ich will das nicht. Ich steh auf Frauen!“ Mohammed B. kellnert in einem Restaurant in der Nähe. Sein Chef wird später aussagen, dass der frisch verheiratete Vater in spe sehr genau wusste, dass er auf eine Homosexuellen-Party ging: „Was willst du denn beim Come-Together-Cup, du bist doch hetero!“ hatte der Restaurantbesitzer, selbst homosexuell, Mohammed B. gefragt, als der nach Feierabend erklärte, dass er zur Party gehen wolle. Der 20 Jahre ältere Mann lässt zunächst ab von Katharina und die beiden tanzen weiter. Etwas später sagt er, er müsse zur Toilette und fragt Katharina: „Kommst du mit?“ Katharina, die ebenfalls gerade gehen wollte, läuft mit dem Mann Richtung Toilettengebäude. Die Schülerin, die bis dato noch keine Beziehung gehabt hatte, ist völlig arglos. Schließlich hatte Mohammed ja ihre Grenzziehung beim Tanzen akzeptiert. Vor dem Gebäude packt der Mann Katharina plötzlich am Handgelenk und zieht sie hinter einen Bauzaun. Dort presst er sie an einen Baum und reißt ihr die Jeans herunter bis zu den Knien. Dann wirft er sie auf den Boden und vergewaltigt sie. Es ist Katharinas erster Geschlechtsverkehr. Sie menstruiert und trägt einen Tampon. Nach der Tat verlässt der Mann das Gelände. Katharina steht benommen auf und taumelt zurück zu ihren Freundinnen. Sie steht unter Schock und sagt kein Wort. Die Freundinnen merken, dass etwas nicht stimmt und fragen schließlich: „Hat der Typ dich vergewaltigt?“ Katharina nickt. Eine Freundin, die Polizistin ist, ruft umgehend die Polizei. Katharina wird noch in der selben Nacht ausführlich vernommen und medizinisch untersucht, es werden DNA-Proben genommen und ein Phantombild des Täters erstellt. Die Polizei kommt Mohammed B. schließlich dank der Aussage seines Chefs auf die Spur. Denn am nächsten Tag erscheint er nicht zur Arbeit. Später wird sich herausstellen, dass er überraschend für zwei Monate in sein Heimatland Marokko gefahren ist. Im Januar 2009 findet der erste Prozess vor dem Amtsgericht statt. Der Angeklagte wird, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. „Ein Nein ist ein Nein!“ erklärt der Richter. Mohammed B. legt Berufung ein, denn er riskiert nichts: Zu einer höheren Strafe darf er in einem zweiten Prozess nicht verurteilt werden, da das Strafmaß dem Antrag des Staatsanwalts entspricht. Im Mai 2010, zwei Jahre nach der Tat, kommt es zu einem zweiten Prozess vor dem Kölner Landgericht. Das Gericht erklärt: Zwar sprächen die Tatumstände – Katharinas Homosexualität, die Tatsache, dass sie vor der Tat noch keinen Sex gehabt hatte und ihr Tampon so tief in ihre Scheide gerammt worden war, dass er mit einer OP-Zange entfernt werden musste – „gegen ein einvernehmliches Geschehen“. Doch dieser Richter zieht einen ganz anderen Schluss aus den Tatsachen. Diese seien „nicht in dem Sinne zwingend, dass auf ein fehlendes Einverständnis geschlossen werden kann.“ Auch die handtellergroßen Hämatome, die an Katharinas Oberschenkeln dokumentiert wurden, ließen „nicht zwingend auf eine Gewaltanwendung durch den Angeklagten schließen“. Der Angeklagte wird freigesprochen.
Katharina, der erste Prozess fand neun Monate nach der Tat statt. Wie hast du dich in dieser Zeit gefühlt?
Katharina Das war eine schlimme Zeit. Das Geschehen war immer präsent. Ich habe aber das Glück, dass ich eine Familie habe, in der wir über alles geredet haben. Meine Mutter ist oft auf mich zugekommen und hat gefragt: „Möchtest du reden?“ Auch meine Freundinnen haben das gemacht. Wir haben viel über alles gesprochen. Ich weiß nicht, wie Frauen das überstehen, die diese Unterstützung nicht haben.
Der Vater Wir haben Katharina ja auch gefragt, ob sie psychologische Behandlung wollte. Die wollte sie zuerst nicht.
Katharina Ich wollte ja immer Psychologin werden. Ich war mir daher bewusst, dass so eine Behandlung nichts Schlimmes ist. Ich habe aber gedacht: Wenn ich mit jemandem reden will, kann ich das tun.
Der Vater Man war immer damit beschäftigt. Es hat ja eine ganze Zeit gedauert, bis die Polizei den Täter überhaupt gefasst hatte. Da wurde ein Phantombild erstellt, und wir mussten immer wieder ins Polizeipräsidium und Bilder anschauen. Man hat auch Schuldgefühle. Als Vater will man seine Kinder doch immer beschützen. Man hat so manches mal geflucht, wenn nachts um zwei das Telefon geklingelt hat: „Papa, kannst du mich abholen?“ Aber man fährt. Und dann wurde Katharina volljährig und meinte: „Papa, du musst mich nicht mehr abholen, ich krieg das allein hin.“ Und genau dann passiert sowas! Man stellt sich ja vor, wie sein Kind da liegt und Hilfe braucht. Und man fragt sich: Wo warst du? Das ist nicht einfach. Wenn Katharina und ihre Schwester heute weggehen, bleibt meine Frau so lange auf dem Sofa, bis sie wieder nach Hause kommen. Erst dann geht sie ins Bett.
Katharina, du hast dann die Schule abgebrochen.
Katharina Es hat nicht lange gedauert, bis es sich an der Schule rumgesprochen hatte. Und ich hab gemerkt: Alle gucken mich an. Die Leute haben sich zugeraunt: Guck mal, das ist die! Auch wenn sie es nicht böse gemeint haben. Von den Lehrern haben wir es nicht vielen gesagt, und der Schulleiter hat mich auch unterstützt. Aber es gab zum Beispiel auch einen Lehrer, der gemeint hat, er könnte das gar nicht verstehen, wie so was passieren kann. Wie das denn überhaupt sein könnte, dass eine Frau so was mit sich machen lässt. Mein Vater hat mir dann einen Ausbildungsplatz als Chemikantin in dem Unternehmen besorgt, in dem er arbeitet. Der Einstellungstest hat gut geklappt, und so bin ich dann nach der elften Klasse, also ein paar Wochen nach der Tat, von der Schule abgegangen. Mit der elften Klasse und der abgeschlossenen Ausbildung hab ich immerhin das Fachabitur. Damit kann ich auch was machen. Aber geplant war das so nicht. Ich wollte ja eigentlich Psychologie studieren.
Es kam dann zum ersten Prozess. Wie hast du den erlebt?
Katharina Der Prozess war total schrecklich. Wenn man das alles noch mal vor fremden Leuten erzählen muss und vor allem dabei auch der Täter mit im Raum sitzt, das ist furchtbar. Damit hatte ich auch gar nicht gerechnet. Er hat mich die ganze Zeit angestarrt. Ich kann mich nicht mehr an die Details des Prozesses erinnern, weil ich inzwischen wohl vieles verdrängt habe, aber an meine Gefühle kann ich mich gut erinnern: Es war grausam. Der Richter war sehr streng. Man wurde total auseinander genommen. Es lag ja das Vernehmungsprotokoll der Polizei von der Tatnacht vor. Aber trotzdem muss man noch mal all diese Fragen beantworten. „Wie groß war der Abstand von der Tanzfläche zur Toilette?“ – „Etwa zehn Meter.“ – „Können Sie das nicht genauer sagen?“ Und auch den eigentlichen Akt musste ich noch mal ganz detailliert schildern. Ich habe oft Fragen gestellt bekommen, von denen ich mich angegriffen fühlte. „Hat er Sie am Arm mitgezogen?“ – „Ja.“ – „Hatten Sie davon blaue Flecken?“ – „Ja.“ – „Warum konnte man die in der Tatnacht noch nicht sehen? Mit welcher Hand hat er sie mitgezogen? Hat er Sie so rum oder so rum gepackt?“ Lauter Dinge, an die ich mich nach einem Jahr gar nicht mehr erinnern konnte, wollten sie bis ins Detail wissen. Ich hatte Angst, auf Fragen nicht antworten zu können.
Konntest du dich an die Tat noch genau erinnern?
Katharina Ich musste ja in der Nacht noch aussagen und konnte mich damals noch genau erinnern. Die Aufnahme der Aussage ging über Stunden. Es ist gegen Mitternacht passiert und ich war bis morgens um acht auf dem Präsidium. Ein paar Wochen später war die Erinnerung aber schon nicht mehr so genau. Und beim Prozess, der ja ein Jahr später stattfand, kam ich mir richtig blöd vor. Alle haben erwartet, dass ich mich genau erinnern könnte. Aber ich hatte viele Einzelheiten vergessen, die ich wohl auch vergessen wollte.
Was war entscheidend dafür, dass du dich nicht wehren konntest?
Katharina Ich habe schon versucht, ihn wegzudrücken, aber ich hatte, glaube ich, nicht die Hälfte der Kraft, die ich normalerweise habe. Man ist in diesem Moment wie in Trance. Man begreift gar nicht, was da abläuft. Es geht alles so schnell. Ich war selbst überrascht. Die Polizei hat mir bei der Vernehmung immer wieder die Frage gestellt, ob und wie ich mich gewehrt habe, und ich habe mir diese Frage selbst gestellt: Warum hast du nicht dies oder jenes gemacht? Ich konnte sie aber nicht wirklich beantworten.
Wie hast du dich nach dem ersten Urteil gefühlt?
Katharina Ich war dann schon erleichtert. Man hofft halt bei so einem Prozess, dass man Recht bekommt. Und mit diesem Urteil, mit diesen drei Jahren Haft für den Täter, hatte ich das Gefühl: Ja, ich habe Recht bekommen!
Der Vater Der Richter hat am Ende klare Worte gesprochen. Er hat dem Angeklagten gesagt: „Es kann ja vielleicht sein, dass in Marokko das Nein einer Frau nichts bedeutet. Aber sie sind hier in Deutschland, und hier bedeutet ein Nein sehr viel!“ Katharina hat mir nach dem ersten Urteil gesagt, dass sie die ganze Zeit die Befürchtung gehabt hatte, dass auch die Familie oder Freunde ihr ihre Version nicht unbedingt glauben. Und das Urteil war für sie eine Bestätigung, dass alle nun sehen: Es war nicht ihre Schuld!
Katharina Und ich dachte: Jetzt kann ich anfangen, das zu verarbeiten und es langsam zu vergessen. Aber mir wurde sofort gesagt, dass er auch in Berufung gehen kann. Ich wusste zuerst gar nicht, was das heißt, weil ich mich mit diesen Gerichtssachen nicht auskenne, aber dann hat man es mir erklärt. Und da wusste ich: Wenn er das kann, wird er es auch tun. Die Sache ist noch nicht abgeschlossen.
Der Vater Unser Anwalt hat uns schon angekündigt, dass er sicher in Berufung gehen wird. Denn: Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre gefordert und dem ist der Richter auch gefolgt. Deshalb hat für den Täter bei einer Berufung kein Risiko bestanden, denn er hätte auch in einem zweiten Prozess nicht mehr als die drei Jahre bekommen. Wäre der Richter aber unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben, hätte der Täter damit rechnen müssen, bei einer Berufung doch zu den drei Jahren verurteilt zu werden. Unser Anwalt sagte also: Wenn ich sein Anwalt wäre, würde ich ihm auf jeden Fall zur Berufung raten, denn er hat ja nichts zu verlieren. Das war schlimm. Schlimmer als das Warten auf den ersten Prozess.
Katharina Ich wusste ja schon, wie schrecklich das ist, da vor Gericht zu sitzen. Und zu wissen, ein Jahr oder noch später geht das wieder von vorne los … Ich habe darum unseren Anwalt gefragt, ob man das nicht verhindern kann. Ich hätte lieber gehabt, dass der Typ freikommt, als noch mal diesen Prozess durchzumachen. Aber das ging natürlich nicht. Es gab dann den Versuch, einen Deal abzuschließen zwischen unserem Rechtsanwalt, dem Verteidiger, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht: eine Bewährungsstrafe, ein Annäherungsverbot und eine Schadenersatz-Zahlung standen im Raum, dafür gäbe es dann keine erneute Verhandlung. Ich hätte auch auf die Zahlung verzichtet. Hauptsache keine neue Verhandlung! Aber da hat die Staatsanwaltschaft nicht mitgemacht, weil sie eine Bewährungsstrafe für ein solches Gewaltverbrechen zu niedrig fand.
Der Vater Was ich eigentlich richtig fand. Ich habe zu Katharina gesagt: „Du wolltest zwar keine zweite Verhandlung, aber wenn sich die Staatsanwaltschaft auf den Deal eingelassen hätte, wäre ich enttäuscht gewesen.“
Katharina Und dann ist dieser zweite Prozess auch noch einen Tag, bevor er stattfinden sollte, um zwei Monate verschoben worden, weil eine neue Zeugin im Urlaub war. Im Prozess stellte sich dann heraus, dass die ohnehin nichts aussagen konnte. Die wurde aufgerufen und sagte, sie könnte zu der Sache gar nichts beisteuern. Bis auf diese neue Zeugin waren alle wieder dieselben. Und trotzdem lief das alles ganz anders als beim ersten Prozess.
Der Vater Jeder Zeuge, der Katharinas Aussage gestützt hat, wurde vom Richter demontiert. Zum Beispiel ihre Hausärztin, die die blauen Flecken dokumentiert hatte. Der Richter hat behauptet, dass Katharina sich die auch selbst zugefügt haben könnte. Die Ärztin hat daraufhin gesagt, dass diese Flecken nicht so aussähen. Da hat der Richter sie angefahren, sie wäre nicht als Gutachterin bestellt und dürfte deshalb gar keine Einschätzung abgeben. Dem Chef des Täters hat man unterstellt, dass er aufgrund seiner eigenen Homosexualität Partei für Katharina ergreift. Und immer, wenn er das richtig stellen wollte, wurde er angefahren: „Sie reden nur, wenn Sie gefragt werden!“ Und die Staatsanwältin hat praktisch gar nichts gesagt. Ich dachte, was geht hier eigentlich ab? Der einzige, der sich nicht hat einschüchtern lassen, war der Kommissar, der Katharina in der Nacht vernommen hatte. Der hat erklärt, er könnte sich an diesen Fall sehr gut erinnern, weil es in der Aussage der Zeugin nicht einen einzigen Widerspruch gegeben hätte. Die Polizei hat ja Methoden, Falschaussagen zu erkennen. Die wiederholen zum Beispiel bestimmte Fragen in anderem Wortlaut, um Widersprüche aufzudecken. Der Kommissar hat mir nach dem Freispruch auf dem Flur gesagt: „Das sind die Gründe, warum ich nicht mehr Polizist sein will. Es nützt nichts, wenn ich die Täter fasse. Die kommen ja sowieso wieder frei.“
Katharina Auch die Schöffen waren von vornherein gegen mich. Das waren zwei Männer. Die haben mich Sachen zu meiner Homosexualität gefragt, die mit dem Fall überhaupt nichts zu tun hatten. Die wollten wissen, ob meine Freunde oder Mitschüler eigentlich wüssten, dass ich lesbisch bin. Und wann ich denen das denn erzählt hätte. Die waren offenbar ganz überrascht, dass mein Freundeskreis Bescheid wusste. Sie konnten sich anscheinend überhaupt nicht vorstellen, dass das normal ist. Ich habe mich da total falsch gefühlt. Ich dachte: Das weiß doch jeder hier im Gerichtssaal aus der Akte. Warum muss man dazu noch diese ganzen Fragen stellen? Der Richter hat dann gefragt, ob es sein könnte, dass ich gar nicht lesbisch bin. „Kann es sein, dass alle in Ihrem Freundeskreis lesbisch sind und dass Sie nur so getan haben, als ob sie es auch wären, um nicht ausgegrenzt zu werden?“ Und dann ging es weiter: „Und könnte es nicht auch sein, dass Sie in ihrer Clique noch die einzige Jungfrau waren und endlich mal mit einem Mann schlafen wollten, um sich den anderen zu beweisen?“
Der Vater Das muss man sich mal vorstellen. Katharina hatte uns schon längst erzählt, dass sie sich für Mädchen interessiert. Obwohl du dich zu dem Zeitpunkt noch nicht so richtig verliebt hattest, oder?
Katharina Doch. Schon.
Der Vater Aber ein Mädchen geküsst hattest du noch nicht.
Katharina (grinst) Äh, doch.
Der Vater Einen großen Kuss?
Katharina Ja. Mit 14.
Ein Vater muss ja nicht immer alles wissen.
Der Vater Ich weiß inzwischen, dass die meisten Vergewaltigungsprozesse Indizienprozesse sind, weil die Täter in der Regel leugnen. Aber wenn dann die Gerichtsmedizinerin erklärt, dass das Opfer noch Jungfrau war, ihre Periode hatte, der Tampon hinterher operativ entfernt werden musste und dass es große blaue Flecken an den Oberschenkeln gab, dann muss man doch sagen: Das kann gar nicht freiwillig gewesen sein. Aber der Richter wollte das nicht hören. Als die Gerichtsmedizinerin erklärte, dass sie sein Szenario für äußerst unwahrscheinlich halte, fragte er sie, ob sie völlig ausschließen könnte, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich gewesen ist. Das konnte sie natürlich nicht tausendprozentig. Also sagte sie: „Nein, aber …“ Da hat sie der Richter sofort unterbrochen und sagte „Danke, das reicht mir.“
Katharina In der Urteilsbegründung hieß es dann sinngemäß, es wäre dem Täter nicht zwingend klar gewesen, dass ich das nicht wollte. Es hätte nicht gereicht, dass ich mehrfach Nein geschrieen habe. Die genaue Formulierung war: Es wäre „nicht ausreichend, dass der Täter nur die Abneigung des Opfers gegen sexuelle Handlungen erkennt.“ Das heißt: Falls ich überhaupt Widerstand geleistet hätte und nicht doch alles freiwillig gewesen wäre. Ich hatte ja auch versucht, mich wegzudrücken, aber das hat natürlich nicht geklappt. Die blauen Flecken zählten auch nicht. Man wüsste ja nicht, wie die zustande gekommen wären. Der Vater Danach hat unser Anwalt gesagt: „Ich hab’s geahnt. Denn diese Staatsanwältin und dieser Richter können überhaupt nicht miteinander.“ Meine Frau vermutete: „Dann war das Urteil womöglich die Retourkutsche für den
geplatzten Deal.“
Wie hast du dich nach dem Freispruch gefühlt?
Katharina Bei dem Freispruch selbst war ich nicht im Saal. Ich war nur für meine Aussage drin, alles andere wollte ich mir nicht mehr antun. Ich saß mit Mama und einer Bekannten draußen. Ich hatte schon damit gerechnet, dass das Urteil anders ausfallen könnte als beim ersten Mal. Aber da der Täter vorher zu drei Jahren verurteilt worden war, hatte ich schon erwartet, dass er noch mal verurteilt wird, wenn auch vielleicht zu einer niedrigeren Strafe. Und dann kamen meine Schwester, meine Tante und meine beste Freundin weinend rausgelaufen. Da dachte ich schon: Da stimmt was nicht. Dann kamen auch die anderen raus und alle um mich rum weinten. In dem Moment kam das bei mir noch gar nicht an. Dann kam mein Anwalt und sagte: „Es tut mir sehr leid.“ Erst als mich alle in den Arm genommen haben, habe ich realisiert, was da gerade passiert war. Wir sind dann was essen gegangen, aber keiner hat gesprochen. Wir waren alle fassungslos. Einige haben immer noch geweint. Ich auch, aber nur kurz. Ich weine eher für mich alleine. Gleichzeitig war ich auch froh, dass die Gerichtsverhandlung endlich vorbei war. Ich hätte Revision einlegen können. Aber dann hätte ich womöglich noch mal aussagen müssen. Ich hätte aber gern für meine Eltern weitergemacht.
Der Vater Aber da haben wir ihr gesagt, dass sie das für sich entscheiden muss.
Katharina Aber ihr wart schon enttäuscht, als ich mich dagegen entschieden habe.
Der Vater Wir hätten einfach gern Gerechtigkeit gehabt.
Katharina Ich hatte keine Hoffnung mehr, dass ein gerechtes Urteil dabei rauskommt. Ich hatte einfach kein Vertrauen mehr in die Justiz. Ich habe dann lange mit meinem Rechtsanwalt telefoniert und ihm erklärt, dass ich nicht mehr will. Er hat dann mit der Staatsanwaltschaft
gesprochen. Die hätten ja auch Revision einlegen können, aber das wollten sie nur, wenn ich mitziehe. Aber ich wollte nicht mehr.
Hast du bereut, dass du überhaupt Anzeige erstattet hast?
Katharina Ja. Damals war ich froh, dass Freundinnen, die dabei waren, Polizistinnen sind und sofort die Polizei gerufen haben. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt. Ich hatte Angst davor, den wiederzusehen, klar. Aber wie es in der Verhandlung sein würde, dass konnte ich mir nicht vorstellen. Und als es nach dem ersten Prozess hieß, ich müsste noch mal vor Gericht … Spätestens nach dem zweiten Urteil glaube ich, dass ich besser klargekommen wäre, wenn ich ihn nicht angezeigt hätte. Aber ich hatte ja gar nicht die Wahl.