Abtreibung: Ich war nur erleichtert
Vier Vorschläge standen zur Wahl, darunter der umstrittene Gesetzentwurf von Union und SPD, wie auch die sofortige Streichung des Paragrafen. Das forderte u.a. die FDP. Abgestimmt wurde namentlich. Und die Frauen? Ernst genommen werden sie jedenfalls nicht. Schon mal gar nicht in ihrem dringenden Bedürfniss nach schnellen und unkomplizierten Informationen für einen der wichtigsten medizinischen Eingriffe in einem Frauenleben überhaupt. Stattdessen will Gesundheitsminister Spahn jetzt auch noch für fünf Millionen Euro das angebliche schlechte Gewissen der Frauen vermessen lassen. Das hier also ist die Geschichte von Sabrina. Sabrina hat abgetrieben. Stimmen wie ihre sind rar in der Debatte über die Paragrafen 218 und 219a. Denn selbst den emanzipierten Frauen wird wieder ein schlechtes Gewissen gemacht, sie sprechen - wenn überhaupt - hinter vorgehaltener Hand über ihre Entscheidung. Sabrina bereut sie nicht.
Endlich Montag, schießt es mir durch den Kopf, als ich in meinem Bett erwache. Sehr früh und völlig übernächtigt mache ich mich auf den Weg zur Frauenarztpraxis. Das Wochenende verbrachte ich bei Freunden in Berlin. Doch so richtig in Berlin war ich nicht. Viel zu abgefahren fühlten sich die ersten 48 bewusst schwangeren Stunden meines Lebens an. Erst während der achtstündigen Busfahrt begann ich, die Strichbotschaft vom Vortag zu realisieren …
Die Frauenärztin
Angespannt blicke ich auf den kleinen Monitor neben mir und konzentriere mich darauf, der Ärztin aufmerksam zuzuhören. „Ja Frau März eine intakte Schwangerschaft liegt vor. Der Herzschlag ist bereits da.“ Mir schlägt mein Herz bis zum Hals, Panik steigt in mir auf. „Sie sind in der siebten Woche, der Geburtstermin wäre voraussichtlich der fünfundzwanzigste Dezem…“. „Ich werde das nicht behalten!“, fahre ich meiner Ärztin ins Wort. Einen kurzen Moment ist es dann still im Zimmer. An der Anmeldung bekomme ich eine Liste von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Nur mit einer Beratungsbescheinigung ist es möglich, einen Termin für einen Abbruch zu vereinbaren.
Die Beratung
So sitze ich nun in einem blauen Samtsessel im Wartebereich der Beratungsstelle und muss zugeben: Dem bevorstehenden Gespräch blicke ich skeptisch entgegen!
Der Gedanke ist mir zuwider, meine Entscheidung, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, ausführlich erklären und womöglich auch noch verteidigen zu müssen. Das, was ich tue, ist in Deutschland innerhalb eines begrenzten Zeitraumes straffrei.
Die Entscheidung zu fällen, das Heranreifen einer befruchteten Eizelle vorzeitig zu beenden und (noch?) keine Mutter zu werden, wird allerdings nicht als grundlegendes Menschenrecht betrachtet und wertfrei beurteilt. Vielmehr haftet der Abtreibung ein Rattenschwanz an Stigmata an. Allein das Wort – Abtreibung – löst bei den allermeisten unter uns doch ein gewisses Unbehagen aus…
Angespannt lehne ich im Samtsessel und bin gleichzeitig unglaublich erleichtert darüber, dass ich mich gegen diese Schwangerschaft entscheiden darf und mir dafür keine Strafe droht. „Danke, danke, danke, liebe Frauen …“
Ich sitze der Dame von der Beratungsstelle gegenüber und erläutere auf ihre Aufforderung hin meine Gründe, die für einen Abbruch sprechen. Ich gebe ihr einen groben Einblick in meine Beziehung, meine finanziellen Verhältnisse und meine künftigen Berufsaussichten. Sie hört mir aufmerksam zu und macht sich hin und wieder kurze Notizen. Am Ende fasst sie das Gesagte zusammen und beginnt nachzuhaken. Das Gespräch verlagert sich auf eine Ebene, auf der es nun um meine persönliche Einstellung zur Familie, um Ängste, um die Meinung meines Partners und um Erziehungsfragen geht. Sie fängt an, ein anderes, ein äußerst positives Bild meiner Schwangerschaft und meines künftigen Mutterdaseins zu entwerfen. Ich beginne meine Argumente zu wiederholen …
Der kurze Schwangerschaftsalltag
Unmittelbar nach dem Aufwachen ist mir speiübel. Trotz zwölf Stunden Schlaf fühle ich mich alles andere als fit. „Eine Tasse Kaffee wird’s besser machen …“, denke ich mir und gehe in die Küche. In einer Stunde muss ich im Café sein. Der gestrige Dienst war ein einziger Serviermarathon. Am frühen Morgen überkam mich ein heftiger Müdigkeitsanfall, und ich glaubte, an Ort und Stelle im Laufen wegzunicken. Als ich mich im Café umschaute, erblickte ich einen Tisch, an dem drei junge Mütter zusammen mit ihren Sprösslingen sitzen und sich dem Mutterdasein ausgelassen hingeben. Ich sehe mich in meinen Gedanken auf einmal an ihrer Stelle dort sitzen. Keine Sekunde später lasse ich einen genervten Seufzer über mich selber los, denn genau das wird nicht passieren. Ich werde einen Abbruch vornehmen lassen und in weniger als einer Woche ist der Termin.
Es ist kurz vor halb zehn, meine Tasse Kaffee habe ich wie üblich nicht leer getrunken. Ich stehe vor dem Spiegel, streife mir Jeans, BH und Shirt über. Erstaunt und etwas geschockt stelle ich fest, dass diese siebenwöchige Schwangerschaft bereits angefangen hat, körperliche Veränderungen hervorzubringen. Meine Statur ist ein wenig stämmiger als sonst und meine Brüste sind größer als normal. Ein paar Tage im Schwangerschaftsmodus stehen mir noch bevor, ehe sich wieder alles zum Alten verändern wird. Ich schnappe mir meinen Rucksack und verlasse die Wohnung. Es ist kurz vor zehn und in wenigen Minuten beginnt mein neuer alter Arbeitsalltag seit der Strichbotschaft.
Der Klinikbesuch
Meine Freundin Charlotte und ich werden gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Das Wartezimmer ist klein und ungemütlich. Die Luft ist stickig und meine Mund ist trocken. Bis auf zwei Frauen, die eine männliche Begleitung bei sich haben, sind alle anderen in Begleitung mindestens einer Freundin. Die Frauen sind schätzungsweise zwischen 20 bis 40 Jahre alt und unterschiedlicher Nationalität. Im Schnitt werden in dieser Praxis täglich bis zu 15 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen.
Nach scheinbar endlos langer Wartezeit werde ich aufgerufen. Die Dame öffnet die Glastüre, durch die man wohl in den Teil der Praxis gelangt, in dem die Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Meine Freundin darf auch hier noch an meiner Seite bleiben. Wir werden gebeten, in einem noch winzigeren Raum mit drei Stühlen Platz zu nehmen. Wieder heißt es warten.
Weder Charlotte noch ich haben die leiseste Ahnung davon, was auf mich zukommen wird. Endlich betritt Frau Doktor Z. das Zimmer. „Hallo Frau März geht es Ihnen gut …? Sie bekommen eine Vollnarkose verabreicht, dann leeren wir Ihre Blase, dann erweitern wir den Gebärmutterhals mit Metallstäbchen, um zur Gebärmutterhöhle besser hinzukommen. Der Gebärmutterinhalt, der Embryo, wird zusammen mit dem Gewebe und der Schleimhaut über eine dünne Kanüle abgesaugt, wenn nötig mit einem scharfen Löffel ausgekratzt. Der ganze Eingriff dauert fünf bis zehn Minuten. Haben Sie das alles verstanden ?!“
Zaghaft nicke ich der Ärztin zu. Ihre etwas gefühllose Direktheit gegenüber der Babyabtreibungsangelegenheit reißt mich aus meinen Gedanken und holt mich abrupt wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. „Sie haben auch jetzt noch die Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden. Bis zuletzt dürfen Sie einfach aufstehen und meine Praxis verlassen, ja …?! Möchten Sie den Eingriff vornehmen lassen?“ Ich bejahe die Frage von Frau Doktor Z.
Ich werde in ein Zimmer begleitet in dem Betten stehen. Ich bekomme das Bett ganz rechts hinten zugeteilt. In ein Spintfach lege ich meinen Rucksack, in welchen ich eine Wechselunterhose, extra dicke Binden und einen Comic (falls ich doch länger als geplant hier sein sollte) eingepackt habe. Bis auf mein Shirt entkleide ich mich, setze mich aufs Bett und warte bis ich von der Schwester abgeholt werde.
Ich bekomme einen klassischen Operationskittel und ebenfalls kleine grüne Fußschützer übergestreift und betrete den OP-Saal. Auf dem Behandlungsstuhl nehme ich Platz und lege meine Beine hoch in die Stützen. Die Anästhesistin, die Ärztin und die Schwester treffen letzte Vorbereitungen. Sie sind dabei sehr behutsam und ich fühle mich gut aufgehoben. Dann wird mir das Narkosemittel injiziert. „Es wirkt nicht“, denke ich noch und kippe kurz darauf dann doch weg.
Nach vermuteten zehn Minuten erwache ich. Mit Hilfe der Schwester wackle ich zurück in den Aufwachraum und lege mich ins Bett. „Kaffee, Coke oder Wasser?“ Ich entscheide mich für eine Coke. Vom Bett gegenüber höre ich das Weinen einer jungen Frau. Ich bin sehr froh, dass mir in diesem Moment nicht auch nach Weinen zumute ist. Ich stehe noch unsicher, gestützt mit einer Hand kleide ich mich an. Zum Abschied reicht mir die Schwester die Hand. „Lassen Sie es hinter sich. Jetzt ist alles wieder offen, und Sie können neue Entscheidungen treffen! Alles Gute, Liebes!“ Ich lächle ihr zu.
Nachtrag
Seit der Abtreibung sind nun einige Monate vergangen. Ich habe mich vorerst gegen das Mutter-Werden und Mutter-Sein entschieden. Worüber ich im Nachhinein sehr glücklich bin. Meine Lebensumstände wären nicht passend gewesen, um ein Kind in die Welt zu setzen.