Ich will Präsidentin werden!

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Ein Jahr nach dem Sturz der Taliban drehte Samira Makhmalbaf zwischen den Trümmern Kabuls den Film „Fünf Uhr am Nachmittag“. Mit LaiendarstellerInnen und gegen den anfänglichen Widerstand, aber mit der wachsenden Begeisterung der Mitspielenden. Heraus kam ein kruder und poetischer, stolzer und trauriger Film.

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Jeden Tag um fünf Uhr nachmittags bringt der alte, gläubige Vater seine Tochter auf dem Eselskarren zur Koranschule – glaubt er. Aber Noqreh huscht ein Haus weiter, tauscht die Latschen gegen Pumps, schlägt den Schleier zurück und ist da: in der

Frauenschule. Da steht vor ein paar Dutzend glühender junger Frauen eine patente Lehrerin und fragt: „Was wollt ihr später denn mal werden?“ Schweigen. Dann hebt sich zögernd die erste Hand und eine zagende Stimme sagt: „Lehrerin.“ Schon geht die zweite Hand hoch: „Ingenieurin!“ Und jetzt meldet sich Noqreh: „Präsidentin!“
Ja. Präsidentin von Afghanistan will sie werden. Und sie meint es ernst. Überall sucht sie Informationen. Was muss eine Präsidentin können? „Wofür zum Beispiel wurde der französische Präsident gewählt?“, fragt sie einen UN-Soldaten. Der zuckt die Schultern: „Das weiß ich auch nicht, warum Chirac gewählt wurde.“
Es kann noch so hart zugehen, immer wieder bricht auch der Humor in Makhmalbafs Filmen durch, obwohl Ihre ProtagonistInnen nicht viel zu Lachen haben. Die Tochter des bekannten iranischen Filmemachers Mohsen Makhmalbaf, ist heute 23 Jahre alt, hat diesen Film vor zwei Jahren gedreht, hat ihren ersten Film „Der Apfel“ mit 18 gemacht und ihren zweiten, „Schwarze Tafeln“ mit 20. Dafür erhielt sie den Jury-Preis in Cannes, und auch 2003 war sie dort. Kein Zweifel, hier schreibt eine junge Regisseurin sich in das Weltkino ein. Und das sind nur die ersten Schritte.
Warum sie im Nachbarland Afghanistan gedreht hat? „Als Iranerin befinde ich mich genau zwischen den zwei Tragödien, Afghanistan und Irak. Wie könnte ich da stummer Beobachter bleiben?“, antwortet sie und fügt selbstbewusst hinzu: „Ich will die falschen Informationen korrigieren, die durch Politik und Medien verbreitet werden. Fernsehen ist die Stimme der Macht, Film kann die Stimme einer Nation sein.“
Wie alle ihre Filme ist auch dieser semi-dokumentarisch gedreht. Wir erfahren nicht nur viel über Noqreh, die so mitreißend aufbricht in die Welt und so erbarmungslos gestoppt werden wird. Sondern auch Einfühlsames über den traditionellen Vater, der seine beiden Töchter ins Unglück führen wird – und es noch nicht einmal böse meint. Wir erfahren auch viel über den Alltag in Kabul, den Samira Makhmalbaf wochenlang gelebt hat für diesen Film. Auf keinen Fall verpassen!
EMMA Juli/August 2004

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