„Ich wünschte, ich hätte mehr getan!“
Endlich. Endlich distanzieren sich auch Männer von Harvey Weinstein. So mancher aber noch immer halbherzig. Zum Beispiel George Clooney, der die sexuellen Gewalttaten des Hollywood-Produzenten als „unentschuldbar“ verurteilt. Doch Clooney beschwichtigt gleichzeitig: Gewusst habe er nichts von den Übergriffen. Sicher, es habe Gerüchte gegeben, aber er habe eben gedacht, dass man damit den jungen Schauspielerinnen habe schaden wollen, indem man suggerierte, dass sie ihre Rolle auf der „Besetzungscouch“ bekommen hätten. Nun ja. Natürlich haben es auch die Männer gewusst. Nicht nur die Frauen, denen es passiert ist. Und einige von ihnen haben jetzt das Bedürfnis, sich zu entschuldigen. Weil sie nicht nur geahnt oder sogar gewusst haben, dass Harvey Weinstein ein sexueller Gewalttäter war – sondern auch geschwiegen haben.
Weinstein stellte mich den spannendsten Leuten vor.
„Ich habe genug gewusst, um mehr zu tun, als ich getan habe“, gibt Quentin Tarantino zu. Zum Beispiel wusste der Regisseur, dass Weinstein im Jahr 1995 die Schauspielerin Mira Sorvino „ohne Erlaubnis massiert“ und sie anschließend „durch das Hotel gejagt“ hatte. Sorvino war damals Tarantinos Freundin. Er sei zwar schockiert gewesen, erklärt Tarantino in einem Interview mit der New York Times, unternommen aber habe er nichts. Er habe das „unverzeihliche“ Verhalten seines Kumpels damit entschuldigt, dass der eben in Sorvino „verliebt gewesen“ sei.
Einige Jahre später vertraute die Schauspielerin Rose McGowan ihm an, dass Weinstein auch ihr gegenüber sexuell übergriffig geworden war. Tarantino wusste auch, dass Weinstein sich mit McGowan außergerichtlich geeinigt, sprich: ihr Geld gezahlt hatte, damit sie schweigt und kein Wort sagt über die Vergewaltigung durch den mächtigen Filmboss.
Geschwiegen hat auch Tarantino, der mit Weinstein nicht nur viele seiner Kultfilme wie „Pulp Fiction“ oder „Kill Bill“ gemacht hat. Die beiden Hollywood-Größen waren befreundet, Weinstein soll sogar die Verlobungsfeier für Tarantino ausgerichtet haben. „Ich wünschte, ich hätte Verantwortung übernommen für das, was ich gehört habe,“ sagt Tarantino jetzt. Diese Erkenntnis kommt spät, sehr spät.
Auch der Drehbuchautor Scott Rosenberg („High Fidelity“) kam als Hollywood-Neuling in den Genuss der Weinstein’schen Zuwendungen: „Er schmiss die größten Partys. Er stellte uns den spannendsten Leuten vor,“ schreibt er in einem Blog auf Deadline. Clubbing mit Quentin und Uma! Drinks mit Salman Rushdie und Ralph Fiennes! Dinner mit Mick Jagger und Warren Beatty!“ Deshalb schwieg auch Rosenberg. Heute erklärt er: „Es tut mir leid und ich schäme mich. Weil ich, am Ende, zum Komplizen wurde.“
Und nicht nur prominente Hollywood-Männer bekennen sich zur Komplizen- ja Mittäterschaft. Auch der ganz normale Mann scheint inzwischen begriffen zu haben, was er mit seinem Schweigen anrichtet. Nicht nur im Luxus-Hotel in Los Angeles, sondern auch auf der Party in Paderborn. Unter dem Hashtag #HowIWillChange (Wie ich mich verändern will) twittern Männer, wie sie künftig ihr Verhalten ändern wollen.
„Jungs, jetzt sind wir dran!“ eröffnete ein gewisser Benjamin Law. „Nachdem wir unter #MeeToo endlos Geschichten darüber gelesen haben, wie Frauen belästigt und missbraucht werden, sagen wir jetzt: ‚Was werden wir ändern“. Zum Beispiel: „Nicht wegsehen, wenn bei Festen gegrabscht und bedrängt wird. Und nicht aus ‚Höflichkeit‘ über sexistische Witze lachen“, schreibt Volker Hoff.
Es tut mir leid. Ich schäme mich. Ich wurde zum Komplizen.
„Durch #MeToo aufgerüttelt, lasse ich den Nachbarn ihre ‚Herrenwitze‘ nicht mehr durchgehen“, hat sich ein Mann mit dem Aliasnamen klinkhart vorgenommen. „Ich werde versuchen aufmerksamer zu sein und einschreiten, wenn ich etwas beobachte“, versichert littleblackcat. Und „Produziert doch erst gar keine negativen Verhaltensweisen, die ihr ändern müsst“, rät Lord Sixtus seinen Geschlechtsgenossen.
Aber klar, dass die aktuelle internationale Debatte über die alltägliche sexistische Gewalt inklusive männlicher Schuldbekenntnisse nicht jedermanns Sache ist.
Typus 1: der Skeptiker. „Die eher Harmlosen überbieten sich mit #HowIWillChange, den echten Belästigern geht das alles ganz weit am Allerwertesten vorbei“, fürchtet ein Jeremias Zwackelzahn.
Typus 2: der Beleidigte. „Ich werde keiner Frau mehr die Tür aufhalten“, verkündet Mattenjahre.
Und Typus 3: der offene Sexist. „Es lebe das Patriarchat!“ wünscht sich Hunter. Und Nixnixnix2017 macht seinem Namen alle Ehre: „HowIWillChange not. Alles Schlampen.“
Es gibt also noch viel zu tun. Männer wie Quentin Tarantino packen es anscheinend an. Der appelliert an seine Kollegen: „Veröffentlicht nicht nur Statements. Gebt zu, dass da was faul war im Staate Dänemark. Und versprecht, dass wir unseren Schwestern in Zukunft zur Seite stehen.“
Das ist mehr, als wir bisher gewohnt waren. Das ist ein Anfang.
Chantal Louis