Ihr Blick auf Menschen
Die Frau schaut uns direkt in die Augen. Eine Hand am Kopf steht sie ganz hinten, an der Wand eines kargen Raumes. Neben ihr eine zweite Frau, beide sind umringt von ängstlichen Kindern. Im Vordergrund hantieren US-Marines mit Maschinenpistolen, sie durchsuchen das Haus im Abu-Ghraib-Viertel in Bagdad.
Wir sehen die Szene aus dem Jahr 2002 durch die Augen der „embedded“ (in die Militäreinheit eingebettete) Fotografin Anja Niedringhaus. Für einen kurzen Moment, einen Augenblick, sind Fotografin und Fotografierte miteinander verbunden. Es ist ein Moment großer Nähe – und großer Distanz zugleich.
Es sind diese Augenblicke, die die Fotografien von Anja Niedringhaus so besonders machen. Als „Kriegsreporterin“ hat sie sich selber nie bezeichnet. Denn nicht der Krieg interessierte sie, sondern seine Folgen für die Menschen: für die Soldaten, die Frauen, die Kinder.
Der Soldat, der bei einem Angriff im Laufen nach einem Huhn tritt. Ein Mann, der in einem ausgebombten Bus seine Zigarre genießt. Der rote Weihnachtsmann vor grauen Soldaten. Bilder, die sich ins Gedächtnis graben.
Anja Niedringhaus war die erste Frau bei der European Pressphoto Agency und fotografierte, gegen anfängliche Widerstände, auch als erste Frau 1992 im Jugoslawienkrieg. Bereits bei diesem Einsatz wurde sie von Heckenschützen getroffen und überlebte nur dank ihrer kugelsicheren Weste. Die für ihre Kollegialität und Fürsorge bekannte Fotografin überlebte zahlreiche Angriffe und Bombardements und wurde auch immer wieder verletzt.
Ab 2002 arbeitete sie für die Nachrichtenagentur AP und gewann 2005 zusammen mit neun AP-Kollegen den Pulitzer Preis für die Berichterstattung aus dem Irak. Sie leitete in dieser Zeit das AP-Büro in Bagdad. Ihr „guter Blick“ war bei anderen Fotografen gefürchtet. Ihr Kollege Michael Kamber sagt: „Sie machte Kriegsbilder, die sonst niemandem gelangen. Wenn ihre Fotos besser waren als meine, nahm die New York Times eben ihre. Man sagte: ‚Oh Gott, Anja ist hier, so ein Pech aber auch.‘ Aber sie war auch jemand, mit dem man zusammenarbeiten wollte.“
Später fotografierte die Deutsche in Afghanistan, ein Land, das sie liebte. Als sie 2014 mit ihrer Kollegin Kathy Gannon über die Wahlen berichtete, eröffnete ein 25-jähriger afghanischer Polizist das Feuer auf die beiden Frauen mit dem Ruf „Allahu Akbar“. Gannon wurde durch drei Kugeln verletzt, Anja Niedringhaus war sofort tot.
Die erste posthume Retrospektive zeigt 90 großformatige Fotografien und ist bis zum 30. Juni im Käthe Kollwitz Museum in Köln zu sehen.
Termine: Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin, Käthe Kollwitz Museum Köln, bis 30.6.19. Katalog im Wienand Verlag (29.80 €).
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