In der aktuellen EMMA

Marianne Koch: Bleiben Sie mutig!

Marianne Koch, 93, macht einmal wöchentlich eine Live-Sendung beim Bayerischen Rundfunk. - Foto: Isolde Ohlbaum
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Marianne Koch, wie geht es Ihnen? Das werden Sie doch sicher oft gefragt.
In der Tat. Aber das stört mich nicht. Ich bin beweglich und mache regelmäßig das ‘Gesundheitsgespräch‘, meine Radiosendung für den Bayerischen Rundfunk. Ich bin viel unterwegs und an vielem interessiert. Ich kann nicht klagen.

Wie alt fühlen Sie sich?
Ich spüre mein Alter nicht so sehr an meinem Körper. Was mich belastet und mir mein Alter vor Augen führt, ist der Verlust von geliebten Menschen. Mein Mann ist vor fünf Jahren gestorben. Ich bin also relativ allein. Dieser Verlust und dieses Vermissen, das hört nicht auf. Aber sonst habe ich eine prima Familie und kann mich wirklich nicht beschweren. 

Sie blicken in Ihrem aktuellen Buch „Mit Verstand altern“ ganz pragmatisch auf das Alter. Wie können wir denn vernünftig und gut altern?
Einen großen Anteil daran tragen unsere Muskeln, vor allem aber unsere Nerven. Die verlieren ihre wichtigsten Eigenschaften, wenn sie nicht gefordert werden. Die Forderung besteht darin, dass man sich für Neues interessiert, dass man sich nicht in einem immer gleich gestalteten Ablauf des Lebens bewegt. Wenn man sich für Neues interessiert, dann werden die Nerven angeregt, miteinander zu kommunizieren. Es bilden sich Synapsen. Je intensiver die Beschäftigung der Nerven ist, desto größer ist die Chance, dass sie normal und gut funktionieren.

Wenn man älter wird, ist vieles nicht mehr neu. Vieles hat man schon gehört, gesehen, erlebt. Was ist für Sie neu?
Die Tagespolitik ist in jedem Fall neu. Für mich ist auch neu, was in der Medizin passiert. Ich mache meine Live-Sendung im Radio seit über 20 Jahren. Das geht nicht, wenn man nicht gut informiert ist. Ich habe sechs internationale medizinische Zeitschriften abonniert, arbeite mich in neue Leit­linien und Entdeckungen ein. Aktuell interessieren mich beispielsweise die neuen Erkenntnisse über Herz-Rhythmus-Störungen sehr. Dieses stetige Einarbeiten ist für mich eine gute Schule. 

Sie sind in Ihrem Leben in viel Neues einfach hineingeworfen worden. In die Schauspielerei zum Beispiel oder in Talk-Show-Moderationen. Das scheint Ihnen ja Spaß zu machen.
Ja, das stimmt. Ich bin oft in Situationen geraten, in denen mir Dinge angeboten wurden, die ich vorher noch nie gemacht habe. Letzten Endes ging es immer um die eine Frage: Traue ich mich oder nicht? Ich habe mich fast immer getraut. Das habe ich meiner Mutter zu verdanken.

Was hat Ihre Mutter Ihnen mitgegeben?
Mut! Sie hat mich und meinen Bruder immer ermutigt, Dinge auszuprobieren. Gleichzeitig hat sie uns vermittelt, dass es nicht schlimm ist, zu scheitern. Nur versuchen sollten wir es zumindest. Und sie hat uns in Angstfreiheit erzogen. Das war für sie als alleinerziehende Mutter, die 1901 geboren wurde, eine echte Leistung. Und die Kriegszeit. Meine Mutter hat uns durch den Krieg gebracht, ohne dass wir ein Trauma erlitten haben. Wenn wieder einmal Fliegeralarm war, sagte sie: „Macht euch keine Sorgen, wir dürfen zum Nachbarn in den Luftschutzkeller gehen. Der ist bombensicher. Und wenn wir wieder rauskommen, dann sind vielleicht wieder unsere Fensterscheiben kaputt, aber dann müssen die halt wieder repariert werden und fertig.“ Sie hat uns immer ihr Vertrauen gegeben und gesagt: „Ihr seid tolle Kinder. Aus euch wird was.“ Dass auch Rückschläge dazu gehören, war für sie selbstverständlich.

Ihre Mutter war also eine emanzipierte Frau?
Ja, sehr sogar. Sie hat durchgesetzt, dass nicht nur ihre Brüder, sondern auch sie als Mädchen Abitur machen durfte. Sie war Pianistin an der Kunstakademie in München. Mein Vater war ihre große Liebe, obwohl sie ihn erst im Alter heiraten konnte. Sie hatte ein starkes Selbstvertrauen, das mich bis heute beeindruckt. Dieses Selbstbewusstsein hat sich auf mich und meinen Bruder übertragen. Sonst hätte ich die Schauspielerei ohne jede Ausbildung und dann später, mit über 40 Jahren, das Medizinstudium wohl nicht gewagt. 

Wie sind die Männer vom Film damals mit Ihnen umgegangen?
Ich muss ehrlich sagen, ich habe keinen MeToo-Moment gehabt. Dass liegt aber auch daran, dass ich immer ein Fremdkörper n dem ganzen Schauspiel-Business war. Ich bin ja durch Zufall während eines Semesterferienjobs im Kopierwerk der Bavaria-Filmstudios entdeckt worden. Ich wusste immer, dass ich zur Medizin zurückkehre. Ich war geistig unabhängig von dieser Szene. Man konnte mich nicht nötigen oder erpressen. In dem Moment, wo einer gesagt hätte, ‚Hier ist die Besetzungscouch, dann lass uns mal‘, hätte ich gesagt ‚Du spinnst wohl‘ und wäre gegangen.

Wie sehr hat Sie Ihre Zeit in Hollywood geprägt? Sie haben schließlich mit Clint Eastwood und Gregory Peck gedreht.
Heute, aus meinem Alter heraus betrachtet, kommt mir diese Film-Zeit gar nicht so prägend vor. Daran hängen keine großen Gefühle. Was in mir geblieben ist, sind die vielen Reisen. Ich galt ja als ‚tropenfest‘ und bin viel für Außenaufnahmen in exotischen Ländern engagiert worden. Viele Wochen in Spanien, Italien, Südafrika, Hongkong oder Brasilien gewesen zu sein und ein Gefühl für diese Länder bekommen zu haben, das hat mich sehr bereichert.  

Viel von dem Reichtum, der an Erfahrungen geknüpft ist, stellt sich zwangsläufig erst mit den Jahren ein. Trotzdem wird das Altern negativ betrachtet. Was läuft falsch?
Genau das. Diese negative Herangehensweise. Das ist ein Problem der westlichen Welt. In Fern-Ost, vor allem in Japan, wird ein älterer Mensch ganz anders wertgeschätzt als hier. Meine Beobachtung ist allerdings, dass sich da gerade bei uns etwas verändert. Viele Menschen begreifen, dass sie, wenn sie in Rente gehen, eben nicht nur noch ein paar Jahre haben, sondern zehn, zwanzig. Und sie wollen diese Zeit sinnvoll nutzen. Das hebt den Respekt vor älteren Menschen an. Das Alter wird nicht mehr so lächerlich gemacht wie noch vor wenigen Jahren. Viele ältere Menschen sind heute in wichtigen Positionen, weil sie gebraucht werden. Und: In dem Maße, in dem jemand gebraucht und wertgeschätzt wird, in dem Maße geht es diesem Menschen auch gesundheitlich besser. 

Als Sie 68 wurden, brachte das Gesundheitssystem Sie zu Fall. Sie wurden gezwungen, Ihre Praxis auf­zugeben.
Eine Bestimmung, die heute aufgehoben ist, besagte, dass Mediziner über 68 keine Kassen­patientInnen mehr behandeln dürfen. Ich hätte eine Privatpraxis aus meiner Praxis machen können, aber das wollte ich nicht. Das war schon ein tiefes Loch, in das ich gefallen bin. Ich habe dann angefangen, populärmedizinische Bücher zu schreiben, wobei es übrigens meine Patienten waren, die mir beigebracht hatten, dass man alle, auch komplizierte medizinische Zusammenhänge wunderbar in der deutschen Sprache erklären kann. So habe ich inzwischen mehrere Bücher geschrieben und diese Radiosendungen gemacht.

Was würden Sie Frauen für das Alter raten?
Sich mit neuen Dingen zu beschäftigen. Sich regelmäßig zu bewegen – und wenn es nur das tägliche Spazierengehen ist. Auf eine gute Ernährung zu achten und Industrieprodukte zu vermeiden. Viel Eiweiß ist wichtig, auch um die Muskulatur zu stärken. Genauso wie ausreichend Schlaf. Eine halbe Stunde am Nachmittag auszuruhen oder zu schlafen ist auch gut. Aber die wichtigste Eigenschaft für gutes Altern ist: mutig sein. Bleiben Sie mutig!  

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