Frei improvisiert

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Die Schweizer Meisterin des Euro-Freejazz spielt das Klavier wie eine Trommel. Der 60. Geburtstag der Wirtshaustochter ist ein willkommener Anlass, von ihrer Musik zu schwärmen.

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Zu ihrem 60. Geburtstag am 2. Juni schrieb "Die Zeit": "Sie hat das europäische Instrument afrikanisiert. Sie begreift das Klavier über die Tastatur hinaus als Klangkörper, der überall berührt, gestreichelt, geschlagen werden kann. Sie vermag so formbewusst zu improvisieren, dass spontane Ideen über den Moment hinaus Gestalt bewahren."
Als Jazzmusikerin wird man nicht geboren, schon gar nicht im Schaffhausen der 40er Jahre. Dixieland war noch das Beste, was Irène Schweizer im Saal des Restaurants "Landhaus", das ihre Eltern führten, zu hören bekam. Sie begann Klavier zu spielen, imitierte die Boogie-Woogie- und Ragtime-Figuren, die sie aufschnappte. Die Klavierstunden scheinen keine bleibende Wirkung hinterlassen zu haben, Irène Schweizer blieb eine Auto- didaktin. Sie nahm die Mühen auf sich, eine Sache selber zu ergründen, anstatt auswendig zu lernen. Irène Schweizer hat zu den Dingen, die sie sich angeeignet hat, ein völlig eigenes Verhältnis; der Kampf um die Aneignung hat seine Spuren hinterlassen.
Als Irène Schweizer 1959 mit den Modern Preachers auf dem Amateur Jazz Festival Zürich erstmals auftrat, hatte sie sich grad den Hardbop angeeignet. Mit 20 ging die gelernte Sekretärin dann nach England und landete irgendwann in London im "Ronnie Scott's Club", dem legendären Jazzclub, wo damals neben den großen Amerikanern vor allem die englische Modernjazz-Szene zu hören war, mit denen sie gelegentlich spielte.
1962 kehrte sie in die Schweiz zurück, es war der Anfang der Eigenständigkeit. Mit dem Bassisten Uli Trepté und dem Schlagzeuger Mani Neumeier formte Irène Schweizer ein Trio. Und endlich wurde das, was schon längst in der Luft lag, Realität: die Geburt des Schweizer Freejazz. Irène: "Während einer Probe merkten wir, dass wir alle drei eigentlich viel lieber frei spielen würden, jenseits der konventionellen Harmonieschemen von Bebop und Hardbop, mit aufgelösten Rhythmen."
In den Folgejahren wurde der Streit zwischen Modern- und Freejazz in der Zürcher Jazzszene als eine Art Glaubenskrieg ausgetragen. Das Zentrum des Streits war das legendäre "Africana", eine düstere, kleine Jazzhöhle. Hier gab es neben viel Schweizer Swing und Mainstream und dem urigen Blues-Pianisten Champion Jack Duprée auch hin und wieder Musiker der neuen englischen Szene zu hören, auch Dollar Brand, dessen melancholische Sehnsucht für Irène Schweizer das Tor zum Freejazz war.
Und dann der definitive Kick: In Stuttgart hörte sie 1966 den Pianisten Cecil Taylor, eine der großen Vaterfiguren des schwar- zen Freejazz. Der war angekommen, wo Schweizer hinwollte. "Ich war derart beeindruckt, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, mit dem Klavierspielen aufzuhören." Aber dann hat sie es sich zum Glück doch anders überlegt. In "Early Tapes", eine Aufnahme des Irène-Schweizer-Trios von1967, ist die Pianistin unterwegs nach Anderswo, aber noch nicht ganz angekommen.
Dennoch blieb die Schweiz für die Schweizer bis Mitte der 70er Jahre ein hartes Pflaster. Ihre ersten großen internationalen Erfolge verbuchte sie in Deutschland, auf Joachim Ernst Berendts Berliner Jazztagen 1967 und im Berliner "Quartier Latin". Da hat sie sich inmitten der Männerszene bestens
behauptet. Mit Männern hatte sie, die Feministin, anscheinend nie Probleme. Während sie Anfang der 80er Jahre mit der Feminist Improvising Group – mit Bassistin Joëlle Léandre, Sängerin Maggie Nicols, Fagottistin Lindsay Cooper – den Schritt vom Freejazz zum Femijazz probte, nahm sie gleichzeitig eine Reihe von Platten mit starken Musikern auf.
Irène Schweizer, die "Mutter Courage der Schweizer Free-Szene", gehörte Ende der 70er Jahre zu den Mitbegründerinnen der Werkstatt für improvisierte Musik (WIM), Anfang der 80er zu den InitiantInnen der Fabrikjazz-Guppe, des taktlos-Festivals und des Zürcher Intakt-Labels, und Ende der 90er zu den GründerInnen der Konzertreihen im Café "Casablanca" und "Karl der Große". Für sie ist das immer auch eine Gelegenheit, mit jüngeren MusikerInnen zu arbeiten und aufzutreten, wie mit der Saxofonistin Co Streiff oder der Sängerin Dorothea Schürch.
Vor allem ihre Solo-Einspielungen gehören zu ihrem Besten: von "Wilde Senorita" (1976) und "Hexensabbat" (1977) bis hin zu dem eben erschienenen Konzertmitschnitt "Chicago Piano Solo". Da ist alles drin, was ihre unverwechselbare Spielweise ausmacht: diese Mischung von Kraft und Zartheit; dieses Klangfarbenspiel, von hoch virtuoser, verspielter Pianistik, kristallin und explosiv zugleich. Irène Schweizer ist angekommen auf ihrem Weg nach Anderswo.
Christian Rentsch, EMMA 4/2001
CDs von Schweizer, eine Auswahl: "Chicago Piano Solo", "Wilde Siñorita" und "Hexensabbat"  (Intakt Records, Zürich).

 

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