Abtreibung: Eine Zeitenwende!

Nach der Verkündigung der Fristenlösung am 26.5.2018 fallen Irinnen sich vor Freude in die Arme. Foto: Niall Carson/Getty Images
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Sie jubelten und tanzten in den Straßen, sie lagen sich in den ­Armen und küssten sich, sie lachten und weinten. Noch bis zur letzten Minute hatten die Umfragen vorhergesagt, dass es knapp werden würde. Und dann das: 67 Prozent! Zwei von drei IrInnen hatten mit Ja gestimmt! Ja zum Recht auf Abtreibung! Ja zur Fristenlösung! Und das im erzkatholischen Irland.

Von einem „Erdrutsch“ ist die Rede und von einer „Zeitenwende“. Von einem „historischen Tag“ und einer „stillen Revolution“ sprach der sichtlich begeisterte irische Ministerpäsident Leo Varadkar. „Dies ist ein Tag, an dem wir ‚No More‘ gesagt haben“, erklärte er. „Ärzte werden ihren Patientinnen nicht mehr sagen, dass sie nichts mehr für sie tun können. Es wird keine einsamen Reisen mehr über die irische See geben. Es wird kein Stigma mehr geben und keine Isolation, weil die Last der Scham jetzt der Vergangenheit angehört.“

Der erst 39-jährige Regierungschef dürfte aus eigener Erfahrung wissen, was die „Last der Scham“ bedeutet: Der Sohn eines indischen Arztes und einer irischen Krankenschwester hat selbst als Arzt in einem Krankenhaus gearbeitet, bevor er in die Politik ging. Und: Er ist – heute offen – homosexuell.

Viele von Irlands ÄrztInnen hatten sich für die Abschaffung des 8. Verfassungszusatzes eingesetzt. Denn sie mussten umsetzen, was seit 1983 in der katholischen Republik galt: Abtreibung war unter allen Umständen verboten, auch nach Inzest oder Vergewaltigung. Selbst wenn das Leben der Mutter bedroht war, durfte die Schwangerschaft erst dann ­abgebrochen werden, wenn die Mutter schon in akuter Lebensgefahr schwebte. So durfte zum Beispiel eine Krebsbehandlung mit Medikamenten, die den Tod des Fötus verursachen, erst beginnen, wenn die schwangere Frau schon schwerkrank war.

Am 28. Oktober 2012 war Savita Halappanavar in der Uniklinik von Galway gestorben. Die 32-jährige Zahnärztin war wegen starker Schmerzen in das Krankenhaus gekommen, die Ärzte erklärten ihr, dass der 17 Wochen alte Fötus nicht überleben würde. Dennoch durften sie keine Abtreibung vornehmen, solange der Fötus noch einen Herzschlag hatte. Savita starb an einer Sepsis. Ihr Tod erschütterte das Land (EMMA 3/18).

Es waren Fälle wie dieser oder der des 14-jährigen Vergewaltigungsopfers, das per Gerichtsbeschluss daran gehindert wurde, für eine Abtreibung das Land zu verlassen, die die Mehrheit für ein Abtreibungsverbot zur Minderheit werden ließen. Hinzu kommt der Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche: Missbrauchs-Skandale und die grauenvolle Ausbeutung „gefallener Mädchen“ als Arbeitssklavinnen in kirchlich geführten Wäschereien bis in die 1990er-Jahre führten dazu, dass sich die katholischen Oberhäupter jetzt in den ­Debatten um die Aufhebung des Abtreibungsverbots zurückhielten.

Weniger zurückhaltend hingegen waren die christlichen Fundamentalisten aus den USA. Die Evangelikalen pumpten kräftig Geld in die Kampagne der Bewahrer des Status Quo für ein striktes Verbot der Abtreibung. Aber es nützte nichts. 87 Prozent aller JungwählerInnen stimmten für eine Aufhebung des 8. Verfassungs­zusatzes und damit für eine Fristenlösung. Sogar unter den 50- bis 65-Jährigen stimmten 63 Prozent mit Ja.

Auch der 8. Verfassungszusatz war 1983 mit einem Referendum eingeführt worden. Damals hatten zwei Drittel der IrInnen für das strenge Abtreibungsrecht gestimmt. 35 Jahre später stimmten zwei Drittel dagegen. Genauso viele übrigens, wie vor drei Jahren für die „Ehe für alle“ votiert hatten.

„Man hat behauptet, dies sei eine Kampagne, die das Land spaltet. Es war aber eine Kampagne, die das Land geeint hat“, kommentiert die Irish Times. Und schreibt weiter: „Irland hat nicht nur seine Verfassung oder seine Gesellschaft verändert – es hat mit dieser Abstimmung die Welt verändert. Denn in vielen Ländern wird das Recht auf Abtreibung attackiert.“

Zum Beispiel in Deutschland. Fakt ist: Ab Anfang nächsten Jahres wird das erzkatholische Irland ein fortschrittlicheres Abtreibungsrecht haben als wir. In Deutschland ist ein Schwangerschafts­abbruch de facto immer noch eine Straftat, die nur unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. Doch selbst dieser entmündigende „Kompromiss“ von 1995 steht unter Beschuss. Die christlichen Fundamentalisten, die entscheidend zur Wahl von Trump beigetragen haben, agitieren schon lange auch in Europa. Hinzu kommt in Deutschland jetzt die AfD, die eine „Willkommenskultur für das ungeborene Leben“ fordert. Und auch so mancheR PolitikerIn der Union ist beim alljährlichen „Marsch für das Leben“ in Berlin mit von der Partie.

Die Zeichen stehen hierzulande also auf Rückschritt. Wie wackelig das eben nicht verbriefte Recht auf Abtreibung ist, zeigt die aktuelle Attacke gegen ÄrztInnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen: Am 24. November 2017 wurde die Gie­ßener Ärztin Kristina Hänel vom Amts­gericht Gießen zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Grund: Sie hatte auf ihrer Website darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Per E-Mail können Interessierte ein PDF anfordern, in dem sie über den Ablauf des Abbruchs aufklärt. Das aber ist in Deutschland unge­heuerlicherweise verboten.

Seit Jahren nutzen so genannte „Lebensschützer“ den § 219a, um ÄrztInnen anzuzeigen. Das Amtsgericht Gießen, das Kristina Hänel verurteilte, verkündete klipp und klar, worum es im Kern geht: „Schwangerschaftsabbrüche sind laut Gesetz verboten“, so Staatsanwalt Schneider. „Erst im zweiten Absatz folgen die Ausnahmen von diesem Verbot.“

Die Strategie der „Lebensschützer“, ÄrztInnen einzuschüchtern, geht auf. Immer weniger MedizinerInnen sind bereit, Abbrüche durchzuführen.

Doch diesmal ging der Schuss nach hinten los. Der Fall Hänel machte bundesweit Schlagzeilen, und so manche (junge) Frau begriff nun überhaupt erst, auf welch tönernen Füßen das Recht auf Abtreibung steht. Frauen und solidarische Männer demonstrierten vor dem Gericht, 150.000 Menschen unterzeichneten eine Petition für die Abschaffung des § 219a. 285 ÄrztInnen forderten dasselbe in einem Offenen Brief.

Und auch die Politik machte mobil. Die Linke, die Grünen und auch die SPD legten Gesetzentwürfe für die Streichung des Knebel-Paragrafen vor. Es gab also eine parlamentarische Mehrheit gegen den § 219a. Aber: Am Tag vor der Kanzlerinnen-Wahl machte die SPD einen Rückzieher. Mit „Rücksicht auf den Koalitionspartner“ zog sie ihren Entwurf zurück.

Das gab Ärger auch in den eigenen Reihen, nicht nur an der Basis, sondern auch in den oberen Etagen. „Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, erklärte Frauenministerin Franziska Giffey (SPD). „Frauen, die ungewollt schwanger sind, befinden sich in einer Ausnahme­situation. In einer solchen Situation brauchen Frauen Information, Beratung und Unterstützung. Und sie brauchen Ärztinnen und Ärzte, die nicht unter dem Generalverdacht stehen, kriminell zu handeln und sich strafbar zu machen.“

Nun soll Justizministerin Katarina Barley (SPD) einen neuen Gesetzentwurf vorlegen. Eine komplette Streichung des § 219a wird sie mit Blick auf CDU und CSU vermutlich nicht vorschlagen. Vermutlich wird die Information über Schwangerschaftsabbrüche erlaubt werden, „Werbung“ aber verboten. Interpretation, Manipulation und Missbrauch bleiben also Tür und Tor geöffnet. Schon ­wieder so ein fauler Kompromiss.

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