Morgner: Das letzte Interview

Irmtraud Morgner - © Bettina Flitner
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Diesen Brief schickte Irmtraud Morgner kurz vor Veröffentlichung an EMMA:

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Liebe EMMA-LeserInnen,

das Interview wurde am 28. November 1989 gemacht, ein letztes Mal schriftlich ergänzt habe ich es am 21. Dezember. Im November war ich noch Krankenhauspatientin, stationär. Hatte gerade wieder eine Operation hinter mir, die vierte in anderthalb Jahren, also auch vier Narkosen, die letzte noch als Bremse im Kopf. Aber nicht in den Gefühlen: Die Freude über den Aufbruch in meinem Land überwältigte mich fast. Die Freude, aber auch der Schmerz, gerade jetzt ans Bett gefesselt zu sein, nicht dabei sein zu können, nicht mal bei den Demos. Die große Trauerarbeit wegen der politischen und materiellen Herabwirtschaftung meines Vater-Landes (Heimat ist was anderes), aber auch wegen Mitschuld musste ich tatenlos bewältigen. Denn auch ich habe ja im Prinzip trotz allem zu diesem Vater-Land gehalten, weil der Kapitalismus für mich keine Alternative war und ist, für Frauen schon gar nicht. Fünf Tage nach dem Interview dann die Offenlegung der Korruption der Regierung Honecker, das heißt ihres moralischen Bankrotts. Auf viel Schlimmes war ich gefasst - nicht darauf. Alice wohl auch nicht. Und da sich die Ereignisse noch immer überstürzen, sind schriftliche Wortmeldungen über die DDR heute eigentlich nur noch autorisierbar, wenn sie morgen veröffentlicht werden. Denn übermorgen können sie schon total veraltet sein. Deshalb: Falls das mein letztes Interview sein sollte - nehmt es nicht als mein letztes Wort, liebe EMMA-Leserinnen: Es steht vielleicht irgendwo in meinen Büchern.

Mit schwesterlichen Grüßen
Irmtraud Morgner

***

Alice Schwarzer: Irmtraud, du selbst hast die Veränderungen in der DDR in den letzten Monaten durch deine Krankheit nur indirekt, über die Medien und aus Erzählungen, mitbekommen. Aber es ist dir sicherlich trotzdem nicht entgangen, dass sich die Frauen zunächst gar nicht und dann nur zögernd zu Wort meldeten, um auch für sich Forderungen zu stellen. Wie erklärst du dir das?
Irmtraud Morgner Zögernd...? Relativ, ja, inmitten des Gesamttempos der revolutionären Bewegung zunächst relativ zögernd. Aber dann... Da war den Wortmeldungen doch anzumerken: keine Improvisation. So gedrängt und präzise kann sich nur aussprechen, wer über eine Fülle von Erfahrungen und Kenntnissen verfügt und sich schon längst herausgenommen hat, unangefochten von bisherigen offiziellen Verlautbarungen zu schlussfolgern. Das ist nicht wenig. Denn die DDR-Frauen waren bisher gewöhnt, das heißt dazu erzogen, ihre Belange der größeren Sache unterzuordnen. Emanzipation der Frau: Nebenwiderspruch, hat man ihnen lange gesagt. Und ich glaubte ja auch früher, wenn der Sozialismus aufgebaut wird, ist die Frauenfrage ein sekundäres Problem und erledigt sich irgendwie von selbst. Aber wir haben die Erfahrung machen müssen, dass jedenfalls ein stalinistischer Sozialismus das Frauenproblem weder lösen kann noch will, weil er eine Männergesellschaft ist.

Ein Grund mehr für Frauen, jetzt endlich ihre Ansprüche anzumelden, oder?
Ihre Ansprüche, ja - und das sind außer gemeinsamen auch verschiedene. Und die weibliche Hälfte der Bevölkerung besteht schließlich aus Individuen. Und beide Hälften plagt in der DDR der Komplex, auch als Person irgendwie provinziell zu sein, hinter der "Weltspitze" herzuhinken. Dieser wirtschaftliche Zwang, kapitalistischen Marktwerten hinterher zu rennen, hat sich eben auch auf andere Werte ausgewirkt, auch auf menschliche. Das, was im Westen "in" war, gewann auch im Osten mehr und mehr Autorität. Und als sich in den kapitalistischen Ländern eine starke Frauenbewegung entwickelte, wurde es auch bei uns erlaubt, ein bisschen bewegt zu sein. Was allerdings gleich zu handfesten sozialen Verbesserungen für Frauen führte.

Und in den 70er Jahren ... 
Ein hochinteressanter Zeitpunkt! Bis dahin nämlich hatte in der DDR die Gleichberechtigung einen relativ hohen Stand erreicht. Aber dann ging's wieder bergab. Stagnation. Und diese Stagnation für die Hälfte der Bevölkerung hat schließlich dann auch zur gesamtgesellschaftlichen Stagnation beigetragen. Eine Literaturwissenschaftlerin hat unlängst in Zürich gesagt, ich hätte mir den Erscheinungstermin für meinen Trobadora-Roman "geschickt" ausgesucht. "Geschickt" meint: die UNO ruft ein Jahr der Frau aus und prompt haut die Morgner ein Buch zum Thema auf den Markt. Und natürlich nicht nur die Morgner, auch andere Schriftstellerinnen. Also: Teile meines Trobadora-Romans sind 1960 bis 1963 entstanden. Den größere Rest habe ich von 1967 bis 197 geschrieben. Und dabei hat mich die Frauenbewegung nicht nur ermutigt, sondern mir auch ganz wichtige Denkanstöße gegeben. Von Vorteil für die Entwicklung der Frauenbewegung in den westlichen Ländern war nämlich, dass die Politiker dort die Feministinnen lange nicht ernst nahmen oder unterschätzten. Aber als die UNO das Jahr der Frau ausrief, war das ein Zeichen für das Ende dieser Unterschätzung. Eine geschickte konzertierte Aktion, die daran arbeitete, aus der Frauenbewegung eine Mode zu machen und ihr auf diese Weise die Spitz abzubrechen. Denn Moden sind kurzlebig. Deshalb ließ die DDR-Regierung diese Bewegung auch etwas überschwappen - im Gegensatz zu fast allen sozialistischen Ländern. Ohne diese Frauenbewegung hätte es sicher in der DDR diese Literatur nicht gegeben. Und zwar gleich die große Form! Also für mich kann ich sagen, die Denkanstöße der Bewegung haben mir überhaupt erst möglich gemacht, das Thema in einem größeren Zusammenhang anzufassen. Man kann nicht aus dem Nichts denkerisch, philosophisch oder künstlerisch arbeiten. Eine Person allein kann das nicht schaffen, sie braucht Anregung. Und natürlich eine gewisse Aussicht, veröffentlichen zu können, wenn auch mit Schwierigkeiten.

Immerhin hast du zwei Jahre nach Erscheinen der "Trobadora" 1977 den "Nationalpreis" bekommen.
Sicher nicht für die "Trobadora". Die offizielle Begründung lautete, für mein künstlerisches Gesamtschaffen. Aber da ich mit dem immer Ärger gehabt habe, vermute ich politisches Kalkül hinter der unverhofften Dekoration.

Ab wann hast denn du persönlich Anregungen zur Reflexion über dein Frausein von außen bekommen? 
Als mir ein blitzgescheiter Mann meiner Generation, der mir gefiel und der ein studierter Marxist war, eines Tages auf einer Winterwanderung ganz ruhig sagte: "Die Frau gehört in die Küche." Kein Streit war vorausgegangen. Keine Spannung. Die Feststellung folgte der Feststellung: "Schöner Pulverschnee."

Humor ist für mich eine Form der Lebens-bewältigung

In die Küche bist du nicht gegangen. Du gehörst zu den ganz frühen, auch feministisch innovativen Schriftstellerinnen. Das heißt, du hast feministische Impulse nicht nur aufgenommen, sondern auch weiter geführt. Was sind eigentlich die persönlichen Gründe für diese so radikale Sensibilisierung?
Meine Wesensart. Mein unwillkürlicher Blick für Groteskes, der mir eigentlich ständig viel mehr zeigt, als ich sehen will. Und ein gewisser Denkzwang - auch eher eine Plage, weil er nicht kraftsparend linear Erscheinungen angeht, sondern sie sinnendgrüblerisch umkreist und dabei immerzu Ambivalenzen entdeckt, die natürlich Spannungen erzeugen. Lösung dieser Spannungen: Gelächter. Wer mich genauer kennt, weiß: Wenn ich besonders zu Spaßen aufgelegt bin, habe ich ernstlich zu knacken. Humor - auch seine eulenspiegelhafte Spielart - ist für mich eine Form der Lebensbewältigung. Er gehört zu meiner Seinsweise. Mithin auch zu meiner Literatur.

Gut, du hättest dich aber trotzdem drücken können. Du hättest den Feminismus ad acta legen können, als er nicht mehr Mode war. So wie andere es getan haben. 
Nein, so eine Wahl hatte ich eben nicht! Gibt es etwas Groteskeres als das, was Friedrich Engels "Die weltgeschichtliche Niederlage der Frau" genannt hat? Und das Vorurteil von der Schwäche der Weiber zum Beispiel kann ich in einem Land, in dem fast alle Frauen unter schwierigen Bedingungen mindestens zwei Schichten abschuften müssen, emotional nur als Popanz empfinden. Von dessen Druck ich mich oft befreit habe, indem ich ihn niederlachte. Mit Jammern eckt eine Frau natürlich viel weniger an. Mit Schimpfen auch. Zumal in Diktaturen. Weil Klagen und Flüche eindeutig sind und entsprechend gerügt oder auch verboten werden können. Aber Gelächter? Gelächter ist zweideutig - scheinbar, deshalb kann es auch subversiv sein.

Du erlaubst dir als Schriftstellerin noch eine zweite Provokation: eine lebendige Erotik. Den Frauen soll ja nicht nur das Lachen vergehen, sondern auch das Begehren. Das rotten sie mit Stumpf und Stiel aus oder formen es nach ihren Interessen. Ist das nicht auch etwas, was die Männer an dir reizt und provoziert zugleich: Weil sie es gerne erobern oder auch brechen möchten, und andererseits provoziert, weil einmal nicht sie diejenigen sind, die die Spielregeln vorgeben? 
Zufassen und den Angriff machen, das ist eigentlich von alters her überliefert Domäne der Männer. Ein Thema wie Erotik, Sexualität einfach anzufassen, und nicht über zehn Ecken, sondern direkt, das ist ein Privileg, das sich die Männer für sich zugesprochen haben. Es erfordert nämlich das Subjekt. Diese Art zuzufassen verletzt also Tabus, genauso wie das Lachen. Frauen, denen das Lachen im Ernst nicht vergangen ist - das können viele Männer ganz schlecht vertragen. Weil in solchem Gelächter eine gewisse Souveränität durchklingt.

Gelacht wird jetzt in der DDR ja nun auch wieder öffentlich. 
Ja, dass ich das noch erlebe, dass plötzlich der Witz ausbricht! Wo ich gedacht hatte, die Leute sind sprachlos geworden. Ich dachte, der Schimmel des Parteichinesisch, der ja schon im Kindergarten und in der Schule wuchert, hätte die Leute zugewachsen. Auch deshalb fühlte ich mich in zunehmendem Maß in meinem Landfremder, elend. Während ich in anderen deutschsprachigen Ländern mit großen Sälen Popanze verlacht habe, war mir das in der DDR viel schwerer möglich, sogar im kleinen Kreise. Die Leute, Frauen und Männer, wurden immer verschlossener.

Und jetzt hören die gar nicht mehr auf zu reden und sind auch ziemlich komisch. Wo hat das denn überwintert? 
Innen: hinter Verschluss. Ich finde es großartig und eine wunderbare Überraschung, dass der Witz, die Vitalität der Sprache, überwintert hat, jenseits der Sprachregelungen...

Solidarität stärkt und hat enorm mit Lebens-qualität zu tun.

Geredet wurde in der DDR vor allem nicht über die Kluft zwischen der Realität - 91,9 Prozent der Frauen sind berufstätig! - und der Ideologie, der sogenannten "Mutti-Politik"!
Gleiche Rechte und doppelte Pflichten. Da kann man die gleichen Rechte nicht in Anspruch nehmen. Immerhin: Die DDR-Frauen haben spezielle Rechte, die BRD-Frauen nicht haben. Wenn diese stalinistische Ideologie, von der du sprichst, nicht mehr das Bewusstsein der Frauen behindert und die BRD uns jetzt nicht wirtschaftlich vereinnahmt, dann könnte das Bewusstsein, dass zwei Drittel der in diesem Land anfallenden Arbeiten von Frauen verrichtet werden - die DDR ist ja eigentlich ein Frauenstaat, real! - dann könnte dieses Sein der DDR-Frauen bald auch ihr Bewusstsein bestimmen. Könnte... Ich weiß, das ist schwärmerisch gedacht. Aber in einem so herabgewirtschafteten Land, das den Ansturm des Kapitals erwarten muss... Oh Elend! Und trotzdem, vielleicht gerade deshalb denk' ich: Jetzt oder nie! Die Frauen sind die Hälfte des Volkes! Sie brauchen Räume, die ermöglichen, dass Frauen sich treffen, sich über ihre Lage, ihre Wünsche und ihre Forderungen aussprechen können. Nur so kann sich Solidarität unter Frauen entwickeln, die bewirkt, sicherer und schöner der Welt zu stehen. Ich selbst habe das erlebt, mit großem Staunen sogar, wie Solidarität unter Frauen mir geholfen hat, meine Krankheit zu bewältigen und mich in ganz schwierigen Lagen ermutigt hat. Das Erlebnis der Solidarität ist nämlich nicht nur etwas, woran eigentlich jeder Mensch ein Recht hat, sondern es stärkt und erhebt auch und hat enorm mit Lebensqualität zu tun.

Die Mehrheit der Frauen in der DDR - und nicht nur sie - teilen diesen Anspruch auf Solidarität zwischen Frauen, glaube ich, noch nicht. Sie scheinen noch stark auf Männer fixiert und erwarten wenig von anderen Frauen. 
Der Postfeminismus der im Westen gepredigt wird, ist natürlich auch hier - schon weil er dort "in" ist - längst angekommen. Mitsamt dem "neuen Mann" und der dazu passenden Frau, die in Stöckelschuhen neben ihm her stochert. Und das Wort "Emanze" ist hier auch nach wie vor ein Schimpfwort.

Der Zeitgeist wütet also auch bei euch...
Irmtraud: Es gab schon vor zwei, drei Jahren so halbseidene Diskussionen in Zeitschriften oder auch in der Berliner Zeitung. Da ließ man wieder richtig die Männer sich ausbreiten über alles, was sie an Bequemlichkeiten so wünschen. Und dass sie eine Frau, die ihnen über ist, nicht sexy finden. Solche Publikationen machen natürlich viel aus.

Das Wort "Emanze" ist nach wie vor ein Schimpfwort.

In Sachen Antifeminismus verstand sich das internationale Patriarchat eben immer schon blendend... 
...und seine Dienerinnen. Für die DFD (der offizielle Frauenbund, Anm. d. Red.) zum Beispiel war ich nie was anderes als eine Unperson.

Also, ihr habt offiziell die Stufe des wirklichen Feminismus übersprungen und seid direkt beim sogenannten Postfeminismus gelandet? 
Ja, reichlich. Und Mode hat ja bekanntlich nicht nur eine Wirkung nach außen, sondern auch nach innen. Mit einem Rock, der knapp über den Hintern reicht, schmeißt sich eine Frau eben auf den Markt und darf sich nicht wundern, wenn sie entsprechend behandelt wird.

Ist bei euch etwa auch die Pornographisierung der Mode schon angekommen? 
Nicht nur der Mode. Also, mal geantwortet mit einem Henkel: Die erste Sitzung der Sektion "Dichtung und Sprachpflege" in der Akademie der Künste, zu der ich, nachdem ich 1986 als Mitlied gewählt worden war, kam, war zum Thema "Pornographie im Sozialismus". Die sich als avantgardistisch verstehenden Herren gingen davon aus, dass Vorreiter der Kultur auch für Pornographie endlich eine Lanze brechen müssen. Anlas war, dass unser Staat für harte Devisen Pornographie druckt, aber nur für den Export. Die Recken von der Akademie wünschten nur, dass wir davon auch im Inland haben sollten.

Keine Zensur, lautete vermutlich das Stichwort... 
Genau. Ich fühlte mich wie in einem Biertischgespräch. Dabei war mir klar, dass Vater Staat antisemitische Schriften auch nicht für harte Devisen drucken würde und auch keinen Rassismus. Aber diese Spielart von Sexismus, die natürlich mit Gewalt zu tun hat, die druckt er! Kein Antisemitismus, kein Rassismus, aber Sexismus. Eine Gewaltform gegen die Hälfte der Bevölkerung, die das tradierte Gefälle zwischen den beiden Hälften zementiert. Denn wenn so ein Junge mit Pornographie heranwächst - die sexuell anmacht, eine Frau von oben herab zu nehmen - dann prägt ihn das, und erkann nicht wieder weg davon. Da braucht man sich dann nicht zu wundern, dass die meisten Männer nicht mögen, wenn ihre Partnerinnen im Beruf mehr können. So geprägt kann Frauenüberlegenheit Männer impotent machen. Auf diese Weise kann man die Emanzipation ziemlich nieder machen. Denn diese Weise bedeutet, dass Frauen, die etwas können und sich einen männlichen Partner wünschen, fürchten müssen, keinen zu finden. Eine Art Erpressung! Diese Pornographie zerstört vitale Strukturen der Frauen. Sie schafft weibliche Vorbilder, die sich dem männlichen Partner gegenüber inferior verhalten. Gegen solche prägenden Vorbilder anzureden - selbst mit den besten Argumenten - richtet nur wenig aus. Weil die Prägung auf der vitalsten Ebene festgemacht ist. Der pornographisierte Mann wird zu einer nicht inferior aussehenden Frau sagen: Ich kann einfach nicht. Das ist psychologisch feldherrnmäßig angekocht. Die Sache ist überhaupt nicht zu überschätzen!

Und wie weit ist das in der DDR? 
Das kommt bei offenen Grenzen jetzt erst richtig mit Wucht auf uns zu, ist aber schon verbreitet. Zum Beispiel choreographisch mit Tänzerinnen bei uns im Fernsehen, die sich da herumwerfen müssen auf der Bühne. Pornographie möchte ich dieses Mimen von Wegwerffrauen nicht direkt nennen. Aber Zerstreuung um jeden Preis, und zwar auf Kosten von Frauen - stalinistische UFA.

Du hast ja mitgekriegt, dass die lautesten Porno-Befürworter in der BRD aus der fortschrittlichen Kultur und der sogenannten Szene kommen. Und dass darunter auch einige Frauen sind. 
Das ist eine Form, sich anzuwanzen. Ich weiß, es gibt Frauen, die befinden - natürlich laut - Pornographie sei eine Lebensqualität, die die Frauen sich erkämpfen müssten. Ja, die springen eben so auf den neuen Zug auf.

Seit wann siehst du selbst die Gefahren der Pornographie? 
Ich erinnere mich, wie ich Mitte der 70er Jahre zum ersten Mal in einem pornographischen Film war, in "Emanuelle", ganz ahnungslos. Mir war gesagt worden, es handle sich um einen Softporno. Und da ich selbstverständlich ein erotisch interessierter Mensch bin, dachte ich, das müsste mich sehr interessieren. Ich bin da mitgroßen Erwartungen und positivem Vorurteil reingegangen. Und ich war da zusammen mit Männern drin, die Marxisten waren und außerordentlich linientreu. Danach hätte ich sie alle zusammenschießen können. Sie amüsierten sich nämlich glänzend. Und ich dachte, mit diesen Leuten bist du in einer Partei? Furchtbar!

Was war denn so furchtbar? 
Also, die amüsierten sich über eine Frau, die richtig generalstabsmäßig psychisch abgeschlachtet wurde. Das ist nicht weniger schlimm, als jemanden physisch abzuschlachten. Und dabei amüsierten sich diese Kerle. Und ich war danach tagelang erotisch tot. Absolut unansprechbar.

Es gibt sicher im Kulturbetrieb etliche, die überrascht sein werden, das aus deinem Mund zu hören. Du giltst ja als eine der wenigen "erotischen Schriftstellerinnen". 
In der Sowjetunion zum Beispiel ist kein einziges Buch von mir erschienen, ein paar Erzählungen wurden übersetzt, aber kein Buch. Grund: Pornographie.

Pornographie hat überhaupt nichts mit Erotik zu tun.

Also, was ist Erotik für Irmtraud Morgner, und was Pornographie? 
Was für mich Erotik ist, das kann man in meinen Büchern lesen. Natürlich nicht nur in Beschreibungen von Liebesszenen; wahrscheinlich in allen Beschreibungen mehr oder weniger. Und Pornographie (übrigens auch bei mir nachzulesen): also Pornographie hat etwas mit Macht zu tun. Es ist ja klar, dass Männer Probleme haben, mit ihrer Geschlechter rolle klarzukommen, die sie verpflichtet, überlegen zu sein. So eine Pflicht überfordert jeden Menschen. Und ein Mann, der diese seine Pflicht nicht schafft, ist schwer frustriert und versucht, sein Versagen irgendwie zu kompensieren. Also zum Beispiel sexuell. Und die einfachste Art, sich überlegen fühlen zu können, ist, den anderen zu erniedrigen. Pornographie hat also überhaupt nichts mit Erotik zu tun, sie hat etwas mit Macht zu tun.

Du hast eben die Frauen erwähnt, die da mitmachen. Das ist ja heutzutage generell ein ziemlich schmerzliches Kapitel, dass Männer Frauen nicht nur angreifen, sondern sie auch gegeneinander ausspielen, aufeinander hetzen. Sie sorgen gezielt dafür, dass Frauen Frauen fertig machen. Wie schätzt du die Entwicklung der Frauensolidarität in den letzten zehn Jahren ein? 
Ich würde sagen rückläufig. Das war zu erwarten. Wenn uns der kalte Wind ins Gesicht bläst, hält sich die Solidarität nur bei den Frauen, die das sowohl durchdacht als auch durchfühlt haben, die nicht einfach nur eine Mode mitgemacht haben. Solidarität ist nichts Oberflächliches. Sie hat etwas mit Würde, mit Ehre, mit Selbstwertgefühl zu tun. Eine Frau , die zu einer anderen solidarisch ist, hat keinen Selbsthass als Frau. Eine Frau, die solidarisch ist, hat einen Eigenwert und definiert sich nicht ausschließlich dadurch, wie Männer sie finden.

Nun gibt es bei uns zur Zeit eine zermürbende Verfälschung aller Kriterien. Einerseits ist da die Behinderung einer wirklichen Solidarität unter Frauen; andererseits die Behauptung, Solidarität bedeute das Akzeptieren von allem, was von Frauen kommt. Man verhindert also im Namen der angeblichen "Frauensolidarität" die kritische Auseinandersetzung unter Frauen und speziell auch die mit sexistischen Frauen. Frauen müssten politisch ein eigenständiger Faktor werden. Aber genau das ist Frauen in der Auseinandersetzung mit Macht bisher nichtgelungen. Auch müssten Frauen, die die herrschende Moral in Frage gestellt haben, eine neue Moral entwickeln. Aber dazu brauchen wir auch Selbstkritik. 
Ja. Und für radikale Selbstkritik brauchen Frauen zunächst erst mal geschlossene Räume, damit ihnen nicht nach jedem scharfen Wort gleich Hohngelächter von patriarchalischen Männern und Frauen in die Ohren gellen. Also Frauen brauchen Räume, wo sie sich treffen können! Möglichkeiten des geselligen und gleichzeitig geistigen Austauschs. Unsere Kneipen sind doch tatsächlich Männerkneipen. Eine Frau allein in einer Männerkneipe ist verdächtig - verdächtig, dass sie vorgibt zu essen, aber sich tatsächlich jemanden fischen will. Also her müssen Orte, wo sich Frauen nach der Arbeit treffen können. Wo sie hingehen können, auch wenn sie abgearbeitet sind, wo sie nicht glänzen müssen, sich nicht in Schale schmeißen müssen. Wo man sich unterhält, oder zuhört oder was isst... Sobald sich das Selbstwertgefühl der Frauen dann etwas gefestigt hat, muss das heikle Thema natürlich an die Öffentlichkeit. Dabei wird auch Standvermögen trainiert. Ohne selbstkritische Einschätzung kann sich Selbstwertgefühl nicht entwickeln. Und zu dieser Entwicklung braucht's auch Selbstironie in Bezug auf diese finsteren Seite die ein so lange unterdrücktes Geschlecht wie die Frauen natürlich einfach haben muss...

Die Sklavenseele der Frauen... 
Ja, ja. Das Patriarchat hat sicher den Mann verkrüppelt, aber die Frau hat es noch mehr verkrüppelt. Ich würde sagen, sie ist noch kaputter. Deshalb brauchen wir den scharfen Blick auf die eigenen Miesigkeiten - die erklärbar sind, aber bitter. Wo wir diesen Blick nicht haben, entsteht leicht so was Wolkiges wie "Frauen sind irgendwie anders" oder "Frau sind irgendwie besser" etc. Kommt kalter Wind auf, dann platzen natürlich solche Wolkengebilde. Nur in scharfer Selbstbeobachtung können sich Persönlichkeiten entwickeln. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für so eine Entwicklung sind in einer Wortmeldung von Frauenforschrinnen zusammengefasst, die am 14. Dezember im "Neuen Deutschland" abgedruckt wurde und die meine ungeteilte Zustimmung hat.

Das Gespräch führte Alice Schwarzer.

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Alice Schwarzer schreibt

Irmtraud Morgner: Die Trobadora

© Bettina Flitner
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Das Peinliche an der Emanzipation ist das Kleinliche, ist der Kampf um dreckiges Geschirr und stinkende Windeln. Es gab eine Zeit, und die ist noch gar nicht so lange her, da waren die Frauen so stark, daß sie selbst vor der Benennung dieses Peinlichsten nicht zurückschreckten - aber gleichzeitig nach den Sternen griffen. Dieser triumphale Aufbruch der Frauen streifte Anfang der 70er Jahre auch Irmtraud Morgner, die Sächsin in Ostberlin. Resultat: 1974 erschien ihr "Roman in dreizehn Büchern und sieben Intermezzos" mit dem vielversprechenden Titel: "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz de Dia nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura". Die provenzalische Liebessängerin aus dem Mittelalter erwacht nach 800-jährigem Schlaf und begegnet Triebwagenfahrerin Laura in Ost-Berlin. Acht Jahre später folgte "Amanda. Ein Hexenroman." Diese Hexen sind Ketzer, die "das Mögliche von Übermorgen denken".

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Die Dichterin aus der DDR, wurde zur Trobadora des Aufbruchs

Mit den beiden Büchern schwingt Morgner sich im geteilten Deutschland im Flug an die Spitze eines neuen Dichtens und Denkens. Sie, die Dichterin aus der DDR, wurde zur Trobadora des Aufbruchs. Einkaufsnetz und Windeln in der einen, griff Morgner mit der anderen Hand nach den Sternen und verkündete stolz: "Mein Antrieb wäre nicht, Kunst zu machen; mein Antrieb wäre, Welt zu machen. Natürlich mit der größtmöglichen Wucht an Worten."

"Welt" machte Morgner in der Tat in den 70er Jahren. In diesen Jahren, in denen die rebellisch werdenden Frauen nach Vorbildern suchten und die herrschenden Männer in Ost wie West unruhig wurden. Doch in den 80ern sank Morgner entmutigt, doppelt entmutigt, zurück. 1990 starb sie im Alter von 56 Jahren an einem zu spät diagnostizierten und in Ostberlin falsch behandelten Darmkrebs einen viel zu frühen, medizinisch vermeidbaren Tod.

Der Schweizer Schriftsteller Rudolf Bussmann, Morgners letzter Liebesgefährte, hat jetzt den Nachlass in 239 Mappen und auf 13.000 Manuskriptblättern gesichtet; Stoff im Übermaß für eine zweite Hälfte des Lebenswerkes der Dichterin, jetzt nur noch literarische Abbruchhalde. Bussmann filterte aus der Hinterlassenschaft kenntnisreich und akribisch 300 Seiten heraus: Teile aus ihrer schon vor dem Tod aufgegebenen dritten Folge der Trilogie, bereits in Zeitschriften Veröffentlichtes und Fundsachen aus Morgners von ihr so genannten "Kopfkissenbüchern". Vor uns entfaltet sich die klarsichtige, aber zunehmend von Verzweiflung umnebelte, visionäre Welt einer Schriftstellerin, die um das ganz Kleine wusste und das ganz Große wollte.

"Mein zentrales Thema ist der Eintritt der Frauen in die Historie", hatte Morgner erklärt, und tat die ersten Schritte; große Schritte, denn sie kam von sehr weit her. Ihre überraschendsten Waffen waren die erotische Offensive und die ironische Umkehrung. In ihrem "heroischen Testament", das leider keines ist - also nicht am Ende eines erfüllten Lebens steht, sondern einfach liegengeblieben ist in ihrer Schreibwerkstatt - begegnen wir noch einmal dem Reigen ihrer so phantastischen und so irdischen Gestalten, von der mittelalterlichen Trobadora bis zur Triebwagenfahrerin Laura, vom schönen Liebhaber bis zum Oberteufel Kolbuk.

Es kommt dem Nachlassbewahrer entgegen, dass Morgners Methode schon zu Lebzeiten die Montage-Technik war: das Zusammensetzen kleiner Szenen zum großen Szenario. Ihr kam es darauf an, erläuterte 1975 der Literaturwissenschaftler Gerhard Wolf (und Mann von Christa) in seiner Laudatio anlässlich des Heinrich-Mann-Preises, "die neuerworbene Methode, einander ausschließender Elemente, Historisches und Aktuelles, Abenteuerliches und Faktisches, für Autor und Leser gleichermaßen wie im Fluge offen zu halten".

Es kam ihr auch darauf an, das Leben der alleinerziehenden Mutter (eines Sohnes) mit dem der alleinschreibenden Dichterin auf einen Nenner zu bringen. Die 1933 geborene Tochter eines Chemnitzer Lokomotivführers und einer Hausfrau, in deren Elternhaus es kein einziges Buch gab, verdankte den Zugang zu Wissen und Bildung vor allem den in die DDR (zurück)gegangenen Emigranten - und sah ab Ende der 70er ihren sozialistischen Traum zerbrechen. Die gelernte Journalistin und gewordene Dichterin verdankt den Zugang zu ihren Wurzeln als Frau vor allem den Anfängen der Frauenbewegung - und sah ab Anfang der 80er auch ihren feministischen Traum zerbröckeln.

Seit dem Jahre 1975 - nach Erscheinen ihrer "Beatriz" und meines '"Kleinen Unterschieds" - waren wir bis zu ihrem Tod Freundinnen. Und so erlebte sie, mit wachsendem Grauen, den prompt und schon Mitte der 70er einsetzenden Rückschlag gegen die Emanzipation, bei dem sich von Anfang an Frauen gegen Frauen willig einsetzen ließen, auch im Westen ganz aus der Nähe. Morgners sarkastische Antwort auf Verrat unter Frauen sind die "Dunkelweiberbriefe", die ein Teil der dritten Folge der Trilogie werden sollten.

In ihrer Geschichte "Die Puppe" (nächste Seite) - von einer wohlwollenden Rezensentin bezeichnenderweise für Privatsache und zu "autobiografisch" gehalten ("Was gehen mich Morgners Eltern an?") - kulminieren beide Aspekte: die Klassenherkunft und die Geschlechterzugehörigkeit. Ihre doppelte Identitätslosigkeit, als Arbeiterkind und als Frau, wird Morgner immer bewusster und legt sich bleischwer auf die Flügel der Dichterin.

Das höchste meiner Werke ist der Mut 

Diese Eltern, die nie eine Zeile von dem "Krempel" ihrer Tochter gelesen haben; diese Mutter, die sich dem dumpf autoritären Vater in Selbsthass (und damit auch Tochterhass) unterwirft und auch noch dazu beiträgt, ihre eigenen Spuren ganz auszulöschen (die Puppe). Gegen Ende ihres Lebens wird Irmtraud Morgner erkennen: "Meine Mutter hat immer meine Werke zerstört. Das höchste meiner Werke ist der Mut trotz alledem."

Irmtraud Morgner ist als Frau gezweiteilt - und als von der Bildungsklasse Ausgestoßene noch einmal. Irmtraud Morgner ist gevierteilt. Ihr Leben lang hat sie gegen diese Teilung angelebt und angeschrieben. Ihre Utopie war der ungeteilte Mensch. Doch irgendwann musste Morgner erkennen, dass sie alleine war. "Je besser ich als Dichterin wurde, desto schlechter ging mir's... Eine Frau, die dichtet oder dergleichen, muss mit gnadenloser Einsamkeit rechnen."

Es machte ihr Leben eher schwerer als leichter, dass Irmtraud Morgner sich, wie viele Frauen, immer wieder in den Traum von der Liebe flüchtete - und Tendenz hatte, die Männer an ihrer Seite zu idealisieren. Die Desillusionierung ließ nie lange auf sich warten. In einem Fall ging es so weit, dass ihr Gefährte, der Schriftsteller Paul Wiens, sich als Mitarbeiter der anderen Seite, der gehassten Stasi, entpuppte.

Doch von alldem ahnte die Morgner noch nichts beim Aufbruch der frühen 70er Jahre. Ihr erster großer Wurf, der Roman "Trobadora Beatriz", ist zwar durchdrungen vom Wissen um die Realitäten, aber getragen von der Hoffnung auf Veränderungen. Er ist mitreißend heiter und übermütig und wird schnell berühmt in Ost wie West. Auch die Genossen können der Morgner die literarische Anerkennung nicht versagen.

Gleichzeitig aber beginnt der politische Kleinkrieg. Der Alltag der Dichterin Morgner ist in den 80er Jahren überschattet von den Tyranneien der Zensur und der Stasi, gegen die sie sich nicht zuletzt auch deshalb nur schwer wehren kann, weil sie Repressalien für ihr Kind befürchtet. Die Erblindung ihrer Romanfigur Laura im dritten Teil ist keine Fiktion, auch Irmtraud Morgner selbst erblindet phasenweise. Sie kann und will einfach nicht mehr sehen.

Das Erscheinen von "Amanda. Ein Hexenroman" wird lange behindert, und der dann veröffentlichte Text "stinkt nach innerer Zensur" (Morgner). Auch hier ist ihre Heroin zweigeteilt: in die in Ostberlin malochende Laura und die auf dem Brocken hexende Amanda - die sich allerdings selbst als Hexe beim Oberteufel Kolbuk prostituieren muss, sonst ist kein Durchkommen für eine Frau.

Trotz innerer Zensur steht in "Amanda" immer "noch zuviel drin. Fürn Teufel zuviel, fürn Menschen zuwenig" (Morgner). "Amanda" ist dennoch DER Roman über die Stasi - und hätte eigentlich spätestens Anfang der 90er endlich offen als solcher wahrgenommen werden müssen.

Im Mittelpunkt des jetzt veröffentlichten Romanfragments steht die DDR-Artistin Herta Kowalczik, die sich selbst einen Mann aus der Rippe schneidet. "Wenns keen Mann harn, müssense sich embh een ausn Rippen schneidn", nölt die DDR-Sachbearbeiterin der Kommunalen Wohnungsverwaltung bei Hertas Versuch, alleine eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu kriegen. Dieser göttliche Akt kostet Herta, genannt Hero, allerdings fast das Leben: er passiert bei einem gescheiterten Selbstmordversuch. Und - er wird nie Realität. Der neue Adam namens Leander spiegelt sich nur in den Gerüchten über die dreiste Tat der Kowalczik.

"Mein Antrieb wäre nicht, Kunst zu machen..." Irmtraud Morgners Platz in der Welt war vergänglich - ihr Platz in der Kunst ist unvergänglich.

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