Das Peinliche an der Emanzipation ist das Kleinliche, ist der Kampf um dreckiges Geschirr und stinkende Windeln. Es gab eine Zeit, und die ist noch gar nicht so lange her, da waren die Frauen so stark, dass sie selbst vor der Benennung dieses Peinlichsten nicht zurückschreckten – aber gleichzeitig nach den Sternen griffen.
Dieser triumphale Aufbruch der Frauen streifte Anfang der 70er Jahre auch Irmtraud Morgner, die Sächsin in Ostberlin. Resultat: 1974 erschien ihr „Roman in dreizehn Büchern und sieben Intermezzos“ mit dem viel versprechenden Titel: „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz de Dia nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“. Die provenzalische Liebessängerin aus dem Mittelalter erwacht nach 800-jährigem Schlaf und begegnet Triebwagenfahrerin Laura in Ostberlin. Acht Jahre später folgte „Amanda. Ein Hexenroman“. Mit den beiden Büchern schwingt Morgner sich im geteilten Deutschland an die Spitze eines neuen Dichtens und Denkens. Sie, die Dichterin aus der DDR, wurde zur Trobadora des Aufbruchs. „Mein Antrieb wäre nicht, Kunst zu machen; mein Antrieb wäre, Welt zu machen. Natürlich mit der größtmöglichen Wucht an Worten.“
Welt machen, mit der größtmöglichen Wucht an Worten
„Welt“ machte Morgner in der Tat in den 70er Jahren. In diesen Jahren, in denen die rebellisch werdenden Frauen nach Vorbildern suchten und die herrschenden Männer in Ost wie West unruhig wurden. Doch in den 80ern sank Morgner entmutigt, doppelt entmutigt, zurück. 1990 starb sie im Alter von 56 Jahren an einem zu spät diagnostizierten und in Ostberlin falsch behandelten Darmkrebs einen viel zu frühen, medizinisch vermeidbaren Tod.
„Mein zentrales Thema ist der Eintritt der Frauen in die Historie“, hatte Morgner erklärt, und tat die ersten Schritte; große Schritte, denn sie kam von sehr weit her. Ihre überraschendsten Waffen waren die erotische Offensive und die ironische Umkehrung. In ihrem „heroischen Testament“, das leider keines ist – also nicht am Ende eines erfüllten Lebens steht, sondern einfach liegen geblieben ist in ihrer Schreibwerkstatt – begegnen wir noch einmal dem Reigen ihrer so phantastischen und so irdischen Gestalten, von der mittelalterlichen Trobadora bis zur Triebwagenfahrerin Laura, vom schönen Liebhaber bis zum Oberteufel Kolbuk.
Es kam Morgner darauf an, das Leben der alleinerziehenden Mutter (eines Sohnes) mit dem der alleinschreibenden Dichterin auf einen Nenner zu bringen. Die 1933 geborene Tochter eines Chemnitzer Lokführers und einer Hausfrau, in deren Elternhaus es kein einziges Buch gab, verdankte den Zugang zu Wissen und Bildung vor allem den in die DDR (zurück)gegangenen Emigranten – und sah ab Ende der 70er ihren sozialistischen Traum zerbrechen. Die gelernte Journalistin und gewordene Dichterin verdankt den Zugang zu ihren Wurzeln als Frau vor allem den Anfängen der Frauenbewegung. In ihrer Geschichte „Die Puppe“ kulminiert beides: die Klassenherkunft und die Geschlechterzugehörigkeit. Ihre doppelte Identitätslosigkeit, als Arbeiterkind und als Frau, wird Morgner immer bewusster und legt sich bleischwer auf die Flügel der Dichterin.
Diese Eltern, die nie eine Zeile von dem „Krempel“ ihrer Tochter gelesen haben; diese Mutter, die sich dem dumpf autoritären Vater in Selbsthass (und damit auch Tochterhass) unterwirft und auch noch dazu beiträgt, ihre eigenen Spuren ganz auszulöschen (die Puppe). Gegen Ende ihres Lebens wird Irmtraud Morgner erkennen: „Meine Mutter hat immer meine Werke zerstört. Das höchste meiner Werke ist der Mut trotz alledem.“
Irmtraud Morgner ist als Frau gezweiteilt – und als von der Bildungsklasse Ausgestoßene noch einmal. Irmtraud Morgner ist gevierteilt. Ihr Leben lang hat sie gegen diese Teilung angelebt und angeschrieben. Ihre Utopie war der ungeteilte Mensch. Doch irgendwann musste Morgner erkennen, dass sie alleine war. „Je besser ich als Dichterin wurde, desto schlechter ging mir’s … Eine Frau, die dichtet oder dergleichen, muss mit gnadenloser Einsamkeit rechnen.“
Das höchste meiner Werke ist der Mut trotz alledem
Doch von alledem ahnte die Morgner noch nichts beim Aufbruch der frühen 70er Jahre. Ihr erster großer Wurf, der Roman „Trobadora Beatriz“, ist zwar durchdrungen vom Wissen um die Realitäten, aber getragen von der Hoffnung auf Veränderungen. Er ist mitreißend heiter und übermütig und wird schnell berühmt in Ost wie West. Auch die Genossen können der Morgner die literarische Anerkennung nicht versagen.
Gleichzeitig aber beginnt der politische Kleinkrieg. Der Alltag der Dichterin Morgner ist überschattet von den Tyranneien der Zensur und der Stasi, gegen die sie sich auch deshalb nur schwer wehren kann, weil sie Repressalien für ihr Kind befürchtet. Die Erblindung ihrer Romanfigur Laura im dritten Teil ist keine Fiktion, auch Irmtraud Morgner selbst erblindet phasenweise. Sie kann und will einfach nicht mehr sehen.
Das Erscheinen von „Amanda. Ein Hexenroman“ wird lange behindert und der dann veröffentlichte Text „stinkt nach innerer Zensur“ (Morgner). Auch hier ist ihre Heroin zweigeteilt: in die in Ostberlin malochende Laura und die auf dem Brocken hexende Amanda – die sich allerdings selbst als Hexe beim Oberteufel Kolbuk prostituieren muss, sonst ist kein Durchkommen für eine Frau.
Trotz innerer Zensur steht in „Amanda“ immer „noch zuviel drin. Fürn Teufel zuviel, fürn Menschen zuwenig“ (Morgner). „Amanda“ ist dennoch der Roman über die Stasi – und hätte eigentlich spätestens Anfang der 90er endlich offen als solcher wahrgenommen werden müssen.
„Mein Antrieb wäre nicht, Kunst zu machen …“ Irmtraud Morgners Platz in der Welt war vergänglich – ihr Platz in der Kunst ist unvergänglich.