In der aktuellen EMMA

Isabella Rossellini: Forever young

Isabella Rossellini mit einem ihrer Hühner auf ihrer Farm auf Long Island. - Foto: Ali Smith
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Es war genau eine Woche nach ihrem 40. Geburtstag am 18. Juni 1992, als Pierre Sajot von Paris nach Berlin flog, um Isabella Rossellini eine Mitteilung zu machen: Sie sei jetzt zu alt. Zu alt, um noch länger das Gesicht von Lancôme zu sein, erklärte der Präsident des Kosmetikkonzerns der Frau, die er neun Jahre lang als „schönste Frau der Welt“ verkauft und die ihm zu Rekordumsätzen verholfen hatte. Erst ein Jahr zuvor war die Werbung mit Rossellinis Gesicht für das Parfum „Trésor“ durch die Decke gegangen. Und jetzt, plötzlich: zu alt. 

Isabella Rossellini, die in Berlin gerade mit Anthony Hopkins den Film „… und der Himmel steht still“ dreht, fällt aus allen Wolken. Sie will wissen, was das soll. Sie fragt, ob etwa schrumpfende Verkaufszahlen der Grund für das Ver­tragsende seien. Nein, keineswegs. Aber: „Frauen träumen davon, jung zu sein“, erklärt der Lancôme-Chef. Und in der Werbung gehe es „nun mal um Träume“.

Die – ausschließlich männlich besetzte – Chefetage von Lancôme schlägt einen Deal vor, den sie offenbar für gesichtswahrend hält: Lancôme sei bereit, öffentlich zu verkünden, dass es Rossellinis Entscheidung sei zu gehen, weil sie sich nun ganz der Schauspielerei widmen wolle. Es sei schließlich „nicht gut für eine Frau, zuzugeben, dass sie in die Jahre kommt“. Als ein Manager (und Fan schneller Autos) ihr bei einem letzten gemeinsamen Essen noch einmal den freiwilligen Rückzug nahelegt, wie ein „Weltmeister, der sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms zurückzieht“, sagt sie Nein. „Ich erwiderte, dass ich mir statt des Rennfahrers lieber Frauen wie Jeanne Moreau, Tina Turner oder meine Mutter zum Vorbild nähme, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet hätten.“ 

An diesem Abend ist die Model-Karriere von Isabella Rossellini, dem damals bestbezahlten Model der Welt, beendet. Folge: Es hagelt Beschwerden von Kundinnen. Rossellini: „Es gab einen Backlash, mit dem Lancôme nicht gerechnet hatte. Ich habe vier, fünf Jahre darauf gewartet, dass sie mich zurückholen.“ 23 Jahre später war es soweit. Wie der neue Deal mit Lancôme zustande kam, ist aus feministischer Sicht eine wirklich schöne Geschichte mit einer Superpointe. Aber die kommt später.

Fast genau drei Jahrzehnte nach dem letzten Abendmahl mit Lancôme sitzt Isabella Rossellini am 8. Dezember 2024 bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises im Kongresszentrum Luzern. Sie ist jetzt 72 und es zeigt sich, dass sie absolut ernst gemeint hat, was sie damals den Herren von Lancôme über die Frauen gesagt hatte, die sie sich zum Vorbild nehmen wolle. Gerade hat sie in dem Papstwahl-Drama „Konklave“ die Rolle der Nonne Schwester Agnes so überzeugend gespielt, dass sie dafür sowohl für den Golden Globe als auch für einen Oscar nominiert ist. 

Aber an diesem Abend geht es um mehr als um Schwester Agnes. Isabella Rossellini wird geehrt für die „Beste europäische Leistung im Weltkino“. Die haben vor ihr Filmemacher wie Pedro Almodóvar oder Schauspielerinnen wie Helen Mirren oder Isabelle Huppert bekommen. Das Publikum feiert die Geehrte mit tosendem Applaus und Standing Ovations. Die kann es nicht fassen, lacht und lacht, ruft „Basta, basta!“ und zieht mehrere Zettel aus der Tasche ihrer weißen Smoking-Jacke. „Ich muss meine Rede vorlesen“, sagt sie feixend. „Schließlich geht es hier um meine gesamte ­Karriere, also muss ich weise sein.“  

Und tatsächlich verkündet Isabella Rossellini jetzt eine entscheidende Weisheit über die Frage, wie man so gut gelaunt, so strotzend vor Energie und so gelassen alt werden kann (wenn dieses Adjektiv bei ihr überhaupt passend ist). „Wenn ich den Antrieb, den Motor meines Lebens definieren sollte, würde ich sagen: Es ist Neugier“, erklärt die Geehrte dem Publikum. „Und der Treibstoff für diesen Motor sind Lachen und Spaß.“ Ihre Neugier habe sie „vor der Depression gerettet, als damals die Jobs als Model und Schauspielerin rarer wurden“. 

Nachdem sie 1994 endgültig gefeuert worden war, tat Isabella Rossellini das, für das man heute den etwas nervenden, in diesem Fall aber zutreffenden Ausdruck hat: Sie hat sich „neu erfunden“. Zunächst schreibt die alleinerziehende Mutter zweier Kinder ihre Autobiografie „Some of me“, die 1997 erscheint. Sodann schreibt sie sich an der Uni ein und macht einen Master in Verhaltensbiologie bei Tieren. Für Tiere hatte sich Isabella schon als Jugendliche interessiert. Ihr Vater hatte ihr ein Buch von Konrad Lorenz geschenkt, das für die 14-Jährige „wie eine Erleuchtung“ war. Schon damals dachte sie sehr ernsthaft darüber nach, Biologie zu studieren. Aber das musste man bei diesen Eltern erstmal schaffen. 

Isabella Rossellini ist die Tochter des großen, sozialkritischen italienischen Filmemachers Roberto Rossellini und der großen, frühemanzipierten schwedischen Schauspielerin Ingrid Bergman. Mutter Ingrid, die das Talent ihrer Tochter erkannte, drängte Isabella, es wie sie beim Film zu versuchen. 1976 stand Isabella zum ersten Mal vor der Kamera, sie spielte an der Seite ihrer Mutter und mit Liza Minelli in „A Matter of Time“ eine Nonne. Ingrid Bergman hatte sich die Figur ausgedacht, um Tochter Isabella in den Film zu bugsieren. Regisseur Vincente Minelli, der Vater von Liza, war einverstanden.

Wer verstehen will, woher Isabella Rossellini das Freie, Widerständige und ihren Hang zum Anarchischen hat, und warum sie bekennende Feministin ist, findet die Antwort bei ihren Eltern. Mutter Ingrid hatte 1949 in Hollywood für einen handfesten Skandal gesorgt. Sie war damals mit dem Schweden Petter Lindström verheiratet, mit dem sie eine Tochter hatte. Bei den Dreharbeiten zu „Stromboli“ verliebte sie sich in Regisseur Roberto Rossellini und wurde von ihm schwanger. Das reichte, um Bergman, eine der international erfolgreichsten Schauspielerinnen, aus den USA zu verbannen. Acht Jahre lang darf sie nicht mehr einreisen, auch Tochter Pia darf sie nicht mehr sehen. Noch heute ist Isabella Rossellini empört darüber, wie ihre Mutter damals behandelt wurde. „Auch mein Vater war verheiratet und hatte zwei Kinder. Aber meine Mutter war der Skandal.“ Der US-Senat habe damals erklärt: „Aus der Asche von Ingrid Bergman soll ein neues ­Hollywood entstehen.“ 

Also wachsen Isabella, die 1952 gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Ingrid geboren wird, und ihr älterer Bruder Roberto in Rom auf. Dort herrscht ein gewisses Dauer-Chaos, denn Roberto Rossellini ist zwar einer der bekanntesten Regisseure der Welt, aber als Pionier des Neorealismus auch einer der unkonventionellsten und kompromisslosesten. Produzenten ziehen Gelder auch schon mal wieder zurück, immer wieder räumen Gerichtsvollzieher das Haus leer. Da das dem Vater egal ist, freut sich Vatertochter Isabella, dass sie „so mehr Platz hat, mit ihrem Rad durch die leeren Räume zu fahren“. Das Leben sei immer einfach weitergegangen, „deshalb hat mich die finanzielle Unsicherheit eher stärker gemacht“. 

Und dann ist da ja noch Mutter Ingrid, die auch mit inzwischen vier Kindern weiterhin Filme macht, „weil das eine Berufung ist“, wie sie der Tochter erklärt. Die Schauspielerei sei ihr „das Allerliebste“ gewesen, was Isabella „einige Zeit und Mühe kostete, mich davon nicht kränken zu lassen“. Nachdem sich Ingrid Bergman und Roberto Rossellini 1957 wieder hatten scheiden lassen, heiratet Ingrid ein Jahr später den Schweden Lars Schmidt, der in Paris ein Theater betreibt. Die Kinder bleiben in Rom, wo sie, zusammen mit Haushälterin Argenide und wechselnden Kindermädchen eine „Kinderwohnung“ bewohnen. Mutter Ingrid warf alles nicht Kind­gemäße raus – Antiquitäten, Kristall, Tafelsilber – sodass die Möblierung des Wohnzimmers aus einer Ballettstange, einer Tischtennisplatte und einem Sandsack bestand.

Als Teenager demonstriert Isabella in den Straßen von Rom für das Recht auf Abtreibung und Scheidung und für weibliche Ansprechpartner für Vergewaltigungsopfer bei der Polizei. Mit 19 geht Isabella nach New York, wo im Jahr 1971 ebenfalls die Frauenbewegung tobt. „Feminismus hat mich bestärkt und zu dem gemacht, was ich bin“, erklärt sie rückblickend und ergänzt: „Die Kombination aus Feminismus und meiner Mutter.“

In 58 Filmen spielt Isabella Rossellini im Laufe ihrer Karriere mit, meist in Nebenrollen. Ausnahme: „Blue Velvet“, wo sie 1986 eine Nachtclubsängerin spielt, deren Mann und Sohn entführt werden, und die von den Entführern missbraucht und misshandelt wird. Genaugenommen ist der Film ein Vertragsbruch mit Lancôme, der seinem Model Nacktaufnahmen verbietet. Aber Rossellini ignoriert das, weil sie den Film wichtig findet. Auch als Madonna anklopft und fragt, ob Rossellini in ihrem Buch „Sex“ dabei sein will, sagt sie Ja, will allerdings diesmal angezogen bleiben. Und so knutscht Isabella Rossellini eben im Herrenanzug mit Madonna, auch in deren legen­därem Video „Erotica“.

Von Regisseur Martin Scorsese ist sie da schon längst wieder geschieden, aus der Ehe mit Model Jonathan Wiedemann stammt Tochter Elettra. Rossellini hat Beziehungen mit „Blue Velvet“-Regisseur David Lynch und dem Schauspieler Gary Oldman, aber ihren Sohn Roberto adoptiert sie ohne Mann. 

Nach ihrem Rausschmiss bei Lancôme besinnt sie sich auf ihre Neugier und auf ihr Interesse an Tieren und der Verhaltensforschung. Als sie ihren Master in der Tasche hat, kombiniert sie ihre Talente: Sie macht Filme über Tierverhalten. Aber nicht irgendwelche. „Green Porno“ heißt die Kurzfilmreihe, die 2008 erscheint. Isabella Ros­sellini schlüpft darin in Tierkostüme aus Pappe und erklärt, wie Schnecken, Hamster oder Delphine sich fortpflanzen. Schließlich entwickelt sie das Konzept weiter zu einer brüllend komischen One-Woman-Theaterperformance, mit der Rossellini, die neben ihrer Muttersprache Italienisch auch akzentfrei Französisch und Englisch spricht, durch die Welt tourt. „Darwins Lächeln“ heißt ihr aktuelles Programm, in dem es um die Frage geht, wie Tiere Gefühle ausdrücken und wie sie darin den Menschen ähneln – oder manchmal eben auch nicht.

Isabella Rossellini weiß, wovon sie spricht, denn sie hat nicht nur Verhaltensbiologie studiert, sondern 2013 auch eine Farm auf Long Island gekauft, auf der sie Schafe, Hühner und Bienen hält. Auf dem Land, das sie „Mama Farm“ nennt, züchtet sie alte, vom Aussterben bedrohte Rassen, sie kooperiert mit Design-StudentInnen, die Mützen, Westen und Decken aus ihrer Schafwolle entwerfen. Sie bildet Begleithunde aus. In ihrem Buch „Meine Hühner und ich“, das 2017 erschien, beschreibt sie mit dem ihr eigenen skurrilen Humor das Abenteuer der Hühnerzucht mit Hühnerpersönlichkeiten, denen sie Namen gibt wie Andy Warhol (wegen der weißen Federhaube) oder Amelia Earhart (wegen der mutigen Flugversuche). Und irgendwie führt die Sache mit den Tieren und den Filmen zu immer neuen Projek­ten, zumal sich Isabellas Spiel- und Expe­rimentierfreunde herumgesprochen hat. 

Isabella Rossellini fordert, was den Blick aufs Älterwerden anbelangt, einen Paradigmenwechsel: „Alle sprechen über Falten. Aber lasst uns doch über die Freiheit sprechen, die mit dem Alter kommt!“ Wenn man jung sei, gebe es so viele Erwartungen, die man erfüllen müsse, gerade als Frau. Jetzt empfinde sie endlich „eine große Gelassenheit“. 

Apropos Falten: Isabella Rossellini hat sich nie operieren lassen. Darüber nachgedacht hat sie allerdings schon. „Manchmal dachte ich: Es ist einfach eine neue Technologie, es ist Fortschritt. Ich sollte davon profitieren.“ Aber da war „der Feminismus. Am nächsten Tag dachte ich: Nein, das ist ja wie das chinesische Füßebinden. Ich mache keine Schönheits-OP!“ 

Dabei ist es geblieben. 

Und hier nun an der genau passenden Stelle die angekündigte Schlusspointe: 23 Jahre nach dem Rausschmiss bekommt Isabella Rossellini einen Anruf aus Paris. Lancôme will sie zurück. Sie  ist inzwischen 65. „Nehmen Sie Meryl Streep oder Helen Mirren“, sagt sie. „Wenn ich zurückkomme, wird es eine Kontroverse geben, und ich weiß, davor haben Sie Angst.“ Nein, die habe man nicht, und man wolle genau sie, heißt es am anderen Ende der Leitung. Rossellini bittet darum, nach Paris zu kommen und die Sache zu besprechen. Sie fragt sich immer noch, wie es zu dem erstaunlichen Sinneswandel kommen konnte. 

In Paris wartet Rossellini im Restaurant. „Und dann sehe ich draußen ein Motorrad ankommen. Eine Frau in Lederhose und Lederjacke steigt ab, zieht den Helm vom Kopf und schüttelt ihre langen blonden Jahre. Sie kommt ins Restaurant, stapft bum-bum-bum zu meinem Tisch, streckt mir die Hand entgegen und sagt: Hi, ich bin der neue CEO von Lancôme!“ Seit sieben Jahren modelt die einst wg. Alter geschasste Isabella Rossellini jetzt wieder für Lancôme, in der aktuellen Kampagne generationenübergreifend mit den Schauspielerinnen Amanda Seyfried, 40, und Joy Sunday, 28. Ein Ende ist nicht in Sicht.   

 

 

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