Alice Schwarzer schreibt

Das Ende des Kopftuchstreites?

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Ist das das Ende des deutschen, ja europäischen Streites um die Frage, ob Musliminnen – oder zum muslimischen Glauben Konvertierte – das islamische Kopftuch im Dienst und an den Schulen tragen dürfen? Es scheint im Sommer 2004 zumindest eine neue Nachdenklichkeit eingetreten zu sein, auch an den Obersten Gerichten. Das Verbot des Kopftuches sei kein Verstoß gegen Glaubensfreiheit oder Selbstverwirklichung, sondern schlicht „unausweichlich in einer demokratischen Gesellschaft“ erklärte am 29. Juni 2004 der Menschengerichtshof in Straßburg.

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Leyla Sahin und Zeynep Tekin, zwei seit Jahren für das Kopftuch kämpfende türkische Medizinstudentinnen im Alter von 29 und 31 Jahren (von denen eine übrigens gar nicht in der Türkei, sondern in Wien lebt) hatten bei dem EU-Gericht Klage gegen den türkischen Staat eingereicht: Die Universität von Istanbul hatte ihnen das Tragen des „islamischen Kopftuches“ verboten – also des festgezurrten Tuches, das jedes Härchen sorgfältig verdeckt, ganz wie der Tschador oder die Burka.

Der Streit tobt seit Jahren in der seit Atatürk strikt laizistischen Türkei, die sich in einer extremen Zerreißprobe befindet. Einerseits war der aktuelle Ministerpräsident Erdogan ein enger Gefährte des Fundamentalisten-Führers Erbakan (und trägt Erdogans Ehefrau nicht zufällig Kopftuch); andererseits garantiert vor allem das laizistische Militär, dass die Türkei nicht in den Gottesstaat kippt.

All das weiß der Europäische Gerichtshof. Er hob darum den Laizismus der Türkei als „Garant für die demokratischen Werte“ hervor, vor allem für „die Gleichheit der Geschlechter“. Die Richter wiesen auf die Gefahr hin, dass „extremistische politische Bewegungen versuchen, der gesamten türkischen Gesellschaft ihre religiösen Symbole und ihre Vorstellungen einer auf religiösen Regeln basierenden Gesellschaft aufzudrücken“. Auch würdigte Straßburg, dass die Uni von Istanbul nichts unversucht gelassen habe, um mit den „religiösen Studentinnen“ im Dialog zu bleiben und sie zu integrieren.

Eine Woche zuvor hatte ein oberstes deutsches Gericht ganz ähnlich, wenn auch nicht in der Schärfe geurteilt. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wies die Klage der Lehrerin Fereshta Ludin (Foto) gegen das Land Baden-Württemberg zurück.

Ludin, eine eingebürgerte Afghanin, die zur Zeit eine Stelle an dem „Berliner Islam Kolleg“ hat – das von der vom Verfassungsschutz als „potenziell verfassungsfeindlich“ eingestuften Milli Görüs organisiert wird –, zieht seit sieben Jahren durch alle Instanzen, unterstützt von Milli Görüs und dem „Zentralrat der Muslime in Deutschland“. Ihr Versuch, sich in Baden-Württemberg mit Kopftuch in den Schuldienst einzuklagen, hatte letztendlich das erste Ländergesetz vom 1. April dieses Jahres gegen das Kopftuch überhaupt erst ausgelöst.

Bei seinen KritikerInnen hatte die Stuttgarter Lex Kopftuch – verabschiedet von CDU, SPD und FDP, nur die Grünen waren dagegen – zunächst als juristisch fragwürdig gegolten. Denn es verbietet nicht – wie in Berlin – „alle sicht- baren religiösen Symbole“, sondern „politische, religiöse und weltanschauliche Bekundungen“. Es zielt damit also nicht auf religiöse, sondern auf politische Überzeugungen bzw. Demonstrationen.

Doch die obersten Richter bekräftigten das baden-württembergische Gesetz ebenso wie das zweite, ähnlich lautende in Niedersachsen. Dort hatte die deutsche Konvertitin Iyman Alzayed geklagt. Die kündigte noch im Gerichtssaal an, dass sie bereit sei, in Zukunft ohne Kopftuch zu unterrichten.

Die Kopftuchlinie verläuft, bis auf die Ausnahme Berlin, zwischen Schwarz und Rotgrün sowie West und Ost. Auch das schwarz regierte Saarland hat schon ein Kopftuchverbot, Bayern und Rheinland-Pfalz planen es und das schwarz-rote Bremen ebenfalls. „Noch unentschlossen“ ist das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen, in dem die meisten Kopftuch-Lehrerinnen agieren, darunter sogar zwei, die offen für die Scharia plädieren (EMMA 2/04), sowie Schleswig-Holstein. In Hamburg und allen Ost-Ländern sieht man zur Zeit „noch keinen Handlungsbedarf“.

Im Herbst 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht sich anlässlich der Klage von Fereshta Ludin halbherzig um eine Entscheidung gedrückt und diese an die Bundesländer zurückgewiesen. Die handeln jetzt – oder warten noch ab. Nicht auszuschließen, dass die prozessfreudige Fereshta Ludin, der zu allem Überfluss auch noch von der GEW und ihrer Vorsitzenden Stange die Stange gehalten wird, ein zweites Mal nach Karlsruhe geht. Der Rechtsstaat macht’s möglich.

Doch scheinen auch die Verfassungsrichter inzwischen mehrheitlich zu einem Kopftuchverbot zu neigen. Typisch für ihre Argumentation ist der Kommentar des Verfassungsrechtlers Prof. Isensee, für den ein „Amt Dienst ist, nicht Selbstverwirklichung“. Er schrieb in der FAZ: „Ein Staat, der sich aus falsch verstandener Grundrechtsliberalität weigert, seinen Lehrern die notwendige Anpassung an Erfordernisse der öffentlichen Schule zuzumuten, gerät in Widerspruch zu den Grundrechten der Schüler und der Eltern, denen er zumutet, den pädagogischen Einfluss der Lehrer, den sie sich nicht aussuchen können, zu ertragen.“

In der Tat haben sich vor den Ferien in Braunschweig muslimische Eltern über eine muslimische Lehrerin beschwert, die Kopftuch trägt. Sie lehnen das Kopftuch als „unaufgeklärt“ ab. Gleichzeitig ist der Anteil der TürkInnen in Deutschland, die sich als „sehr religiös“ bezeichnen, innerhalb der letzten drei Jahre auf mehr als das Doppelte geschnellt: von acht auf 20 Prozent. Auch in Deutschland steigt die Spannung.

In EMMA zuletzt zum Thema: Mai/Juni 2004 + März/April 2004 und Juli/August 2003. Und das Buch: „Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“, herausgegeben von Alice Schwarzer (KiWi).

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