Ist etwa der Bauch noch da?
Als sich Kate und Prinz William nach der Entbindung der Presse präsentierten, skandierten die Boulevard-Blätter „Der Bauch ist noch da!“ Ein People-Magazin veröffentlichte am Tag der Geburt von George einen selbsterdachten Diätplan für die Herzogin. Ihr Personal Trainer wurde mit den Worten zitiert: „Sie ist superfit, ihr Bauch wird sich wieder komplett zurückentwickeln!“ Nach vier Wochen war er dann auch weg. Genauso wie der von Heidi Klum, Michelle Hunziker, Pink, Jessica Simpson, Shakira oder Jessica Alba. Übrigens: Mütter, die ihre Kinder ein paar Wochen vor dem eigentlichen Termin per Kaiserschnitt holen lassen, sind nach der Geburt schneller wieder schlank. Die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft verläuft exponentiell. Wer sich also die letzten fünf Wochen spart, spart einige Kilos gleich mit – und versagt seinem Kind wichtige Entwicklungsschritte. Den Rest erledigt die Schönheitschirurgie oder gern auch ein Millionendeal mit Weight Watchers.
Extrem gefährdet sind Mütter, die bereits mager-
süchtig waren
Nun gut, Promis leben in ihrer eigenen Welt, und die hat ihre eigenen Regeln. Doch leider auch Strahlkraft. Normale schwangere Frauen geraten zunehmend unter Druck. Nicht nur schlank, sondern dünn zu sein, das wird gesellschaftlich belohnt. Und zwar vor allem von anderen Frauen. Während sich Männer oft zurückhalten, sind es die Mitschwangeren, die Mütter, Großmütter, Tanten, Freundinnen, Kolleginnen, Nachbarinnen, die den flachen Bauch loben oder bedenklich mit den Augen rollen, wenn eine Schwangere „aus dem Leim geht“. Dazu kommen FrauenärztInnen, die Alarm schlagen, sobald eine Frau zunimmt.
„Während einer Voruntersuchung schaute mir meine Frauenärztin Besorgnis erregend in die Augen. Ich dachte, mit dem Kind stimmt was nicht, hatte schon Herzrasen“, erzählt Katrin Lange aus Leipzig. „Frau Lange, Sie haben zwei Kilo zu viel zugenommen“, sagte sie mir. „Da bin ich ausgerastet. Wenn mein Kind in Gefahr ist, können Sie mich so anschauen, habe ich gesagt, aber nicht wegen zwei lächerlicher Kilos! Ich habe mir eine andere Frauenärztin gesucht. Ja, wo leben wir denn?!“
Anscheinend in einer Welt, in der ein perverser Schlankheitswahn auch die Schwangeren und ihre ungeborenen Kinder erreicht hat. „Der Wunsch, während der Schwangerschaft nicht zu dick zu werden und nach einem Kind schnell wieder sein Idealgewicht zu erreichen, ist enorm angestiegen“, berichtet Hebamme Sarah Wiedemann. „Rückbildungskurse werden gebucht, bevor das Kind auf der Welt ist, die alten Jeans als Ansporn ganz nach oben in den Kleiderschrank gelegt. Viele Frauen halten sogar während der Schwangerschaft Diät. Für sie selbst und ihre Kinder kann das fatale Folgen haben.“
Dieser Trend zur Schlankheit ist krank - und er macht auch die Kinder krank.
Seit einiger Zeit beobachtet sie in ihrer Praxis besorgt den Trend zur dünnen Mutter. „Ich warne alle Mütter vor diesem Trend. Er ist krank! Und er macht auch die Kinder krank. Erhalten Babys während der Schwangerschaft keine ausgewogene Ernährung, bedeutet das ein erhöhtes Gesundheitsrisiko. Stress und Ernährung hinterlassen Spuren in der Psyche des Kindes. Im Mutterleib entscheidet sich zum Beispiel, wie funktionsfähig das Immunsystem später sein wird. Stresshormone und Belastungen, die bei einer Diät ausgeschüttet werden, können großen Schaden anrichten. Das gilt auch für die Seele! Werdende Mütter stehen eh schon unter Stress, da muss nicht auch noch Stress wegen des Gewichtes hinzukommen.“
Extrem gefährdet sind Mütter, die bereits magersüchtig waren. Sie werden während und nach einer Schwangerschaft oft in die Magersucht zurückgetrieben. Dieses Phänomen ist mittlerweile so weit verbreitet, dass es bereits einen eigenen Namen dafür gibt: Pregorexie. Gebildet aus „pregnant“ und „Anorexie“.
Die Schwangerschaft stand lange nicht im Fokus von PsychologInnen, die sich mit Essstörungen beschäftigen. Dass Schwangere ihrem Nachwuchs absichtlich zu wenig Nährstoffe zuführen, schien zu abwegig. Jüngst aber erschien eine britische Studie vom Institut für Kindergesundheit und der psychiatrischen Abteilung der Universität London, nach der jede 15. Schwangere die Kriterien einer Essstörung erfüllt. Jede zehnte zeigte bereits Verhaltensweisen einer Essstörung: hungerte, hatte Fressattacken, erbrach sich, verwendete Abführmittel oder trieb exzessiv Sport. „Wir haben festgestellt, dass die vielen Unzufriedenheiten der Frauen mit dem öffentlichen Bild der schwangeren Frau zusammenhängen“, erklärte die Leiterin der Studie, Nadia Micali.
So manche essgestörte Mutter setzt auch ihre Kinder auf Diät.
Dafür muss frau eigentlich keine Wissenschaftlerin sein. Wie krank Frauen sich und ihre Kinder machen, wissen aber die wenigsten. Fehl- und Frühgeburten treten viel häufiger bei Frauen auf, die Essstörungen haben oder hatten. Das Auftreten von postnatalen Depressionen ist bei Müttern mit Essstörungen bis zu drei Mal höher. Eine Hungersnot im Mutterleib führt zu einer dauerhaften Fehlprogrammierung wichtiger Steuerungssysteme. Auch das Stillen und Abstillen gestaltet sich schwieriger.
Oft setzen essgestörte Mütter sogar ihre Kinder auf Diät, weil sie den Babyspeck nicht ertragen können. In den Medien geht es derweil immer nur um die „Moppelbabys“. Übergewicht wird generell als gesellschaftlich größeres Problem inszeniert als Untergewicht. Dabei ist eine bewusste Mangelernährung oft das viel größere Problem. Auch wissen viele Frauen gar nicht, wie nah sie an einer Essstörung sind. So ist die Verleitung groß, auf umstrittene Mittelchen zurückzugreifen.
Die als Wundermittel und „Diät-der-Stars“ bezeichnete HCG-Diät ist seit einigen Jahren wieder hoch im Kurs – von der teuren Kur bis hin zu Tropfen und Globuli. Letztere locken besonders Schwangere, denn etwas Homöopathisches kann ja so schlimm nicht sein.
Hinter der Abkürzung HCG verbirgt sich Humanes Choriongonadotropin, ein Hormon, das schwangere Frauen in erhöhtem Maße in der Plazenta bilden. Im Falle einer Nährstoff-Unterversorgung sorgt das Mittel für die Umwandlung existierender Körperfettpolster in Kalorien und dient als Schutzfunktion für das Überleben von Mutter und Kind. Bei der Kur wird täglich eine Hormon-Dosis unter die Haut injiziert. Gleichzeitig erfolgt eine extreme Form der Ernährungsumstellung auf maximal 500 kcal pro Tag.
Wie soll bei
Unternährug noch der Fötus versorgt werden?
Homöopathische HCG-Tropfen werden vielfach im Internet als kostengünstige Alternative beworben, auch wenn ihre Wirkung mehr als fragwürdig scheint. Allerdings bleibt die rigorose 500-kcal-Diät. Die starke Unterernährung macht normale Arbeit fast unmöglich, Kopfschmerzen und Übelkeit sind gängige Begleiterscheinungen. Frau fragt sich, wie der menschliche Körper bei einer solchen Unterernährung überhaupt noch vernünftig arbeiten soll. Vor allem, wenn da noch ein Fötus ist, der versorgt werden will. Aber warum, warum tun Frauen sich das an? Weil ihnen der Schönheitsgedanke nicht nur in die Wiege, sondern sogar schon in den Mutterleib gelegt wird?
„Es ist auch die Kompensation davon, plötzlich in einer anderen Liga zu spielen“, erzählt Kathrin Lange, die mittlerweile eine kerngesunde kleine Tochter hat und ihre Schwangerschaftskilo-Abschmelzung unbefristet vertagt hat. „Du wirst als Mutter anders angesehen und du gierst nach Anerkennung, besonders wenn du aus einem guten Job raus bist. Dazu kommt oft der Wunsch, das innere Aufgewühltsein wenigstens äußerlich zu kaschieren. Die Hormone spielen verrückt. Manchmal ist es auch der Versuch, Kontrolle zurückzugewinnen. Aber der größte Faktor ist der gesellschaftliche Druck!“
Du hattest so schön ab-
genommen, und jetzt bist du schon wieder schwanger?
Doch längst nicht alle Frauen lassen sich dermaßen verbiegen. „Es gibt Wichtigeres auf der Welt als ein paar Kilo zu viel“, sagt Kathrin Lange. „Meine und die Gesundheit meines Kindes zum Beispiel. Wir Frauen müssen uns auf uns selbst besinnen und nicht immer danach gehen, was andere von uns erwarten.“
Viele Schwangere und Mütter machten sich in der letzten Zeit unter dem Hashtag #alsichschwangerwar Luft. Sie berichteten dort, was sie sich mit Kind im Bauch alles anhören durften. „Oh, kriegst du Zwillinge?“, „Muss der Hintern mitwachsen?“, „Du hattest so schön abgenommen, und jetzt bist du wieder schwanger?“, „Pass lieber auf, hinterher kriegst du es nicht mehr weg!“, „Sicher, dass du nur eins bekommst?“
Auslöser für den Mütter-Aufschrei war der Text „Unguter Hoffnung“ von Lara Fritzsche im SZ-Magazin über die Angst vieler Frauen vor der plötzlichen Gewichtszunahme. Auf Twitter ist daraufhin eine regelrechte Empörungswelle entbrannt. Einige der Twitterinnen brachten das Thema auf den Punkt, wie Lil-A: „Warum lassen wir uns diesen Scheiß gefallen? Wehrt euch gegen blöde Kommentare! Wo ist unser Stolz? Was denken andere, wer sie sind? Das Spiel funktioniert nur, wenn es alle mitspielen!“