Tabatabai zu MeToo: Es geht um mehr!
Wie präsent ist die #MeToo-Debatte auf der Berlinale?
Präsent ist vor allem das Thema Gleichstellung, und das ist auch gut so. Keine Frage, #MeToo ist eine sehr wichtige Bewegung. Aber was die Filmbranche betrifft, ist die sexuelle Belästigung nur eine – wenn auch eine besonders widerliche – Ausformung der strukturellen Diskriminierung von Frauen. Organisationen wie Pro Quote Film weisen seit Jahren auf diesen strukturellen Sexismus hin, der die gesamte Branche durchzieht. Und der hat noch viel mehr Auswirkungen auf unser aller Leben als die, die gerade diskutiert werden. Was die #MeToo-Debatte angeht: Es ist irrsinnig anstrengend, dazu auf der Berlinale Interviews zu geben.
Wieso?
Weil sehr, sehr viele Journalisten unbedingt die ganz persönliche #MeToo-Geschichte hören wollen. Den persönlichen Skandal. Am besten mit Namen! Aber da ist auch viel Voyeurismus und Sensationsgeilheit im Spiel. Stil: Wie ist das denn so mit euch Schauspielerinnen? Geht ihr alle mit Regisseuren ins Bett? Bei solchen Fragen reden die Frauen doch erst recht nicht.
Aber hat nicht der Mut der US-Schauspielerinnen, die eigene Geschichte zu erzählen und Namen zu nennen, die Wucht der #MeToo-Debatte ausgelöst?
Ja. Aber wenn ich nun mal keine Geschichte habe? Wogegen ich mich wehren möchte, ist die Verpflichtung, so etwas zu erzählen. Außerdem müssen wir den Schritt von der Demaskierung der Einzeltäter hin zur Demaskierung des Systems gehen! Es geht ja bei diesen Vorfällen nicht um Sex, das wissen wir alle. Es geht um Macht. Und eine extrem hierarchische, rein männliche Machtstruktur wie im Film begünstigt den Machtmissbrauch, der sich häufig in sexueller Gewalt niederschlägt. Die Weinsteins dieser Welt konnten das nur so lange durchziehen, weil ihnen nichts passieren konnte. Aber das ist vorbei.
So manche beklagen nun die angebliche „Pranger“-Mentalität und befürchten eine Hexenjagd …
Was ich ja auch oft höre, ist die Sorge um die „künstlerische Freiheit“. Ich halte es da gerne mit Sebastian Schipper, der ein wunderbares Interview gegeben hat. Die Leute stöhnen: Oh, diese #MeToo-Debatte, ich kann es nicht mehr hören, die nervt total! Das nimmt mir die Freiheit! Aber die Freiheit für was denn? Zoten zu reißen? Schwulenfeindliche Witz zu machen? Frauenfeindliche Witze zu machen? Ist das etwa Freiheit für euch? Und: Was ist denn mit der künstlerischen Freiheit all derer, die gar nicht vorkommen, weil sie in der Filmbranche nicht den Raum bekommen, der ihnen zusteht? Was ist mit der künstlerischen Freiheit der Opfer? Das Gegenteil ist doch der Fall: Das Klima verbessert und die künstlerische Freiheit verstärkt sich enorm, wenn sich endlich etwas ändert.
Du hast auf der Berlinale auf dem Panel „Kultur will Wandel“ zur #MeToo-Debatte gesessen. Welchen Wandel also?
Durch diese ganze Debatte hat endlich eine Sache richtig Fahrt aufgenommen, und das ist die Einrichtung einer unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene von sexualisierter Belästigung, Gewalt und Diskriminierung, initiiert vom Bundesverband Schauspiel. Das ist ein überfälliger Schritt! So etwas wird im Prinzip von der Antidiskriminierungsstelle sowieso schon gefordert – jeder Betrieb in Deutschland müsste eine solche Stelle haben. Aber beim Film ist es natürlich schwierig, weil die Arbeitsabläufe ja so speziell sind. Wir arbeiten zwei Monate zusammen – und dann gehen wir wieder auseinander. Und nicht nur die Schauspielerinnen, sondern auch die Maskenbildnerinnen oder Kostümbildnerinnen trauen sich nicht, sich beim Arbeitgeber zu melden, weil sie Angst haben, dass sie dann als „schwierig“ gelten und keinen Job mehr bekommen.
Trauen sich die Frauen dann überhaupt, ein solches Angebot wie die Anlaufstelle anzunehmen?
Warum denn nicht? Sie können sich ja dann das erste Mal in einem geschützten Rahmen an jemanden wenden. Und es fängt ja auch schon mit der Aufklärung an. Ich habe mir im Zuge dieser ganzen Debatte mal den Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle zur sexuellen Belästigung durchgelesen. Anzügliche Bemerkungen und Blicke auf den Busen sind am Arbeitsplatz verboten, weil die Frau sich nicht entziehen kann. Da müssen einfach alle Verantwortlichen eine ganz klare Position haben und sagen: Bei uns akzeptieren wir ein solches Verhalten nicht! Das ist ein Verbot!
Jetzt ist das Problem der betroffenen Frauen ja, dass es ein solches Verbot zwar gibt - aber die Täter herzlich wenig interessiert.
Genau! Und deswegen reicht die Einrichtung einer Anlaufstelle auch nicht. Wir müssen die Machtverhältnisse ändern. Das ist genau das, was wir bei Pro Quote Film sagen. Und das ist ja auch das, was Alice Schwarzer und die EMMA schon seit Jahrzehnten sagen.
Was bedeutet das konkret für die Filmbranche?
Es gibt Studien, die belegen, dass sich ab einem Frauenanteil von mindestens 30 Prozent die Spielregeln und das Verhalten gegenüber Frauen in einem Betrieb schlagartig ändern. Bloß: Nur die Hälfte der Frauen, die in der Filmbranche ausgebildet werden, landen am Ende auch in dem Beruf. Bei den Männern ist es genau umgekehrt: Obwohl viel weniger Männer ausgebildet werden, sind sie im Beruf später überproportional vertreten. Zwei Ursachen: Zum einen herrscht eine große Risiko-Aversion. Die Verantwortlichen, die die Posten verteilen, setzen auf Bewährtes, also auf Männer. Bei den Frauen heißt es immer gleich: Ja, kann die das denn auch? Das Ergebnis: Fördergelder fließen zu 82 Prozent in Filme von Männern. Nur 23 Prozent der Regisseure sind weiblich. Bei technischen Berufen ist es noch krasser: Nur zehn Prozent Kamerafrauen und nur vier Prozent Tonfrauen! Hinzu kommt, dass man Charaktereigenschaften, die von Produzenten oder Regisseuren gemeinhin erwartet werden, immer noch eher Männern zuschreibt: Durchsetzungs- und Verhandlungsvermögen.
Was muss passieren?
Wir fordern unter anderem, dass 50 Prozent der Fördergelder an Filme gehen, bei denen Frauen entweder Regie führen, die von Frauen produziert werden oder für die eine Frau das Drehbuch geschrieben hat. Wir fordern eine paritätische Besetzung der Gremien, die diese Gelder vergeben und auch von den leitenden Positionen in Sendern. Und das Frauenbild im Film ist auch immer noch viel zu rückschrittlich. Schau dir die Rollen für Schauspielerinnen doch mal an! Wir leben in einem Land, in dem Frauen alles werden können – sogar Bundeskanzlerin. Aber im Film, da sind die Frauen meistes nur die Geliebte von, die Freundin von oder die Frau von. Und ab 35 verschwinden sie entweder ganz von der Bildfläche – oder sie sind die Mutter von.
In den USA haben sich hunderte Schauspielerinnen in der Time‘s-Up-Bewegung zusammengeschlossen. Da wirken die deutschen Filmfrauen im Vergleich recht still.
Tja, warum tun sich deutsche Frauen mit Solidarität so schwer… I don’t know. Auf jeden Fall ist es allerhöchste Zeit, dass wir damit anfangen! Eine Schauspielen wie Demi Moore hat sich schon vor über 20 Jahren hingestellt und gesagt: „Natürlich bin ich Feministin!“ Wenn ich mich hingegen daran erinnere, wie das damals bei uns war, als 1997 unser Film „Bandits“ rausgekommen ist … Wir haben einfach gemacht, was wir wollten. Aber offensichtlich war alleine das ein solcher Affront für das Altherren-Feuilleton, dass die damals Gift und Galle gespuckt haben. Das hätten die niemals gemacht, wenn das ein Männer-Film gewesen wäre.
Würde das 2018 so noch immer passieren?
Das ist eine gute Frage! Ich finde schon, dass die Männer sich geändert haben. Aber was sich vor allem geändert hat, sind die Frauen. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals unter Frauen eine solche Wut erlebt zu haben. Wut darüber, aus dem Beruf gedrängt zu werden. Ausgemustert zu werden, weil man angeblich nicht mehr fuckable ist. Und natürlich immer schön den Mund halten!
Was rätst du Frauen stattdessen?
Den Mund aufmachen! Sich nicht zufrieden geben. Ich merke das ja sogar bei meiner Serie „Letzte Spur Berlin“. Selbst da musste ich schon Kämpfe ausfechten, damit die Frauenrollen aktiv bleiben. Da habe ich gesagt: „Leute, in dem Drehbuch stehe ich nur hinter Radek und mache mir Sorgen. Dafür trete ich nicht an, das ist mir zu passiv. Ich brauche mehr!“
Das Gespräch führte Alexandra Eul.
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