Jenny Meiritz: Fährt einfach los!

Artikel teilen

Das erste Mal begegneten wir uns auf Facebook. Auf der Suche nach Initiativen, die flüchtenden Frauen aus der Ukraine helfen, waren wir im Netz auf Jennifer Meiritz aus Oberhausen gestoßen. „Wir fahren bis zu drei Mal die Woche an die Grenze, um Taxi Europa anzubieten“, schrieb sie dort. Und dann stand da etwas, das uns aufhorchen ließ: „Die Frauen haben schreckliche Angst vor Menschenhändlern! Sie essen und trinken nix von uns, weil sie Angst haben, dass dort Schlafmittel drin sind.“

Das wollten wir genauer wissen. In einem Telefon-Interview für EMMAonline erzählte uns Jenny: „Für mich war nach Kriegsbeginn ganz schnell klar, dass ich vor Ort helfen will. Ich habe dann auf Facebook einen Aufruf gepostet: Lasst uns hinfahren und Menschen abholen!“ Die Sozialpädagogin, 34, und Mutter zweier Söhne, trommelte ihren FreundInnenkreis zusammen. Die Idee: Mit Spenden hinfahren, mit Geflüchteten zurück. Sie sammelten Windeln, Kleidung, Schlafsäcke und am 6. März, dem neunten Kriegstag, startete das erste „Taxi Europa“ mit drei Autos von Oberhausen nach Warschau.

Jenny redete viel und schnell, es gab schließlich auch eine Menge zu berichten. Wie sie durch den Kontakt eines Freundes in einem von Nonnen geleiteten Kindergarten bei Warschau landeten. Wie beeindruckt sie von den rührigen Nonnen war. Und wie Jenny und ihre Freundin Fiona dann mit einer der Nonnen „zu einem Bahnhof gefahren sind, an dem Geflüchtete ankamen. Dass wir mit der Nonne dort waren, hat den Frauen offenbar Vertrauen gegeben. Und wir haben ein reines Frauenauto gemacht: Meine Freundin und ich sind gefahren und haben fünf Frauen mitgenommen.“ Erst spät begriffen sie, warum die Stimmung im Auto „sehr angespannt“ war und warum die Frauen die angebotenen Getränke und ihr Essen nicht annehmen wollten. „Für unsere nächsten Touren haben wir daraus gelernt, dass wir von den Spenden etwas zur Seite legen, damit die Frauen sich auf der Fahrt an der Tankstelle selbst etwas zu essen und zu trinken kaufen können.“

Jetzt wollten wir diese so zupackende Frau aus dem Ruhrpott persönlich kennenlernen. Denn wir fanden: Jenny ist eine „Alltagsheldin“. Sie kam mit dem Zug nach Köln, zusammen mit Olena. Die junge Ukrainerin, die schon 2014 aus dem Donbas geflüchtet war, wohnt jetzt bei Jenny, deren Mann Marcel und den beiden Kindern. Während Olena den Kölner Dom besichtigt, reden wir in einem Café. Bei ihrer letzten Fahrt haben sie in ihrem „Frauenauto“ zwei ältere Damen aus Odessa mitgenommen, berichtet Jenny. Die beiden wohnen jetzt bei Jennys Eltern, der Vater Arzt, die Mutter Sozialpädagogin, inzwischen beide im Ruhestand. „Jetzt kochen die vier immer zusammen“, allerdings hätten sich die beiden Frauen „sehr gewundert, dass mein Vater auch kocht“.

Von ihrer Mutter, die früher eine Behindertenwerkstatt mit aufgebaut hat, „hab ich Sozialarbeit von der Pike auf mitgekriegt“, erklärt Jenny. „Sie war immer mein Vorbild, weil sie sich nie hat unterkriegen lassen und sehr viel für Menschen bewegt hat. Durch sie bin ich mutig geworden.“

Auch Jenny arbeitet heute in einer Werkstatt für Menschen mit psychischer Behinderung und macht sich nebenbei als gesetzliche Betreuerin selbstständig. Ihr beherztes Engagement hat aber noch weitere Wurzeln.

Natürlich das Ruhrgebiet, das gemeinhin sehr zupackende Menschen hervorzubringen pflegt. In ihrer Familie, sagt Jenny, sei sie „die Handwerkerin“. Ihr Motto: „Schenk mir keine Diamanten, schenk mir ne Hilti!“ Hinzu kommt: Jenny und ihr Bruder wurden adoptiert, und hatten es als türkischstämmige Kinder nicht immer leicht. Stichwort „Alltagsrassismus“.

In einem Kinderheim betreute Jenny 2016 geflüchtete Jungen aus Afghanistan und hörte deren Geschichten. „Die haben auch oft sexuelle Gewalt erlebt“, erzählt sie. Sie freut sich, dass heute „fast alle in Lohn und Brot sind und einige nicht nur integriert, sondern assimiliert“. Die Jungs gehen am liebsten mit ihr Currywurst essen.

Und jetzt also das „Taxi Europa“. Wie sagte Schwester Jana in Warschau? „Wir sind viele kleine Tropfen, die ein Meer ergeben.“ Die zupackende Jenny neigt nicht zur Sentimentalität. Aber diesen Spruch findet sie schon irgendwie schön.

Ausgabe bestellen
Anzeige
'
 
Zur Startseite