Jens Jessen und das Phantom
Kommen wir zum Theken-Talk des vergangenen Wochenendes: Der Jens Jessen beklagt in der Zeit anlässlich der #MeToo-Debatte den "ideologischen Triumph eines totalitären Feminismus". Echt jetzt?! Ja, Titelgeschichte, zwei ganze Zeit-Seiten. Sprich: Sehr wichtiges Thema! Prost!
Werden Männer wirklich in "Kollektivhaft" genommen?
Beginnen wir gleich mit etwas vielleicht Unerwartetem: Ich kann Jens Jessen verstehen. Sehr gut sogar. Zumindest in einigen Punkten. Denn ich kenne diese totalitäre Seite des so genannten "neuen" Feminismus leider auch. Ich arbeite bei einem feministischen Magazin, das selbst immer wieder Ziel dieser "offen zur Schau getragenen Feindseligkeit" (Jessen) wird. Und ich kenne tatsächlich auch mehrere Menschen, die an "bolschewistische Schauprozesse" (Jessen) erinnernde, öffentliche Attacken erlebten. Durchgeführt von einer "recht überschaubaren Szene" (Jessen) im derzeit anscheinend schwer angesagten Feminismus. Und die im Zuge solcher Diffamierungen Reputation, Netzwerke, Projekt verloren haben.
Diese vom Feminismus geschassten Menschen haben alle etwas gemein: Sie sind Frauen. In Jens Jessens Beitrag in der aktellen Zeit geht es aber nicht um Frauen. Es geht um Männer, mal wieder. Um "bedrohte" Männer. Männer unter "Generalverdacht". Und damit auch gleich um nichts Geringeres als die Aufkündigung der "Conditio humana", die "allen Menschen ein gleiches Maß an Menschlichkeit zumisst". Das Ende der "kostbarsten Errungenschaft des abendländischen Rationalismus, welcher Gleichheit und Menschenrechte auf die allgemeine Akzeptanz von Vernunft und Logik gründete". Wow.
Diese "totalitären" Feministinnen, schreibt Jessen, der zu der Sorte „älterer weißer Mann“ gehört, nehmen die Männer nämlich im Zuge der #MeToo-Debatte in "Kollektivhaftung". Stellen also jeden an den Pranger. Auch die, die eigentlich gerne an der Seite der Frauen stünden - aber durch den Ton der Debatte zu "eingeschüchtert" sind. Zu diesen "schüchternen Intellektuellen" zählt Jessen sich scheinbar selbst. Und zum "verfluchten Geschlecht". Denn: "Für die neuen Feministinnen gibt es keine schuldlosen Männer, auch wenn eingeräumt wird, dass nicht alle 'sexualisierte Gewalt' auch praktisch ausüben." Männer können es heute nur falsch machen, resigniert Jessen. Und schuld daran sind die verhetzten Feministinnen, die eine "Grenze überschritten haben, die den Bezirk der Menschlichkeit von der offenen Barbarei trennte".
Und wie "objektiv" sind
Vergewaltigungs-Prozesse?
Bisher fiel der belesene Autor ja meist eher durch einen gelassenen Ton auf, sogar im Umgang mit dem Feminismus. Nun aber: Apokalypse und Nazi-Vergleiche ("feministischer Volkssturm")! Sogar das abgegriffenste Klischee in der Geschichte des Patriarchats wird (zumindest zwischen den Zeilen) aus der verstaubten Ecke gezerrt: die hysterische Frau. Da möchte man ja fast zum Hörer greifen und fragen: Was ist denn nur los, Herr Kollege? Warum so hysterisch?
Das ist los: Jens Jessen fürchtet sich vor einem Phantom. Damit ist er unter Männern derzeit mit Sicherheit nicht alleine. Das Phantom trägt ein T-Shirt auf dem steht: #MeToo. Denn der Unmut der Frauen raunt seit Wochen allerorten, und das frecherweise auch noch in Gefilden, in denen bislang doch eigentlich Männer wie Jens Jessen das Sagen hatten: den links-liberalen Feuilletons und politischen Magazinen dieses Landes, in der Zeit, beim Stern oder beim Spiegel. Da machen sie sich schon ordentlich breit, diese marodierenden Emanzen. Was soll da als nächstes kommen?!
Doch Fakt ist: In Deutschland stehen bislang kaum Männer am Pranger. Der ewige Brüderle, den Jessen als Beweis heranzieht, ändert daran nichts. Der ebenso erwähnte und in der Tat sehr zu Unrecht gescholtene Medizin-Nobelpreisträger Tim Hunt lebt in England. Und dass das Gedicht "Avenidas" an der Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule überpinselt werden soll, findet eine EMMA zum Beispiel schockierend.
Es werden hierzulande auch keine Männer im großen Stil in "Kollektivhaftung" genommen. Es werden - anders als in Hollywood – keine Namen genannt, bis auf Dieter Wedel, und auch keine Posten geräumt. Und es werden auch von berühmten Frauen keine Millionen Dollar in Opfer-Fonds gesteckt, die es den weniger berühmten, den weniger reichen, den weniger mächtigen Frauen dieser Welt ermöglichen sollen, einen Prozess gegen ihren Vergewaltiger zu finanzieren.
Marodierende Emanzen im
Feuilleton - was kommt als nächstes?
Jens Jessen beschwört ein angeblich "objektives" und der "allgemeinen Vernunft zugängliches" Verfahren der Prüfung solcher Anklagen, das bislang ganz prima funktioniert haben soll. Nun aber wird dieser paradiesische Rechtsstaat durch eine gar zügellose Selbstjustiz der Frauen in Sozialen Medien gefährdet.
Doch die Verfahren, in denen vor Gerichten über sexuelle Gewalt geurteilt wird, sind in der Regel alles andere als „objektiv“ und „vernünftig“. Es sind Verfahren, in denen die Opfer meist nur verlieren können. Gerade in Deutschland wird zudem so gut wie jeder Vergewaltigungsprozess von dem stets gleichen Sound in den Medien orchestriert: Unschuldsvermutung. Vorverurteilung. Sie wollte es doch auch. Sie war auf Droge. Sie wollte sich rächen. Falschbeschuldigerin.
Kommt Ihnen bekannt vor, lieber Jens Jessen? Klar!
Alexandra Eul