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1973: Mary Daly über das Christentum

Die Philosophin und Kirchenkritikerin Mary Daly sah die Wurzeln der Gewalt des Patriarchats im Christentum.
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Dieses Buch ist ein Durchbruch in meinem Denken – ein Sprung über den christlichen Mythos und die christliche Moral hinaus. „Beyond God the Father“ war mein zweites feministisches Buch. Fünf Jahre zuvor (1968) hatte ich „The Church and the Second Sex“ veröffentlicht. 1973, als ich „Beyond God the Father“ schrieb, erkannte ich vollends die Absurdität des Versuchs, die katholische Kirche oder überhaupt jegliche christliche Kirche zu „reformieren“. Mir war klar geworden, dass die Vorstellung eines nicht-sexistischen Christentums ebenso ein Widerspruch in sich ist wie etwa die Idee eines viereckigen Dreiecks. Mittlerweile erschien mir die Vorstellung, dass Frauen in der katholischen Kirche „Gleichberech­tigung“ anstreben, ebenso lächerlich und mitleid­erregend wie der Gedanke, dass schwarze Menschen im Ku-Klux-Klan „Gleichberechtigung“ suchen.

Mit anderen Worten, zu der Zeit, als ich „Beyond God the Father“ schrieb, hatte ich mich von der katholischen Kirche „frei-geschwommen“. Ich lebte in nachchristlicher Raum/Zeit. „Beyond God the ­Father“ ist der Versuch, eine Erklärung der logischen und ontologischen Basis für Sprünge über patriarchale Religion, über Gottvater, Sohn & Co. hinaus. 

Einer der schmutzigen Tricks, den die Phallokraten wiederholt gegen Frauen anwenden, ist die Auslöschung unserer Geschichte. Das schließt die Auslöschung unserer intellektuellen Geschichte mit ein, so dass wir blind die Fehler der Vergangenheit in verschiedener Weise wiederholen, während wir von einer trügerischen Vorstellung des „Fortschritts“ erfüllt sind. 

Ich glaube z. B., dass Frauen in eine gewisse „feministische Spiritualität“ fallen können und „die Göttin“ verehren und feiern, bevor sie die tief in unser aller Psyche eingebettete Vorstellung von „Gott“ wahrhaft ausgetrieben haben. Wenn dies der Fall ist, wird der Gebrauch von „Göttin“-Bildern in unserer Kunst und in unseren Feiern keine tiefe mythische und somit Veränderung erweckende Macht haben, denn sie werden nur in weiblichen Namen und Formen verkleidete „Gott“-Bilder sein. 

Ein anderes Beispiel: Einige Frauen mögen glauben, dass sie durch eine Analyse der christlichen Mythen und sogenannten „Moral“ nichts zu gewinnen haben, da sie bereits wissen, dass das Christentum von Natur aus unterdrückend ist. Diese Frauen können dann sehr leicht und in aller Naivität anderen Manifestationen von Gottvater, Sohn & Co. zum Opfer fallen, z. B. Gynäkologen, Psychotherapeuten, Wissenschaftlern und Erziehern, die auf unterschiedlichste Weise dieselben alten Dogmen predigen. Das Problem ist, dass diese Frauen die Macht der patriarchalen religiösen Mythen unterschätzen, die sowohl unterschwellig als auch offen für die Fortsetzung von Vergewaltigung, Mord und Verstümmelung des weiblichen Geistes und Körpers arbeitet.

Zur trügerischen Transzendenz gehört, dass der Feind unterschätzt wird und frau sich allzu billig im Stand der Gnade wähnen kann. Die Reise jenseits patriarchaler Religion und der von ihr legitimierten völkermordenden Strukturen verlangt, dass wir voll und ganz das Ausmaß verstehen, in dem wir von ihren dämonischen Mächten besessen worden sind, damit wir sie austreiben können. Dieser Exorzismus ist für unsere eigene Ekstase notwendig, die Entwicklung unserer seelisch-geistigen Kräfte und Schärfung unserer inneren Sinne. Diese Entwicklung geht nicht von heute auf morgen.

„Beyond God the Father“ liefert eine Ontologie des radikalen Feminismus und eine systematische Entmystifizierung des christlichen Mythos. Es benennt die Wurzeln der Unterdrückung und folgt der Tradition der radikalen Feministin des 19. Jahrhunderts, Matilda Joslyn Gage, die 1893 in dem Buch „Woman, Church and State“ schrieb: „Das gewaltigste System organisierten Raubs, das uns bekannt ist, war das der Kirche gegen die Frau; ein Raub, der nicht nur ihren Selbstrespekt genommen hat, sondern alle Rechte der Person; die Früchte ihres eigenen Fleißes; ihre Möglichkeiten der Erziehung; die Ausübung ihres eigenen Urteilsvermögens, ihres eigenen Gewissens, ihres eigenen Willens.“

Mein Buch folgt Gage auch in der Einsicht, dass die Christenheit das abscheulichste aller Verbrechen beging – die Materialisation von Geist –, das heißt, das Ausrotten eines lebendigen Prozesses, die Vergegenständlichung (Ver-ding-lichung) des Lebens, besonders des lebendigen Körpers/Geistes der Frauen in tote, unquantifizierbare Dinge. 

Unterwegssein als Lebensform (Be-ing at home on the road) heißt, das Reisen fortzusetzen, zusammen mit anderen radikalen Feministinnen/Spinnerinnen habe ich mich in andere Richtungen/Dimensionen bewegt und altes semantisches Gepäck abgeworfen, das sich als belastend erwies. Dazu gehört das Wort Homosexualität. Der Begriff „schließt“ in reduzierender Weise gynozentrisches Sein/Lesbisch-sein „ein“, er vereinnahmt. Das heißt, das Wort ist nur scheinbar ein Gattungsbegriff, der impliziert, dass Lesbierinnen und homosexuelle Männer derselben Kategorie angehören. Das Wort verbirgt die ungeheuren Unterschiede. Ich behalte den Begriff lesbisch jetzt der Beschreibung von Frauen vor, die frau-bezogen sind und alle falschen Loyalitäten gegenüber Männern auf allen Ebenen verworfen haben. Der Begriff schwul oder weiblich homosexuell bezeichnet präziser die Frauen, welche, obgleich sie genitale Beziehungen
zu Frauen haben, den Männern und männlichen Mythen, Ideologien, Lebensarten, Praktiken, Institutionen und Berufen die Treue halten.

Meine Position ist eindeutig und unwiderruflich lesbisch feministisch. Wir müssen die vom Mann gemachten Tabus und die von männlichen Medien erzeugten Bilder der Rollen-spielenden „Lesben“ austreiben. Wir müssen die starken, kosmischen, weiblich-bezogenen Dimensionen bestätigen, die wir mit dem Wort lesbisch auszudrücken beabsichtigen.

Mein Buch ist in seiner Richtung radikal, und ich hoffe, dass seine Logik aufzeigt, warum sich die zeitgenössische „Zivilisation“ unter dem Einfluss christlicher Mythen und christlicher Werte ständig in Richtung einer nuklearen Massenvernichtung bewegt, welche die logische und technologische Folgerung und Verkörperung der christlichen Doktrin ist. 

Ich hoffe, dass das Material, das dieses Buch ans Licht bringt, der Leserin helfen wird, für sich besser zu analysieren, warum wir uns in einem endgültigen und entscheidenden Kriegszustand zwischen frau-bezogenen Frauen und den Gott-Vätern und Söhnen, die uns alle zerstören wollen, einschließlich unserer Schwestern, der Erde, der Luft, dem Wasser und der Millionen von Tieren, die auf wahnsinnige Weise auf diesem Planeten hingeschlachtet werden.

Während wir in dieses Jahrzehnt eintreten, in die 1980er Jahre, und der Rückschlag gegen den Feminismus immer verführerischere Formen annimmt; wenn selbst das Wort feministisch von den Frauenfeinden entschärft wird dadurch, dass es fast alle ein-schließt; wenn die Frauen im Namen des „Feminismus“ durch die Rechten und Linken vom eigentlichen Feminismus weggelockt werden; und wenn Millionen von Frauen dem Papst zujubeln und viele fruchtlos ihre Energien in Kreuzzügen für die Ordinierung der Frauen in die christliche Priesterschaft verausgaben; wenn die Anti-Abtreibungs-Kreuzzügler ihre Kräfte wieder sammeln, um die Frauen zu unterdrücken; dann ist es entscheidend, dass Feministinnen zusammenarbeiten, um die Lügen und Täuschungen der Gott-Väter zu entschleiern! Wir müssen die von Männern errichteten Schranken niederreißen, die dazu da waren, uns voneinander zu trennen, einschließlich der Schranken der Klasse, Rasse, Nationalität und Sprache. Wie Virginia Woolf in „Drei Guineen“ schrieb: „Als Frau habe ich kein Land. Als Frau will ich kein Land. Als Frau ist die ganze Welt mein Land.“  

Der Text ist ein Auszug aus dem Vorwort von Mary Daly: „Jenseits von Gottvater, Sohn & Co“, (1980, Verlag Frauenoffensive, Ü: Marianne Reppekus/ Barbara Henninges). Vergriffen, einsehbar u.a. im Archiv FrauenMediaTurm, frauenmediaturm.de  

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