Die Wut der Mildred Hayes
„Was darf man auf einem Werbeplakat nicht sagen?“ will die Frau in dem blauen Overall wissen und gibt die Antwort gleich selbst. „Ich vermute mal: nichts Verleumderisches. Und nicht Ficken, Pisse oder Fotze.“ Der sichtlich verschüchterte junge Werbeflächen-Vermarkter nuschelt hinter seinem Schreibtisch: „Und, äh, Anus.“ Die Frau nickt und sagt: „Dann dürfte es funktionieren.“ Und tatsächlich, es funktioniert.
"Immer noch keine Verhaftungen? Wie kann das sein, Chief Willoughby?“
Mildred Hayes versetzt die Polizei von Ebbing, ein verschlafenes Städtchen in Missouri, mit einem Schlag in den Wachmodus. Fast ein Jahr ist es her, dass ihre Tochter Angela an einer Ausfallstraße vergewaltigt und verbrannt wurde. Doch „die Polizei hier ist mehr damit beschäftigt, Schwarze zu foltern als die Mörder meiner Tochter zu suchen.“
Also mietet Mildred drei Werbetafeln an just dieser Straße (die sie mit dem Verkauf des Pick-ups ihres prügelnden Ex-Mannes bezahlt). Darauf steht nun in schwarz auf knallrot: „Vergewaltigt, während sie starb.“ „Und immer noch keine Verhaftungen?“ „Wie kann das sein, Chief Willoughby?“ Kaum hängen die Plakate, ist in Ebbing die Hölle los.
Im Mikrokosmos Ebbing geht es ab jetzt um alles: Sexismus, Rassimus, Homophobie. Sogar um die Diskriminierung eines Kleinwüchsigen, der hier im Mittleren Westen noch „Zwerg“ genannt werden darf. Und obwohl in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ permanent geflucht, geprügelt und gesoffen wird, ist das Ganze ein, ja, hinreißender Film geworden. Das hat drei Gründe.
1. Regisseur Martin McDonagh („Brügge sehen und sterben“) verrät seine Figuren nicht, niemand ist einfach Held(in) oder Bösewicht. Selbst der tumbe Polizist Dixon, ein Schwarzenhasser und Mamasöhnchen erster Güte, darf ein bisschen was begreifen – ohne am Ende der Supergeläuterte zu sein. Und so überraschend die Figuren, so unvorhersehbare Wendungen nimmt die Handlung.
2. Auch wenn es bisher nicht so geklungen hat: „Three Billboards“ ist – auch - sehr witzig. Die Gratwanderung zwischen Tragik und Komik in Form von äußerst lakonischem Humor ist dem Iren McDonagh perfekt gelungen.
3. Frances McDormand. Einen Golden Globe hat sie für ihre Mildred Hayes bekommen. Den Preis der „Screen Actors Guild“ (SAG) für die Beste Hauptdarstellerin ebenfalls. Und auch den Oscar für die beste Hauptrolle. Wie die 60-jährige McDormand Mildred Hayes mit wildem Furor in den Krieg gegen die halbe Kleinstadt ziehen lässt; wie sie der ungeschminkten Frau, die in ihrem Overall zu leben scheint und niemandem gefallen muss, einen Hauch von Berührbarkeit mitgibt; wie sie es schafft, aus Mildred eine kompromisslose, aber manchmal eben auch komische Heldin zu machen – das ist großes Kino. Und es erinnert ein wenig an Frances McDormands kultige schwangere Polizistin Marge Gunderson in „Fargo“.
https://www.youtube.com/watch?v=Nw1cUej0KDw
1997 hat Frances McDormand für Marge Gunderson ihren ersten Oscar bekommen, für ihre Rolle als Mildred Hayes gewann sie den zweiten.
Mildred ist jedenfalls in den Kanon der feministischen Lieblingsfilmheldinnen aufgenommen. Miss Marple, Lisbeth Salander und die anderen werden über den Neuzugang begeistert sein.