Frauen werden abgeschafft!
Joanne K. Rowling ist die Schöpferin der mutigen, klugen Hermine, des sensiblen Harry und des nicht immer supercoolen Ron. Sie hat mit „Harry Potter“ eine Welt geschaffen, die jenseits der Geschlechterrollen, jenseits der Kleinfamilie und jenseits der Machtverhältnisse Eltern/Kinder liegt. Es ist kein Zufall, dass Millionen Kinder in der ganzen Welt sich mit ihrem magischen Universum identifizieren.
Ausgerechnet diese Autorin wird nun von einer selbsternannten „Transbewegung“ als reaktionär und als TERF beschimpft: als „Trans Exclusionary Radical Feminist“ („radikale Feministin, die Transmenschen ausschließt“). Auslöser war, dass Rowling sich auf Twitter an die Seite von Maya Forstater gestellt hatte. Die Steuerexpertin hatte aufgrund ihrer Äußerungen zum Thema Transsexualität ihren Job bei einem Think Tank verloren. Grund: Forstater hatte u. a. erklärt, dass „Männer sich nicht einfach in Frauen verwandeln können“.
Joanne K. Rowling hatte daraufhin getwittert: „Bezeichne dich, wie auch immer du willst. Schlafe einvernehmlich mit welchem Erwachsenen auch immer, der dich will. Aber Frauen aus ihren Jobs zu drängen für die Aussage, dass das Geschlecht eine Realität ist?“ Daraufhin brach ein Shitstorm los. Ein zweiter folgte, als Rowling sich darüber mokierte, dass Frauen als „Menschen, die menstruieren“ bezeichnet werden.
Im Juli beklagte Rowling – gemeinsam mit 152 Intellektuellen, von Margaret Atwood bis Gloria Steinem – in einem Offenen Brief die „zunehmende Atmosphäre von Zensur“. Darin heißt es: „Die Grenzen dessen, was ohne Androhung von Repressalien gesagt werden darf, werden immer enger gezogen.“
Im nachfolgenden Text-Auszug, spricht sie zum ersten Mal öffentlich darüber, dass sie Opfer von Gewalt in ihrer Ehe war, dass sie als Jugendliche Demütigungen, Ängste und Verzweiflung kannte. Und sie erzählt von ihrer Stiftung, mit der sie benachteiligten Frauen hilft: weiblichen Gefangenen oder Gewaltopfern. Rowling sieht ihr Engagement gefährdet, weil die internationale Transbewegung die Kategorie Geschlecht abschaffen will zugunsten der Kategorie Gender. In einigen Ländern sind bereits Gesetze auf dem Weg, die den „Geschlechtswechsel“ durch bloße Absichtserklärung möglich machen sollen, so auch in Rowlings Wahl-Heimat Schottland.
Die meisten Menschen sind sich vermutlich gar nicht bewusst, dass vor zehn Jahren die Mehrheit der Menschen, die eine Transition, einen Geschlechtswandel, anstrebten, männlich war. Dieses Verhältnis hat sich nun umgekehrt. In Großbritannien ist die Zahl der Mädchen, die eine ärztliche Überweisung für Behandlungen zur Transition bekommen, um 4.400 Prozent gestiegen. Besonders autistische Mädchen sind hier zahlenmäßig deutlich überrepräsentiert. Dasselbe Phänomen wird auch in anderen Ländern beobachtet.
Je mehr Berichte junger Transmenschen zur Geschlechtsdysphorie mit ihren Beschreibungen ihrer Ängste, ihrer Dissoziation, ihren Essstörungen, ihrer Selbstverletzung und ihrem Selbsthass ich las, desto mehr fragte ich mich, ob ich, wäre ich 30 Jahre später auf die Welt gekommen, auch versucht hätte, eine Transition zu machen. Die Verlockung, dem Frausein zu entfliehen, wäre enorm gewesen. Als Jugendliche hatte ich mit einer schweren Zwangsstörung zu kämpfen. Hätte ich im Internet die Gemeinschaft und das Mitgefühl gefunden, die ich in meiner unmittelbaren Umgebung nicht finden konnte, hätte ich mich wahrscheinlich überzeugen lassen, mich in den Sohn zu verwandeln, den mein Vater, wie er ganz offen gesagt hatte, lieber an meiner Stelle gehabt hätte.
Vor 30 Jahren wäre auch ich dem Frausein sehr gerne einfach entflohen
Wenn ich zur Theorie der Geschlechtsidentität lese, erinnere ich mich daran, wie geschlechtslos ich mich als Jugendliche gefühlt habe. Ich erinnere mich an Colettes Selbstbeschreibung als „mental hermaphrodite“ (mental zweigeschlechtlich) und an Simone de Beauvoirs Worte: „Es ist nur natürlich, wenn die künftige Frau sich über die Beschränkungen entrüstet, die ihr Geschlecht ihr auferlegt. Die Frage, warum sie sie ablehnt, ist falsch gestellt. Das Problem besteht vielmehr darin zu verstehen, warum sie sie akzeptiert.“
Da ich in den 1980er Jahren keine realistische Möglichkeit hatte, ein Mann zu werden, mussten es Bücher und Musik sein, die mich durch meine psychischen Probleme brachten und mir halfen, mit den sexualisierten Blicken und Bewertungen umzugehen, die so viele Mädchen im Teenageralter in den Krieg gegen ihren Körper ziehen lassen.
Es war ein Glück für mich, dass ich mein eigenes Gefühl des Andersseins und meine Ambivalenz gegenüber dem Frausein in den Werken von Schriftstellerinnen und Musikerinnen widergespiegelt fand, die mir versicherten, dass es trotz allem, was eine sexistische Welt denjenigen mit einem weiblichen Körper antut, in Ordnung ist, sich im eigenen Kopf nicht rosa, berüscht und verfügbar zu fühlen; dass es in Ordnung ist, sich verwirrt und dunkel zu fühlen, sowohl sexuell als identitätslos und unsicher zu fühlen, was oder wer man ist.
Ich möchte ganz klar sagen: Ich weiß, dass eine Transition für manche Menschen mit Geschlechtsdysphorie eine Lösung ist, obwohl ich mir auf der Grundlage umfangreicher Recherchen ebenfalls darüber bewusst bin, dass Studien durchweg gezeigt haben, dass 60 – 90 Prozent der Jugendlichen mit angeblicher Geschlechtsdysphorie aus dieser herauswachsen werden.
Mir wird immer wieder gesagt, ich solle „einfach ein paar transidente Menschen treffen“. Das habe ich getan: Neben einigen jüngeren Menschen, die alle absolut liebenswert waren, kenne ich zufällig eine transidente Frau, die älter ist als ich – und wunderbar. Obwohl sie offen über ihre Vergangenheit als schwuler Mann spricht, fällt es mir immer schwer, sie mir als irgendetwas anderes vorzustellen als eine Frau. Ich glaube und hoffe natürlich auch, dass sie mit ihrer Transition glücklich ist. Da sie jedoch älter ist, ging sie durch einen langen Prozess aus Diagnostik und Psychotherapie, ihre Transition erfolgte in mehreren Phasen.
60-90 % mit angeblicher Geschlechts-Dysphorie wachsen wieder heraus
Doch der aktuelle Transaktivismus drängt auf die Beseitigung fast aller zuverlässigen methodischen Vorgehensweisen, die diejenigen, die sich eine Geschlechtsangleichung wünschen, früher durchlaufen mussten. Ein Mann, der sich nicht operieren lassen und keine Hormone nehmen will, kann sich jetzt ein Zertifikat zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit ausstellen lassen und vor dem Gesetz eine Frau sein. Viele Menschen sind sich dessen nicht bewusst.
Wir durchleben gerade die frauenfeindlichste Zeit, die ich je erlebt habe. Damals in den 80er Jahren stellte ich mir vor, dass meine zukünftigen Töchter, sollte ich welche haben, es viel besser haben würden, als ich es je hatte. Aber zwischen dem Backlash gegen den Feminismus und einer pornoübersättigten Online-Kultur sind die Zeiten für Mädchen meines Erachtens deutlich schlechter geworden. Noch nie habe ich erlebt, dass Frauen in dem Maße verunglimpft und entmenschlicht wurden wie jetzt. Angefangen bei der langen Reihe von Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe an das Oberhaupt der freien Welt und seiner stolzen Prahlerei, Frauen „an die Muschi zu fassen“.
Es geht weiter mit der Incel-Bewegung (Incel = involuntary celibate, unfreiwillig zölibatär lebende Männer), die gegen Frauen wütet, die ihnen nicht sexuell zur Verfügung stehen wollen; bis hin zu den Transaktivisten, die erklären, dass TERFs verprügelt und umerzogen werden müssen. Die Männer aus dem gesamten politischen Spektrum scheinen sich einig zu sein: Überall wird Frauen gesagt, sie sollen den Mund halten, sonst gibt’s Ärger!
Wir durchleben gerade die frauen-
feindlichste Zeit, die ich je erlebt habe
Ich habe alle Argumente dazu gelesen, dass Weiblichkeit nicht an das Geschlecht des Körpers gebunden sei, samt der Behauptung, biologische Frauen würden keine gemeinsamen Erfahrungen machen, und empfinde das ebenfalls als zutiefst misogyn und rückwärtsgewandt. Es ist klar, dass eines der Ziele der Leugnung der Bedeutung des biologischen Geschlechts darin besteht, die Vorstellung auszuhöhlen, dass Frauen ihre eigene biologisch begründete Realität haben oder – genauso bedrohlich – sie als Frauen Erfahrungen teilen, die sie zu einer gemeinsamen politischen Klasse machen. Den Trans-Aktivist*innen reicht es nicht aus, wenn biologische Frauen Verbündete der Transfrauen sind. Frauen sollen zugeben und akzeptieren, dass es keinen materiellen Unterschied zwischen Transfrauen und ihnen gibt.
Doch wie bereits viele Frauen vor mir gesagt haben, ist „Frau“ kein Kostüm. „Frau“ ist keine Idee im Kopf eines Mannes. „Frau“ ist kein rosa Hirn, keine Vorliebe für Jimmy Choo oder irgend¬eine der sexistischen Vorstellungen, die nun als fortschrittlich angepriesen werden. Frausein ist eine Realität.
Darüber hinaus erleben viele Frauen die „inklusive“ Sprache, mit der weibliche Menschen als „Menstruator*innen“, „Menstruierende“ und „Menschen mit Vulva” bezeichnet werden, als entmenschlichend und erniedrigend. Ich stehe nun seit über zwanzig Jahren in der Öffentlichkeit und habe nie öffentlich darüber gesprochen, dass ich eine Überlebende häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe bin. Ich erwähne das nicht jetzt, weil ich Mitgefühl heischen möchte, sondern aus Solidarität mit der riesigen Anzahl Frauen mit einer ähnlichen Geschichte wie der meinen, die als „bigott“ beschimpft werden, weil sie sich Sorgen um den Erhalt geschützter Frauenräume machen. Mir gelang es, aus meiner ersten, gewalttätigen Ehe zu entkommen. Heute bin ich mit einem wirklich guten Mann verheiratet und sicher und geborgen, wie ich es nicht in einer Million Jahren erhofft hätte. Die Narben, die Gewalt und sexuelle Übergriffe hinterlassen haben, verschwinden jedoch nicht, ganz gleich, wie sehr man geliebt wird und ganz gleich, wie viel Geld man verdient hat.
Es gelang mir, aus meiner ersten gewalttätigen Ehe zu entkommen
Wenn Sie in meinen Kopf hineinschauen und verstehen könnten, was ich fühle, wenn ich von einer Transfrau lese, die von einem gewalttätigen Mann umgebracht wurde, würden Sie Solidarität und Verbundenheit sehen. Das Gefühl für die Todesangst, in der diese Transfrauen ihre letzten Momente auf Erden verbracht haben, geht mir tief unter die Haut, denn auch ich habe Momente purer Angst erlebt, in denen mir klar war, dass mein Überleben am seidenen Faden hing.
Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der transidenten Menschen nicht nur absolut keine Bedrohung für andere darstellen, sondern besonders verletzlich sind. Transmenschen brauchen und verdienen Schutz. Wie Frauen werden sie am ehesten von Sexualpartnern getötet. Transfrauen, die in der Sexindustrie arbeiten, insbesondere schwarze Transfrauen, sind besonders gefährdet. Wie alle anderen Überlebenden häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe, die ich kenne, empfinde ich nichts anderes als Empathie und Solidarität mit Transfrauen, die von Männern misshandelt wurden. Deshalb möchte ich, dass Transfrauen sicher sind.
Gleichzeitig möchte ich, dass die Sicherheit von Mädchen und Frauen, die als solche geboren wurden, nicht beeinträchtigt wird. Wenn man die Türen zu Toiletten und Umkleideräumen für jeden Mann öffnet, der glaubt oder fühlt, eine Frau zu sein – und, wie gesagt, Geschlechtsbescheinigungen könnten ohne Voraussetzung jeglicher Operationen oder Hormonbehandlung ausgestellt werden – dann öffnet man diese Türen für alle Männer, die hineinwollen. Die schottische Regierung treibt ihr umstrittenes Vorhaben zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit voran, das in der Praxis bedeutet, dass alles, was ein Mann tun muss, um „eine Frau zu werden“, darin besteht zu sagen, er sei eine. Es fällt mir schwer, meinen Ärger und meine Enttäuschung darüber zu zügeln, wie meine Regierung meiner Meinung nach mit der Sicherheit von Frauen und Mädchen spielt.
Öffnet man die Türen der Umkleiden für "gefühlte" Frauen, öffnet man sie für alle
Aber so unendlich unangenehm es auch ist, unaufhörlich von Trans-Aktivist*innen ins Visier genommen zu werden, die mich als Fotze, Schlampe und TERF beschimpfen, weigere ich mich trotzdem, mich einer Bewegung zu beugen, die meiner Meinung nach nachweislich Schaden anrichtet, indem sie versucht, „Frau“ als politische und biologische Klasse auszuhöhlen. Ich stehe an der Seite der mutigen Frauen und Männer, Homosexuellen, Heterosexuellen und Transidenten, die sich für die Rede- und Gedankenfreiheit und für die Rechte und die Sicherheit einiger der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft stark machen: für homosexuelle Mädchen und Jungen, zerbrechliche Jugendliche und Frauen, die auf sichere Frauenräume angewiesen sind und diese erhalten wollen. Umfragen zeigen, dass diese Frauen die Mehrheit ausmachen, und nur wenige sich so glücklich schätzen können, dass sie nie mit männlicher Gewalt konfrontiert wurden.
Das einzige, was mir Hoffnung gibt, ist, dass die Frauen, die protestieren und sich organisieren können, dies auch tun, und sie haben einige solidarische Männer und Transmenschen an ihrer Seite. Keine der genderkritischen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hasst Transmenschen; ganz im Gegenteil. Viele von ihnen haben sich in erster Linie aus Sorge um transidente Jugendliche für dieses Thema interessiert und sie empfinden tiefes Mitgefühl für erwachsene Transpersonen, die einfach nur ihr Leben leben wollen, denen aber ein Backlash wegen einer Form des Aktivismus droht, die sie selbst nicht gut heißen.
Abschließend möchte ich sagen: Ich habe außerordentliches Glück, ich bin eine Überlebende und kein Opfer. Ich habe meine Vergangenheit nur erwähnt, weil ich wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten eine Vorgeschichte habe, die meine Interessen, Einstellungen und Ängste prägt. Diese innere Vielschichtigkeit vergesse ich nie, wenn ich einen fiktiven Charakter erschaffe, und ich vergesse sie ganz sicher nie, wenn es um Transmenschen geht.
Alles, worum ich bitte – alles, was ich will – ist, dass ein vergleichbares Einfühlungsvermögen, ein vergleichbares Verständnis, auch den vielen Millionen Frauen entgegengebracht wird, deren einziges Verbrechen darin besteht, dass sie ihre Anliegen zu Gehör bringen wollen, ohne dafür Drohungen und Beschimpfungen ausgesetzt zu sein.
JOANNE K. ROWLING