Joan Baez: We shall Overcome
Eine Frau bekommt ein uneheliches Kind, ermordet das Baby und wird gehängt; ein Mädchen bringt sich um, weil ihr Geliebter sie verlassen hat; ein anderes Mädchen wird von ihrem Geliebten ermordet - so und ähnlich lesen sich die Zusammenfassungen von Joan Baez frühen Liedern. „Liebe und Tod und Schönheit waren irgendwie in meinem Kopf miteinander verknüpft“, sagt sie heute über die späten 50er Jahre.
Mit nicht einmal 20 Jahren erfand Joan ein komplettes Genre neu. Folksängerin zu sein bedeutete damals, Joan Baez zu sein. Jede wollte Joan Baez sein. Dem Star selbst machte das Angst. Mitten in den Konzerten bekam Baez Panikattacken, verließ die Bühne, hatte Weinkrämpfe und kam dann zurück auf die Bühne, um weiter zu machen. Als das damals erfolgreichste Label Columbia Records ihr ein Super-Angebot machte, unterzeichnete sie stattdessen bei dem kleinen Label Vanguard. Heute nach den Gründen gefragt, warum sie sich, als die Welt ihr zu Füßen lag, weigerte, kommerziell zu werden, denkt sie eine Weile nach und antwortet dann schlicht: „Ehrlich gesagt, hatte ich Angst, in die Hölle zu kommen.“
Kein Wunder: Diese junge Frau hatte ein großes Vorbild. Joan ist die Tochter des Physikers Albert Baez, für den es im kalten Krieg verlockende Jobs beim Militär gab. „Mir war nicht klar, wie klug mein Vater war. Dass er beispielsweise das Röntgenmikroskop erfunden hatte. Alles, was ich als Kind wusste, war, dass wir ständig neue Sachen bekamen, einen neuen Kühlschrank, ein neues Auto - und all das von einem Tag auf den anderen plötzlich aufhörte“, erinnert sie sich. Denn mein Vater hatte für das Militär geforscht und irgendwann entschieden, dass er damit nicht weiter machen konnte. Er wurde Pazifist.“
Für die Familie Baez bedeutete das, dass sie von nun an ein unstetes Leben führten, stets unterwegs von Lehrauftrag zu Lehrauftrag in ihrem hölzernen Combi quer durch Amerika. 1951 schickte die UNESCO Albert Baez ein Jahr lang nach Bagdad. Auf der Straße erlebte Joan eine unfassbare Armut und die Arroganz der Weißen, die die gerade zehnjährige Joan wie eine Araberin behandelten, weil sie dunkelhäutiger war als ihre beiden Schwestern. In der Familie wurde am Küchentisch über Mahatma Gandhi und das Prinzip der Gewaltlosigkeit diskutiert.
Mit 16 - wieder zurück in Amerika - weigerte Joan sich, ihre Schule bei Atombomben-Übungen zu verlassen. In Lehrfilmen aus der Zeit fahren Kinder mit akkuraten Scheiteln und geschrubbten Fingernägeln in Schulbussen nach Hause und verstecken sich unterm Küchentisch, bevor die Leinwand weiß wird, um den nuklearen Erstschlag des Feindes zu simulieren. Joan blieb, ebenso gescheitelt und geschrubbt, in ihrer Klasse sitzen und erklärte den fassungslosen Mitschülern, dass eine Missile von Moskow weniger als eine halbe Stunde bis zur Paolo Alto High School brauchte - deutlich kürzer als der Schulbus.
Dann kam 1959, das Jahr, das alles veränderte. Die Baezes lebten inzwischen in Cambridge, Massachusets. Einige Monate lang redete Joan sich ein, sie würde Drama studieren, doch in Wirklichkeit verbrachte sie ihre gesamte Zeit in den Kaffeehäusern, die das Zentrum des aufstrebenden Folkundergrounds waren. So mancher Student verliebte sich Hals über Kopf in die 18-jährige Joan mit den Augen wie geschmolzene Schokolade oder in ihre jüngere Schwester Mimi, die wie sie lange dunkle Haare hatte und mit der sie ständig verwechselt wurde. Und so mancher versuchte in dieser Zeit des Elvis-Presley-Booms, sein Werben auf der Gitarre zu begleiten.
Joan hatte sich mit 15 ihre erste Gitarre gekauft. Ihr Stammlokal war der Club 47, wo sie jeden Dienstag und Donnerstag vor Freunden und Bekannten auftrat. Ihren ersten Auftritt mit richtiger Gage hatte sie in dem Chicagoer Nachtclub „Gate of Horn“. Nach dem Konzert lud der Folkmusiker Bob Gibson sie ein, beim Newport Folk Festival 1959 mit ihm zu singen. Ihre zwei Lieder machten Joan Baez über Nacht zur Königin des Folks.
Auf Tour lebte Joan Baez nun das Leben, für das ihre Kindheit sie vorbereitet hatte. Auch die amerikanischen Südstaaten empfingen die Folk-Königin mit offenen Armen - zumindest ein Teil der Bevölkerung. Es war ein Rätsel für Joan - die wegen ihres mexikanischen Vaters, selbst oft als „Nigger“ beschimpft wurde - warum keine Schwarzen zu ihren Konzerten kamen - bis sie herausfand, dass in ihrem Vertrag „Whites only“ stand. Für die nächste Tournee änderte sie nicht nur den Vertrag, sondern spielte ausschließlich an schwarzen Universitäten, so dass ihre weißen Fans auf die schwarzen Campusse kommen mussten. Und vor den Konzerten verteilte sie Freikarten an die schwarzen Studierenden und sorgte via Sitznummern dafür, dass Schwarze und Weißen gemischt saßen.
Die Stimmung im Publikum war entsprechend explosiv, denn Schwarze und Weiße hatten bis dahin nahezu keinen Kontakt. Die „Rassentrennungsgesetze“ besagten, dass ein Schwarzer, der auch nur im selben Auto saß wie ein Weißer, dafür verhaftet werden konnte. Wenn der Ku-Klux-Klan ihn nicht vorher lynchte.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Martin Luther King und die Queen des Protestsongs sich zusammentun würden. Sie hatte nicht nur die gleichen Ziele, sondern verfolgten sie auch mit den gleichen Mitteln. Wenn sie in kleiner Runde waren, pflegte King nach seinen Reden zu scherzen, dass er das Wort Gewaltlosigkeit ein paar Mal speziell für „Sister Joan“ eingeflochten hätte.
Als Luther King es einmal nicht schaffte, rechtzeitig in Grenada am Mississippi zu sein, wo der weiße Mob schwarze Schüler mit Ketten und Ziegelsteinwürfen daran hinderte, die per Gesetz seit neuestem gemischte Schule zu besuchen, begleitete Joan Baez die Kinder zusammen mit ihren Eltern und sorgte mit der Presse, die ihr auf Schritt und Tritt folgte, dafür, dass die Proteste in Grenada weltweite Aufsehen erregte.
1963 marschierte Joan zusammen mit Martin Luther King und einer Viertelmillion Menschen nach Washington, wo er seine berühmteste Rede hielt: „I have a dream“. Und Joan Baez sang danach „We shall overcome“ - und einige Duette mit einem kraushaarigen jungen Mann. Wer in diesem Jahr Joan Baez sehen wollte, sah unweigerlich auch diesen jungen Mann namens Bob Dylan.
Obwohl der damals noch unbekannte Straßenmusiker ursprünglich mehr an Schwester Mimi interessiert war, tat er sich mit Joan zusammen, die ihn bei ihren Konzerten regelmäßig mit auf die Bühne holte und ihrem unwilligen Publikum befahl, gefälligst dem Mann mit der Mundharmonika zuzuhören. Die Beziehung endete 1965, als der inzwischen international berühmte Bob bei seiner Europa Tournee Joan backstage warten ließ wie einen Fan. Mehr als an ihrer persönlichen Trennung jedoch litt Baez an Dylans Trennung von der Protestbewegung.
In den 60er Jahren, als ihre Schallplatten sich millionenfach verkauften, überwies Joan Baez ihre Steuern auf ein Sperrkonto, „um damit nicht den Vietnamkrieg zu finanzieren“. Das war auch die Zeit, in der Joan zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Mimi im Santa Rita Gefängnis landete, weil sie ein Trainingslager der Armee blockiert und den jungen Soldaten erklärt hatte: Ihr müsst nicht nach Vietnam gehen! Im Gefängnis lernte Joan den Anführer der Kriegsdienstverweigerer kennen, David Harris.
Rückblickend sagt er: „Es war eine Kriegsromanze. Wir verliebten uns ineinander, weil wir dieselben Ziele hatten. Obwohl wir komplett verschiedene Leben lebten. Als ich Joan das erste Mal mit in die Kommune brachte, in der ich wohnte, hatten wir gerade ein Pfund Cannabis bekommen. Sie war entsetzt und spülte den ganzen Büschel die Toilette runter.“
1968 feierten die beiden „die Hochzeit des Jahrhunderts“ Times-Magazine. 1969 musste David für 15 Monate ins Gefängnis, weil er sich weigerte als Soldat zu schießen. Währenddessen erzählte Joan hochschwanger in Woodstock einer halben Million Menschen, wie die Polizisten mit David und einem „Verweiger den Krieg“-Aufkleber auf dem Einsatzwagen weggefahren waren. Kurz danach rief sie ihn im Gefängnis an, um ihm mitzuteilen: Unser Sohn Gabriel ist da.
Als alleinerziehende Frau machte „Mrs Peace“ dieselben Erfahrungen wie die meisten berufstätigen Mütter. Dennoch hielt das Kind sie nicht von ihrem politischen Engagement ab. 1972 ging Joan mit einer Delegation nach Hanoi und wurde dort Zeugin der schlimmsten Bombardierung des ganzen Vietnamkrieges.Zehn Tage lang saß sie im Luftschutzbunker und hörte Detonationen der Bomben und die Stimmen der Menschen in Todesangst. Resultat: das Spoken-Word-Lied, das die komplette B-Seite ihres Albums „Where are you now my son?“ (1973) füllte. Selbst die gut verdienende Plattenfirma war inzwischen etwas strapaziert von dem Superstar, der keine Drogen nahm und der Politik stets den Vorzug gab.
Dass Joan Baez gleichzeitig auch gegen terroristische kommunistische Regimes protestierte, wie etwa die Roten Khmer in Kambodscha, kostete sie viele ihrer linken Anhänger, denn die waren im Gegensatz zu ihr damals auf dem Auge blind.War Joan Baez zu gut für diese Welt? Sie ignorierte die hämischen Debatten darüber, ob sie nun eine Heilige sei oder eine Heulsuse, so gut es ging. Bei einem Konzert 1989 in der Tschecheslowakei sprach sie sich öffentlich für die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 aus. Daraufhin wurde ihr Mikrofon abgeschaltet. Joan bestritt den Rest des Konzertes a capella vor 4.000 Menschen. Vaclav Havel, damals Dissident und später Präsident, bezeichnet diesen Abend als „wichtige Inspiration“ für die „samtene Revolution“. Joan gab den Menschen das Gefühl, dass eine Diktatur auch gewaltfrei überwunden werden kann.
Heute ist die 69-Jährige seit einem halben Jahrhundert im Geschäft, kaum jemand bestreitet mehr ernsthaft ihren Platz in der (Musik)Geschichte des 20sten Jahrhunderts. 2007 erhielt sie einen Grammy für ihr Lebenswerk. Die Dokumentarserie „American Masters“ ehrte sie mit einem Film, der gerade als DVD erschienen ist.Doch Joan Baez will keine Legende sein sondern lebendig – und kritisch bleiben. So setzt sie sich aktiv für die Rechte von Schwulen und Lesben ein, gegen die Todesstrafe und gegen die amerikanische Besatzung des Irak. Und nach wie vor geht Joan mehrere Monate im Jahr auf Tournee. Wie jetzt in Deutschland. An der Percussion Sohn Gabriel Harris.
"Joan Baez - How Sweet the Sound" (DVD + CD, Rough Trade Distribution, 15.99 €). - www.joanbaez.com